Rote-Hand-Brief zu Daclizumab

EMA schränkt MS-Therapie mit Zinbryta ein

Stuttgart - 24.11.2017, 15:30 Uhr

Schwere Nebenwirkungen wie tödliche Autoimmunhepatitis unter Daclizumab: EMA schränkt MS-Antikörper Zinbryta® ein. (Foto: Biogen / DAZ.online)

Schwere Nebenwirkungen wie tödliche Autoimmunhepatitis unter Daclizumab: EMA schränkt MS-Antikörper Zinbryta® ein. (Foto: Biogen / DAZ.online)


Künftig steht Daclizumab nur noch einer kleinen Patientenklientel mit remittierend schubförmiger Multipler Sklerose zur Verfügung. Tödliche Autoimmunhepatitiden unter Zinbryta® waren der Auslöser für die nun striktere Behandlung mit Daclizumab. Über welche weiteren Änderungen informiert der Rote-Hand-Brief zu Biogens Zinbryta® noch?

Eine potenziell tödlich verlaufende immunvermittelte Leberschädigung ist der Grund für ein künftig rigideres Management bei der Multiplen Sklerose-Therapie mit Daclizumab. Im Juni dieses Jahres hatte die europäische Arzneimittelbehörde ein Pharmakovigilanz-Verfahren zu Zinbryta® eingeleitet, nachdem eine Patientin aus Deutschland nach Daclizumab-Gabe an akutem Leberversagen verstorben war. Leberschäden zeigte Daclizumab bereits in den klinischen Studien, 1,7 Prozent der Zinbryta®-Patienten entwickelten schwere Reaktionen wie Autoimmunhepatitis, Hepatitis und Ikterus. Über die striktere Therapie mit Daclizumab informiert der Hersteller Biogen nun in einem Rote-Hand-Brief.

Wie sieht die Therapie mit Daclizumab künftig aus?

Biogen hat die Zulassung für Zinbryta® zur Therapie der remittierend schubförmigen Multiplen Sklerose (RRMS). Laut Fachinformation (Stand Juli 2017) zu Zinbryta®, erhalten Patienten seither Daclizumab, wenn sie trotz Behandlung mit mindestens einer krankheitsmodifizierenden Therapie (DMT, disease modifying therapy) noch eine hohe Krankheitsaktivität zeigen. Daclizumab stellt auch für MS-Patienten mit rasch fortschreitender, schwerer schubförmiger Multipler Sklerose eine Behandlungsoption dar, für die andere krankheitsmodifizierende Arzneimittel nicht geeignet sind.

Künftig wird die Behandlung mit Daclizumab strikter gehandhabt. Das Mittel soll nur angewendet werden bei erwachsenen Patienten, die auf mindestens zwei krankheitsmodifizierende Therapien nicht ausreichend angesprochen haben und bei denen eine Behandlung mit jeder anderen DMT kontraindiziert oder aus anderen Gründen ungeeignet ist.

Wie wirkt Daclizumab?

Daclizumab ist ein humanisierter Antikörper, der an den CD25-Rezeptor auf zirkulierenden T-Zellen bindet. Daclizumab verhindert auf diese Weise die Bindung von Interleukin-2 an CD25. Die Sättigung der Zielrezeptoren CD25 mit Daclizumab ist schnell und anhaltend. In der Konsequenz steigt durch nicht gebundenes IL-2 und durch diese Intervention in den IL-2-Signalweg durch Daclizumab die Serumkonzentration von IL-2 um das doppelte. Dies trägt zur Expansion natürlicher Killerzellen bei (CD56bright NK-Zellen), deren Serumkonzentration rund um das Fünffache des Ausgangswertes steigt. CD56bright-NK-Zellen reduzieren nachweislich die Aktivität aktivierter T-Zellen.
Handelsname: Zinbryta
Hersteller: Biogen

Längere Leberkontrollen nach Therapieende mit Daclizumab

Änderungen hat die EMA auch hinsichtlich der Leberwertkontrollen mittels Bestimmung der Transaminasen- (ALT und AST) und Bilirubin-Werte umgesetzt. Diese sollten behandelnde Ärzte bei Daclizumab-therapierten MS-Patienten bislang vor Therapiebeginn mit Zinbryta® durchführen, fortlaufend alle vier Wochen für die gesamte Dauer der Behandlung und bis zu vier Monate nach der letzten Applikation von Zinbryta®.

