Interview Detlef Parr, Chef der Liberalen Senioren

„Wir haben kein Interesse daran, die Apotheker zu benachteiligen“

Berlin - 24.11.2017, 13:00 Uhr

Beratung ist ein hohes Gut: Detlef Parr, ehemals FDP-Bundestagsabgeordneter und heute Chef der Liberalen Senioren, will das Apothekensystem unbedingt erhalten, ist aber gegen ein Rx-Versandverbot. (Foto: FDP)

Beratung ist ein hohes Gut: Detlef Parr, ehemals FDP-Bundestagsabgeordneter und heute Chef der Liberalen Senioren, will das Apothekensystem unbedingt erhalten, ist aber gegen ein Rx-Versandverbot. (Foto: FDP)


„Verbote helfen nicht weiter“

DAZ.online: Was hat sich seit 2003 in der FDP geändert?

Parr: Wir müssen uns heute aber der Wirklichkeit stellen. Auch Apotheken müssen sich anpassen und ihre Angebotspalette erweitern. Wichtig sind faire Wettbewerbsbedingungen und angemessene Honorierungen, etwa für individuelle Beratung und Serviceleistungen, oder Botendienste, die gerade für uns Ältere von besonderer Bedeutung sind. Dafür brauchen wir gesetzliche Neuerungen. Verbote helfen nicht weiter. Die FDP hat auch vorgeschlagen, dass sich Patientinnen und Patienten bei entsprechender Verordnung für Medikamente entscheiden können, die bisher aufgrund der Preisregulierung nicht auf den deutschen Markt kommen. Dazu soll im AMG die Übertragung des GKV-Erstattungsbetrages als Höchstpreis für Selbstzahler aufgehoben werden – mehr Wahlfreiheit also…

DAZ.online: Nach Ihrem Ausscheiden aus der Bundespolitik scheinen also doch die Deregulierungsbefürworter in der FDP das Ruder übernommen zu haben. Oder wie ist sonst der Apothekenketten-Passus in das Wahlprogramm gerutscht?

Parr: Zweifellos ist unser Gesundheitssystem überreguliert. Die Freien Demokraten haben sich immer gegen das bürokratische Korsett gewehrt, das den Heilberuflern und den Versicherten viele Freiheiten nimmt. Das ist eine urliberale Haltung. Was den Arzneimittelmarkt betrifft, gibt es aber nach wie vor viele in der Partei, die so denken wie ich. Gerade wir Liberalen Senioren haben kein Interesse daran, die Apotheker irgendwie zu benachteiligen. Wir wollen alles daran setzen, dass das Stadt-Land-Gefälle nicht weiter zunimmt. Noch viel mehr stört uns die Entpersönlichung des Gesundheitswesens. Persönliche und fachmännische Beratungen, die wir Ältere in der Apotheke fraglos jederzeit erhalten, sind ein hohes Gut. Nur weil manche mit der Quantität, also der Apothekenzahl, nicht zufrieden sind, sollte man die Qualität nicht aufgeben. Wir brauchen die Apotheker, so wie wir sie haben, mit den persönlichen Gesprächen und der diskreten Beratung.

DAZ.online: Was halten Sie den deregulierungs-willigen Parteikollegen denn entgegen, wenn es um den Apothekenmarkt geht?

Parr: Ich bin ja Anglist und insofern auch des Öfteren in England. Die Rezept-Ecke bei Boots, die man erst findet, wenn man sich an der großen Zahl von Nahrungsergänzungsmitteln und Sandwiches vorbeigekämpft hat, finde ich schrecklich.

DAZ.online: Was genau schreckt Sie an diesem Beispiel ab?

