DAZ.online: Was hat sich seit 2003 in der FDP geändert?
Parr: Wir müssen uns heute aber der Wirklichkeit stellen.
Auch Apotheken müssen sich anpassen und ihre Angebotspalette erweitern. Wichtig
sind faire Wettbewerbsbedingungen und angemessene Honorierungen, etwa für
individuelle Beratung und Serviceleistungen, oder Botendienste, die gerade für
uns Ältere von besonderer Bedeutung sind. Dafür brauchen wir gesetzliche
Neuerungen. Verbote helfen nicht weiter. Die FDP hat auch vorgeschlagen, dass
sich Patientinnen und Patienten bei entsprechender Verordnung für Medikamente
entscheiden können, die bisher aufgrund der Preisregulierung nicht auf den
deutschen Markt kommen. Dazu soll im AMG die Übertragung des
GKV-Erstattungsbetrages als Höchstpreis für Selbstzahler aufgehoben werden –
mehr Wahlfreiheit also…
DAZ.online: Nach Ihrem Ausscheiden aus der Bundespolitik
scheinen also doch die Deregulierungsbefürworter in der FDP das Ruder
übernommen zu haben. Oder wie ist sonst der Apothekenketten-Passus in das
Wahlprogramm gerutscht?
Parr: Zweifellos ist unser Gesundheitssystem überreguliert.
Die Freien Demokraten haben sich immer gegen das bürokratische Korsett gewehrt,
das den Heilberuflern und den Versicherten viele Freiheiten nimmt. Das ist eine
urliberale Haltung. Was den Arzneimittelmarkt betrifft, gibt es aber nach wie
vor viele in der Partei, die so denken wie ich. Gerade wir Liberalen Senioren
haben kein Interesse daran, die Apotheker irgendwie zu benachteiligen. Wir
wollen alles daran setzen, dass das Stadt-Land-Gefälle nicht weiter zunimmt.
Noch viel mehr stört uns die Entpersönlichung des Gesundheitswesens.
Persönliche und fachmännische Beratungen, die wir Ältere in der Apotheke
fraglos jederzeit erhalten, sind ein hohes Gut. Nur weil manche mit der
Quantität, also der Apothekenzahl, nicht zufrieden sind, sollte man die
Qualität nicht aufgeben. Wir brauchen die Apotheker, so wie wir sie haben, mit
den persönlichen Gesprächen und der diskreten Beratung.
DAZ.online: Was halten Sie den deregulierungs-willigen
Parteikollegen denn entgegen, wenn es um den Apothekenmarkt geht?
Parr: Ich bin ja Anglist und insofern auch des Öfteren in
England. Die Rezept-Ecke bei Boots, die man erst findet, wenn man sich an der
großen Zahl von Nahrungsergänzungsmitteln und Sandwiches vorbeigekämpft hat,
finde ich schrecklich.
DAZ.online: Was genau schreckt Sie an diesem Beispiel ab?
Parr: Insgesamt haben wir einen schmerzlichen Verlust der
sprechenden Medizin zu verzeichnen. Es ist so wichtig, viele Probleme auch über
persönliche Zuwendung zu regeln – manche Medikamente würden so vielleicht gar
nicht benötigt. Das braucht Zeit und Diskretion. Oder schauen Sie sich das
Beispiel Klinikentlassung an: Als entlassener Krankenhauspatient fühlt man sich
heutzutage allein gelassen. Es fehlt oft an gezielter Nachsorge. Die Apotheken sehe ich hier in einer
verantwortlichen Rolle: Wieso können nicht auch Apotheker große Teile dieser
Begleitung nach der Klinikentlassung übernehmen?
DAZ.online: Nun gibt es nach dem EuGH-Urteil ja einen sehr
aktuellen Konflikt im Apothekenmarkt, den die Union mit einem Versandverbot,
die FDP mit einer Gleichberechtigung von Versendern und Apothekern beantworten
will.
Parr: Zum Rx-Versandverbot muss auch ich sagen: Das kann
eine liberale Partei nicht verabschieden. Marktteilnehmern wie DocMorris muss
es weiterhin ermöglicht werden, am Apothekenmarkt beteiligt zu werden. Mir ist
es aber wichtig, dass dies zu fairen und gleichen Wettbewerbsbedingungen
geschieht. Und eine totale Freigabe der Preise würde wiederum den Apothekern
schaden. Die Situation ist daher schwierig.
DAZ.online: Wie würden Sie denn versuchen, sie zu lösen,
wenn Sie noch aktiver Gesundheitspolitiker im Bundestag wären?
Parr: Ich hätte vermutlich sehr schnell nach dem Urteil das
Einsetzen einer Fachkommission gefordert. Dort hätten Politiker und Experten
über Kompromisse und Lösungen beraten müssen. Der jetzige Schwebezustand stört
mich jedenfalls, das hätte ich versucht zu vermeiden.
DAZ.online: Wie denn?
Parr: Ich habe den Eindruck, dass nicht nur in dieser Sache
inzwischen die Juristen Gesundheitspolitik machen. Ich kann schon das
EuGH-Urteil nicht so ganz verstehen. Aber noch weniger verstehe ich, dass die
anschließende Debatte von juristischen Bedenken und Vorgaben dominiert wurde.
Ich habe unseren Juristen damals immer gesagt: Die Politik macht die Vorgaben,
ihr müsst dafür sorgen, dass diese auf eine tragfähige rechtliche Grundlage
gestellt und umgesetzt werden. Die Zunahme der die Gesetzeslage korrigierenden Gerichtsurteile halte ich
für bedenklich. Das ist auch eine Frage der Qualität parlamentarischer Arbeit.
2 Kommentare
Liberaler Brückenbauer ...
von Christian Timme am 26.11.2017 um 10:19 Uhr
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Widersprüche
von Anita Peter am 24.11.2017 um 13:10 Uhr
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