Die neuen EMA-Vorgaben erweitern das Fenster der Nachkontrolle auf sechs Monate. Außerdem umfasst diese risikominimierende Maßnahme, die Leberwerte „so zeitnah als möglich vor jeder Behandlung“ zu kontrollieren. Daclizumab erhalten Patienten in einem Vierwochen-Behandlungszyklus. Somit ändert sich an der Anzahl der Leberkontrolluntersuchungen während der Therapie nichts; möglichst kurz vor der nächsten Applikation bestimmte Werte liefern nur die aktuellsten Daten über den Zustand der Leber.

Wann müssen MS-Patienten die Zinbryta®-Therapie stoppen?

Auch beim Abbruch der Therapie setzt die EMA strengere Kriterien an: „Ein Absetzen der Behandlung wird bei Patienten empfohlen, deren ALT- oder AST-Werte auf mehr als das Dreifache der Normalwert-Obergrenze (ULN, upper limit of normal) angestiegen sind, unabhängig von den Bilirubin-Werten“, informiert Biogen im Rote-Hand-Brief zu Zinbryta®. Seither war diese Grenze höher angesetzt und erst bei ALT- oder AST-Werten über dem Fünffachen der Normwerte mussten Patienten die MS-Therapie mit Daclizumab beenden.

Seitherige Einschränkungen zu Daclizumab gelten weiter

Biogen teilt mit, dass die bereits vor dem EMA-Entscheid veröffentlichten Empfehlungen zu Daclizumab auch weiterhin einzuhalten sind:

  • Kontraindikation von Daclizumab bei Lebererkrankungen und Leberfunktionsstörungen.
  • Patienten mit Autoimmunerkrankungen oder hepatotoxischen Arzneimitteln sollten Daclizumab nicht erhalten.
  • Kein Therapiebeginn mit Daclizumab bei Patienten, deren Leberwerte ALT und AST die Normwerte um das Zweifache übersteigen.
  • Aufklärung der Patienten über Symptome einer Leberschädigung.

Schwere Nebenwirkungen auch beim MS –Antikörper Alemtuzumab

Daclizumab ist nicht der einzige Antikörper in der Therapie der Multiplen Sklerose, der schwerwiegende Nebenwirkungen verursacht. So informierte die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft erst in dieser Woche über eine tödliche unerwünschte Wirkung von Alemtuzumab. Der 34-jährige MS-Patient verstarb an einer durch Lemtrada® ausgelösten Thrombozytopenie – einer bereits bekannten Nebenwirkung von Lemtrada® – , die sich jedoch als therapieresistent erwies und auf alle versuchten Behandlungsregime nicht ansprach. Alemtuzumab steht darüber hinaus im Verdacht, die Symptome einer Multiplen Sklerose zu verschlechtern.

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Verschlechtert Alemtuzumab MS?

Anfang dieses Jahres hat Lancet Neurology zwei Fallberichte veröffentlicht, in denen MS-Patienten neue MRT-Läsionen und eine Verschlechterung ihrer MS-Symptomatik unter Alemtuzumab zeigten. Was die Kliniker allerdings nicht aufklären konnten, war, ob die im MRT neu aufgetretenen Läsionen bei den Multiplen Sklerotikern als Fortschreiten der MS zu werten waren oder als weitere, von der Multiplen Sklerose unabhängige, Autoimmunprozesse.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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