Neue Studie

Wirken Placebos auch ohne Täuschung?

Stuttgart - 04.10.2017, 11:30 Uhr

Bei der Studie wurden die Probanden teils aufgeklärt, dass eine ihnen verabreichte Salbe keinen Wirkstoff enthielt. (Foto: Max Tactic / adobe stock)

Bei der Studie wurden die Probanden teils aufgeklärt, dass eine ihnen verabreichte Salbe keinen Wirkstoff enthielt. (Foto: Max Tactic / adobe stock)


Scheinmedikamente können womöglich auch dann helfen, wenn über den fehlenden Wirkstoff aufgeklärt wird: Eine Studie von Forschern aus der Schweiz und den USA bestätigte dies zumindest für subjektive Empfindungen. Bei Experimenten an Gesunden zeigte sich, dass eine ausführliche Erklärung möglicher Effekte hilfreich sein kann.

Schon einige Studien haben in den letzten Jahren untersucht, ob Placebos selbst dann wirken können, wenn Patienten vom fehlenden Wirkstoff wissen. Eine Meta-Studie kam im Mai zu dem Ergebnis, dass auch sogenannte offene Placebos besser sind als keine Behandlung: Selbst wenn Ärzte ihre Patienten mit Reizdarmsyndrom, Rückenschmerzen oder einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) darüber aufklären, dass sie nur ein Scheinmedikament bekommen, besserten sich ihre Symptome stärker als ohne Therapie. Bei einer kleinen Studie an Patienten mit Depressionen ließ sich für offene Placebos jedoch kein positiver Effekt feststellen.

Eine Studie, die Forscher von der Uni Basel zusammen mit Kollegen von der US-amerikanischen Harvard Medical School im Juli im Fachmagazin „Pain“ veröffentlichten, hat genauer untersucht, welche Effekte hierbei eine Rolle spielen könnten. Zu diesem Zweck wurden 160 gesunde Freiwillige Hitze-Reizen ausgesetzt – und in vier Gruppen aufgeteilt: Eine Gruppe wurde nicht behandelt, Probanden aus den drei anderen Gruppen erhielten eine weiße Creme. In der ersten Gruppe (Placebo ohne Erklärung) erhielten die Versuchspersonen die Information, dass sie ein Placebo ohne aktiven Wirkstoff erhalten.

In der zweiten Gruppe (Placebo mit Erklärung) wurden sie darüber hinaus auch aufgeklärt, dass bekannt sei, dass Placebos aufgrund des gleichnamigen Effekts sehr wirksam sein könnten – insbesondere bei Schmerzen, Parkinson oder Asthma. Auch könne der Körper durch Konditionierung positiv auf Placebos reagieren, und kulturell verankerte Heilungs-Rituale könnten gleichfalls die Selbstheilung aktivieren – selbst wenn Patienten keine positive Erwartungshaltung hätten. In der vierten Gruppe (Placebo mit Täuschung) wurden die Probanden getäuscht: Ihnen wurde gesagt, die Salbe erhielte das Schmerzmittel Lidocain, das sich in vielen hochqualitativen Studien als wirksam gegen Schmerzen herausgestellt habe. 

Wie verändert sich die Schmerzwahrnehmung?

Nachdem zu Beginn des Experimentes erhoben worden war, wie die Probanden auf Schmerz reagieren, wurde dies nach der Aufklärung beziehungsweise Behandlung ein zweites Mal durchgeführt. Teilnehmer, die die Erklärungen nicht ausreichend verstanden hatten beziehungsweise die in der vierten Gruppe nicht daran glaubten, dass sie eine wirksame Salbe erhalten hatten, wurden von der Analyse ausgeschlossen.