Parr: Insgesamt haben wir einen schmerzlichen Verlust der sprechenden Medizin zu verzeichnen. Es ist so wichtig, viele Probleme auch über persönliche Zuwendung zu regeln – manche Medikamente würden so vielleicht gar nicht benötigt. Das braucht Zeit und Diskretion. Oder schauen Sie sich das Beispiel Klinikentlassung an: Als entlassener Krankenhauspatient fühlt man sich heutzutage allein gelassen. Es fehlt oft an gezielter Nachsorge. Die Apotheken sehe ich hier in einer verantwortlichen Rolle: Wieso können nicht auch Apotheker große Teile dieser Begleitung nach der Klinikentlassung übernehmen?

DAZ.online: Nun gibt es nach dem EuGH-Urteil ja einen sehr aktuellen Konflikt im Apothekenmarkt, den die Union mit einem Versandverbot, die FDP mit einer Gleichberechtigung von Versendern und Apothekern beantworten will.

Parr: Zum Rx-Versandverbot muss auch ich sagen: Das kann eine liberale Partei nicht verabschieden. Marktteilnehmern wie DocMorris muss es weiterhin ermöglicht werden, am Apothekenmarkt beteiligt zu werden. Mir ist es aber wichtig, dass dies zu fairen und gleichen Wettbewerbsbedingungen geschieht. Und eine totale Freigabe der Preise würde wiederum den Apothekern schaden. Die Situation ist daher schwierig.

DAZ.online: Wie würden Sie denn versuchen, sie zu lösen, wenn Sie noch aktiver Gesundheitspolitiker im Bundestag wären?

Parr: Ich hätte vermutlich sehr schnell nach dem Urteil das Einsetzen einer Fachkommission gefordert. Dort hätten Politiker und Experten über Kompromisse und Lösungen beraten müssen. Der jetzige Schwebezustand stört mich jedenfalls, das hätte ich versucht zu vermeiden.

DAZ.online: Wie denn?

Parr: Ich habe den Eindruck, dass nicht nur in dieser Sache inzwischen die Juristen Gesundheitspolitik machen. Ich kann schon das EuGH-Urteil nicht so ganz verstehen. Aber noch weniger verstehe ich, dass die anschließende Debatte von juristischen Bedenken und Vorgaben dominiert wurde. Ich habe unseren Juristen damals immer gesagt: Die Politik macht die Vorgaben, ihr müsst dafür sorgen, dass diese auf eine tragfähige rechtliche Grundlage gestellt und umgesetzt werden. Die Zunahme der die Gesetzeslage korrigierenden Gerichtsurteile halte ich für bedenklich. Das ist auch eine Frage der Qualität parlamentarischer Arbeit.

Zur Person

Detlef Parr wurde 1942 in Düsseldorf geboren und ist studierter Lehrer für Englisch und Sport. Mit 30 Jahren trat er der FDP bei. Sein erster Posten in der Politik war eine Fachreferenten-Tätigkeit in der FDP-Fraktion des NRW-Landtages, damals kümmerte er sich um die Themen Schule, Wissenschaft und Forschung. Im Februar 1994 rückte Parr erstmals in den Bundestag ein, damals als Ersatz für den verstorbenen Abgeordneten Hans-Günther Gattermann. Bei der folgenden Bundestagswahl verpasste er den Einzug ins Parlament. Ab 1998 bis 2009 zog Parr allerdings stets über die Landesliste der FDP ins den Bundestag ein. Lange Zeit war er Sprecher für Präventions-, Sucht-, Drogen-, und Sportpolitik, im Gesundheitsausschuss war er stets stellvertretendes Mitglied. Heute ist Parr Vorsitzender der Liberalen Senioren und immer noch Mitglied im FDP-Bundesvorstand.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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2 Kommentare

Liberaler Brückenbauer ...

von Christian Timme am 26.11.2017 um 10:19 Uhr

Neue Brücken sind besser als juristische Stromschnellen ... aber wer gerne schwimmt ...

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Widersprüche

von Anita Peter am 24.11.2017 um 13:10 Uhr

Ich haben selten soviele Widersprüche in einem Interview gelesen....

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