Sondierungsgespräche

Was passiert, wenn Jamaika scheitert?

Berlin - 14.11.2017, 07:00 Uhr

Welche Szenarien drohen Deutschland, wenn sich die Jamaika-Parteien nicht einigen können? (Foto: dpa)

Welche Szenarien drohen Deutschland, wenn sich die Jamaika-Parteien nicht einigen können? (Foto: dpa)


Neuwahlen würden mehr als 90 Millionen Euro kosten

Kommt es dann also sofort zu Neuwahlen? Nicht unbedingt. Denn mithilfe von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier könnte die Bundeskanzlerin Neuwahlen – zumindest vorerst – aus dem Weg gehen. Darum geht es: Im normalen Wahlverfahren schlägt der Bundespräsident dem Bundestag eine(n) Bundeskanzler/-in vor. Der oder die vorgeschlagene Kanzler/-in benötigt eine absolute Mehrheit im Bundestag, für gewöhnlich stimmen die Koalitionsfraktionen für den oder die Kandidaten/-in, auf den sich die Koalitionäre verständigt haben.

Sollten sich die vier Jamaika-Parteien aber nicht auf eine Koalition einigen, gäbe es auch keine Mehrheit im Bundestag. Steinmeier könnte in einem solchen Fall trotzdem die amtierende Kanzlerin als Kandidatin vorschlagen, schließlich vertritt sie die Wahlsieger-Fraktion im Parlament. Die ersten beiden Wahldurchgänge würden dann an der absoluten Mehrheit scheitern. Das Gesetz sieht aber vor, dass der Bundespräsident nach einem erfolglosen dritten Wahldurchgang auch eine relative Mehrheit im Bundestag akzeptieren kann und den oder die Kandidatin ernennen könnte. Dazu müsste Merkel allerdings eine sehr unstabile Minderheitsregierung bilden, etwa mit der FDP. Sehr wahrscheinlich ist aber, dass Merkel und Steinmeier es so weit nicht kommen lassen, Merkel auf eine Minderheitenregierung verzichtet, Steinmeier den Bundestag auflöst und Neuwahlen anordnet.

Auch für den Steuerzahler würden solche Neuwahlen Mehrbelastungen nach sich ziehen: Die Nachrichtenagentur dpa berichtete am gestrigen Montag, dass die vergangene Bundestagswahl 92 Millionen Euro gekostet hat. Viel größer aber wäre der politische Schaden. Die Politikverdrossenheit vieler Bürger würde sicherlich noch größer werden, profitieren könnte davon vermeintlich auch die rechtspopulistische AfD.

Und auch aus gesundheitspolitischer Sicht sind Neuwahlen alles andere als wünschenswert. Gerade der Apothekenmarkt lebt seit dem EuGH-Urteil zur Rx-Preisbindung in einer andauernden Ungewissheit. Eine Lösung des Versandhandels-Konfliktes war auch wegen partei- und machtpolitischen Manövern bislang unmöglich, im Falle von Neuwahlen würde sich dieser Lösungsprozess noch weiter hinauszögern. Sollte sich die nächste Koalition tatsächlich auf ein Rx-Versandverbot verständigen, würde dies eine monatelange gesetzgeberische Bearbeitungszeit nach sich ziehen, das unter anderem ein Abstimmungsverfahren auf EU-Ebene auslöst. Und je später ein solches Verfahren startet, desto länger bleibt die Ungewissheit im Markt.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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1 Kommentar

Schwierige Regierungsbildung

von N.Bödewig am 14.11.2017 um 12:34 Uhr

Warum werden immer Ängste vor Minderheitsregierungen geschürt. Sicher, sie sind instabil, aber ein Regieren mit wechselnden Mehrheiten, je nach durchzusetzenden Programm ist kein Hexenwerk. Eine Neuwahl zum jetzigen Zeitpunkt würde vermutlich kaum ein gänzlich anderes Ergebnis nach sich ziehen. Diese können immer noch stattfinden, wenn keine durchsetzbaren Gesetzesinitiativen mehr gestartet werden können. Einen andauernden politischen Stillstand (nachdem alle gemeinsam tragbaren Ziele durchgestzt wurden) in einer durch öffentlichen/medialen Druck erzwungenen Koalition über 4 Jahre ist meines Erachtens eine schlechtere Option, als eine Minderheitsregierung durch wen auch immer gebildet. Auch wenn der Vergleich, aufgrund der unterschiedlichen Verfassungstrukturen hinkt: schon Bismarck musste nach der für Ihn negativ ausgegangenen Reichstagswahl von 1881 mit wechselnden Mehrheiten regieren, eine Menge Regierungen der Weimarer Republik (auch schon vor Bildung der Präsidialkabinette ab 1931) sowieso.

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