Als sie die Probanden zu ihren subjektiven Schmerzen befragten, fanden die Forscher um die Psychologin Cosima Locher von der Universität Basel teils kleine Unterschiede. Während die Versuchsteilnehmer aus der Gruppe ohne Behandlung auf einer Skala von 0 bis 100 einen Schmerzindex von 60,4 angaben, lag die Gruppe mit Placebo und Erklärung sowie mit Placebo und Täuschung mit Werten von 59,5 beziehungsweise 57,3 leicht unter der Gruppe mit Placebo ohne Erklärung – diese besaß einen Schmerzindex von 62,1. Weitere Tests waren klar insignifikant: Zum Beispiel ließ sich kein Unterschied zwischen der Gruppe ohne Behandlung und den anderen Gruppen feststellen.  

Für einen zweiten Parameter wurden die Probanden befragt, wie unangenehm der Schmerz ist. Hier war es ähnlich: Die Gruppen ohne Behandlung sowie mit Placebo ohne Erklärung lagen mit jeweils rund 64 Punkten über den Gruppen mit Erklärung sowie mit Täuschung, die beide im Mittel bei rund 60 Punkten landeten – laut den Autoren war dies signifikant weniger. Die Erläuterungen machen den Unterschied aus, schlussfolgerten die Forscher um Locher: Sowohl bei einem Placebo mit Erklärung zum Placeboeffekt, als auch bei einem vermeintlichen Arzneimittel mit Informationen zur Wirkung, waren die Ergebnisse besser als bei den Gruppen ohne Behandlung und ohne Erklärung.

Kein Unterschied beim objektiven Schmerz

Doch anders als teils bei früheren Studien ließ sich in den Experimenten kein Unterschied in Bezug auf die objektive Schmerzempfindung nachweisen. Da die Probanden den ansteigenden Hitzereiz abbrechen sollten, wenn er zu stark wurde, konnten die Forscher untersuchen, wie dieser objektiver Parameter sich durch die Placebo-Gaben verändert – doch dies gelang anders als bei den subjektiven Einschätzungen nicht.

„Eine offene Abgabe eines Scheinmedikaments bietet neue Möglichkeiten, den Placebo-Effekt auf ethisch vertretbare Weise zu nutzen“, erklärte dennoch Mitautor Jens Gaab, Leiter der Abteilung Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Basel, in einer Pressemitteilung. Da sie nur gesunde Probanden untersucht haben, betonen die Forscher in ihrem Artikel, ist fraglich, inwiefern sich die Ergebnisse auf die Situation von Patienten übertragen lassen – hier könnten die Effekte ihrer Einschätzung nach geringer sein.

Auch wenn sie diesen Punkt ähnlich sieht, hält die an der Studie nicht beteiligte Psychologin Bettina Doering von der Universität Marburg die Methodik der Studie für sehr gut und interessant. Die Wissenschaftlerin arbeitet in einer Forschergruppe der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die in den letzten Jahren Placebos erforscht hat. „Positive Erwartungen könnte man auch nutzen, wenn man ein echtes Medikament gibt“, sagt sie. In der normalen ärztlichen Behandlung bliebe oft zu wenig Zeit, um eine positive Erwartungshaltung aufzubauen. „Damit schließt man einen ganz wichtigen Teil der Wirkung aus.“ Doch bislang sei die Wissenschaft noch „weit davon entfernt“, klar sagen zu können, dass offene Placebos genauso helfen wie jene mit Täuschung.

Neben der relativ kleinen Probandenzahl der Studie aus Basel ergeben sich weitere statistische Fragen. So schreiben die Autoren, dass sich „interessanterweise“ kein Unterschied zwischen der Gruppe mit offenen Placebos und mit täuschenden Placebos feststellen ließ, obwohl dies eigentlich keine weiteren Rückschlüsse zulässt, wie auch Doering sagt. Fragen hierzu wollte Locher gegenüber DAZ.online jedoch nicht beantworten. „Leider haben wir nicht die Kapazität“, schrieb sie. 



Hinnerk Feldwisch-Drentrup, Autor DAZ.online
redaktion@daz.online


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