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Die Sondierungsgespräche zwischen Union, Grünen und FDP gehen in die finale Phase. Bis Donnerstag soll klar sein, ob die vier Parteien Koalitionsgespräche aufnehmen. Das, was derzeit aus den Verhandlungen nach außen dringt, klingt allerdings skeptisch. Auch viele Apotheker stellen sich daher die Frage: Was passiert eigentlich, wenn das Jamaika-Projekt scheitert? Eine zentrale Rolle in diesem Fall würde Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier einnehmen.
Derzeit vergeht fast kein Tag, an dem die Parteispitzen von Union, FDP und Grünen nicht über eine mögliche Jamaika-Koalition beraten. Auch am gestrigen Montag tagten die Unterhändler erneut, um Kompromisse auszuarbeiten und mögliche gemeinsame Wege auszuloten. Doch wie weit die vier Parteien noch auseinanderliegen, zeigt auch der letzte Stand in der Gesundheitspolitik. Einigen konnte man sich bislang nur auf sehr allgemeine Aussagen: So soll etwa die Landversorgung verbessert, die digitale Vernetzung angetrieben und die Versorgung mit Cannabis-Produkten „entbürokratisiert“ werden.
Zu wichtigen Punkten wie der Finanzierung der Krankenversicherung, der Zweigliedrigkeit des Versicherungssystems oder zu konkreten Maßnahmen in der Pflege gibt es weiterhin keine Einigung. Und auch bei der für die Apotheker so wichtige Frage um die Zukunft des Versandhandels liegen die möglichen Koalitionäre weiterhin meilenweit auseinander. Ähnlich sieht es in anderen Politikfeldern aus: Weiterhin streiten sich die vier Parteien über die Zuwanderungspolitik und haben auch keine gemeinsame finanzpolitische Schiene gefunden. Insbesondere in den Bereichen Umwelt und Klima kämpfen gerade die Grünen gegen heftigen Widerstand von Union und FDP an. Und über die Medien werfen sich die Spitzenpolitiker schon jetzt teils „zerstörerische Querschüsse“ vor.
Und so muss man sich etwa anderthalb Monate nach der Bundestagswahl fragen, was denn eigentlich passiert, wenn es die Koalitionäre nicht schaffen, sich auf eine Koalition zu einigen. In diesem Fall läge der Ball zunächst im Spielfeld von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie ist die amtierende Bundeskanzlerin und die Spitzenkandidatin der größten Fraktion im neuen Bundestag und muss sich somit zunächst nach politischen Lösungen umschauen. Doch von diesen politischen Lösungen würden Merkel nicht viele bleiben, sollte Jamaika scheitern. Linke und AfD kommen für eine Regierungsbildung mit der Union grundsätzlich nicht infrage. Und die SPD hat eine Große Koalition bereits ausgeschlossen – sowohl in der Bundestagsfraktion als auch in der Partei hat man den Neustart in der Opposition bereits eingeläutet. Dass Merkel ihren ehemaligen Kontrahenten und SPD-Chef Martin Schulz von einem gemeinsamen Bündnis überzeugt, ist sehr unwahrscheinlich.
Neuwahlen würden mehr als 90 Millionen Euro kosten
Kommt es dann also sofort zu Neuwahlen? Nicht unbedingt. Denn mithilfe von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier könnte die Bundeskanzlerin Neuwahlen – zumindest vorerst – aus dem Weg gehen. Darum geht es: Im normalen Wahlverfahren schlägt der Bundespräsident dem Bundestag eine(n) Bundeskanzler/-in vor. Der oder die vorgeschlagene Kanzler/-in benötigt eine absolute Mehrheit im Bundestag, für gewöhnlich stimmen die Koalitionsfraktionen für den oder die Kandidaten/-in, auf den sich die Koalitionäre verständigt haben.
Sollten sich die vier Jamaika-Parteien aber nicht auf eine Koalition einigen, gäbe es auch keine Mehrheit im Bundestag. Steinmeier könnte in einem solchen Fall trotzdem die amtierende Kanzlerin als Kandidatin vorschlagen, schließlich vertritt sie die Wahlsieger-Fraktion im Parlament. Die ersten beiden Wahldurchgänge würden dann an der absoluten Mehrheit scheitern. Das Gesetz sieht aber vor, dass der Bundespräsident nach einem erfolglosen dritten Wahldurchgang auch eine relative Mehrheit im Bundestag akzeptieren kann und den oder die Kandidatin ernennen könnte. Dazu müsste Merkel allerdings eine sehr unstabile Minderheitsregierung bilden, etwa mit der FDP. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass Merkel und Steinmeier es so weit nicht kommen lassen, Merkel auf eine Minderheitenregierung verzichtet, Steinmeier den Bundestag auflöst und Neuwahlen anordnet.
Auch für den Steuerzahler würden solche Neuwahlen Mehrbelastungen nach sich ziehen: Die Nachrichtenagentur dpa berichtete am gestrigen Montag, dass die vergangene Bundestagswahl 92 Millionen Euro gekostet hat. Viel größer aber wäre der politische Schaden. Die Politikverdrossenheit vieler Bürger würde sicherlich noch größer werden, profitieren könnte davon vermeintlich auch die rechtspopulistische AfD.
Und auch aus gesundheitspolitischer Sicht sind Neuwahlen alles andere als wünschenswert. Gerade der Apothekenmarkt lebt seit dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung in einer andauernden Ungewissheit. Eine Lösung des Versandhandels-Konfliktes war auch wegen partei- und machtpolitischen Manövern bislang unmöglich, im Falle von Neuwahlen würde sich dieser Lösungsprozess noch weiter hinauszögern. Sollte sich die nächste Koalition tatsächlich auf ein Rx-Versandverbot verständigen, würde dies eine monatelange gesetzgeberische Bearbeitungszeit nach sich ziehen, das unter anderem ein Abstimmungsverfahren auf EU-Ebene auslöst. Und je später ein solches Verfahren startet, desto länger bleibt die Ungewissheit im Markt.
1 Kommentar
Schwierige Regierungsbildung
von N.Bödewig am 14.11.2017 um 12:34 Uhr
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