Kommentare zum Honorar-GUTACHTEN

Was sagen die befragten Apotheker?

Berlin - 15.12.2017, 17:30 Uhr

„Viel Zeit benötigen wir auch für soziale Hilfestellungen unserer Stammkunden. Wie geht es weiter nach einem Krankenhausaufenthalt, welcher Pflegedienst. Patientenverfügungen, Vollmachten für Angehörige Unterstützung der pflegenden Angehörigen zu Hause[...]“, aus einem Kommentar in der 2HM-Umfrage. (Foto: belahoche / stock.adobe.com)

„Viel Zeit benötigen wir auch für soziale Hilfestellungen unserer Stammkunden. Wie geht es weiter nach einem Krankenhausaufenthalt, welcher Pflegedienst. Patientenverfügungen, Vollmachten für Angehörige Unterstützung der pflegenden Angehörigen zu Hause[...]“, aus einem Kommentar in der 2HM-Umfrage. (Foto: belahoche / stock.adobe.com)


Das Gutachten zur Apothekenhonorierung im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums versucht, den Apothekerberuf in messbare Größen zu fassen. Fast etwas versteckt, am Ende des etwa 200-seitigen Papiers finden sich aber auch die Kommentare der Apotheker, die an der zugrunde liegenden Umfrage teilnahmen. Ein Ausschnitt aus der Realität hinter den Zahlen.

Bürokratischer Aufwand...

Die vom BMWi beauftragte Agentur 2HM hatte bei der Erstellung des Gutachtens auch Apotheker zu ihren Tätigkeiten befragt, etwa zu den Arbeitszeiten in der Rezeptur. Die Agentur gab den Pharmazeuten die Chance, freie Kommentare zu schreiben. DAZ.online liegt weiterhin nur die Vorab-Version des Gutachtens vom 19. November, also eine unabgestimmte Zwischenversion vor. Und trotzdem offenbaren die Kommentare der Pharmazeuten teilweise, wie die Fragen der Agentur im Lichte des Apothekenalltags zu bewerten sind. Hier einige, teils gekürzte, Auszüge:


Der bürokratische Aufwand sowohl bei der Herstellung von Rezepturen als auch bei der Dokumentation von BTM ist viel zu hoch und sollte sowohl reduziert als auch besser vergütet werden. Falls Ihre letzte Frage darauf abzielt, ob wir uns nach dem EuGH-Urteil so wie ausländische Versandapotheken RX-Boni erlauben könnten, ist die klare Antwort: Das werden wir nicht überleben.


Analyse der Deutschen Apotheker Zeitung


Leider hat die Befragung nicht wirklich die kompletten Aufgaben und Pflichten an eine normale Apotheke abgedeckt. Es fehlten komplett die Arbeiten im Labor (z. B. Prüfung von Ausgangsstoffen), sämtliche gesetzlich vorgeschriebenen Prüfungen (z.B. Fertigarzneimittelprüfungen), Dokumentationsaufgaben (Transfusionsgesetz, Importe, Tierarzneimittel, QMS, sonstige dokumentationspflichtige Arzneimittel, Temperaturkontrollen, Hygienemanagement, wöchentliche Chargenrückrufe). Allein die vorgeschriebenen Dokumentationsaufgaben und deren Überwachung rauben sehr viel Zeit im Alltag und werden immer mehr, werden allerdings nur gefordert, nicht entlohnt. Verwaltung des Notfalldepots (wird eigentlich nur gelagert und bei Verfall erneuert, aber nur äußerst selten benötigt!). All diese ganzen Punkte, und noch viele weitere mehr, werden bei Ihrer Befragung nicht betrachtet! Wäre ich ein rein wirtschaftlich denkendes Unternehmen, würde ich die Aufgaben sicherlich nicht alle machen! Da Sie mir aber gesetzlich vorgeschrieben werden, erledige ich Sie natürlich! Frage mich aber, ob dies auch Versandapotheken im Ausland tun. Sicher nicht, sie werden dafür ja nicht entlohnt und stehen nicht unter der Aufsicht deutscher Behörden! Hoffentlich finden diese Punkte bei Ihrer Betrachtung noch eine Würdigung.



Die Regeln zur Abgabe von Medikamenten zu Lasten der Krankenkassen sind inzwischen kaum noch zu überblicken. Tägliche Arbeitszeit, die für Krakenkassenregeln draufgeht, ist locker 40 Minuten pro Mitarbeiter. Die ständige Recherche nach neuen Regeln ist bei mir persönlich auf 30 Minuten pro Tag angewachsen. Bei Heil und Hilfsmitteln ist inzwischen das völlige Chaos ausgebochen und reine Willkür bei den Krankenkassen, die noch NIEMALS uns die Regeln sagen konnten, da kein Mitarbeiter der Kasse sie beherrscht. Aber der Regress erfolgt postwendend!Der Zeitaufwand für Heil und Hilfsmittel ist teilweise 2-3 Stunden pro Abgabe. Wird nur noch als für uns sehr teurer Kundenservice gesehen.



Leider wird nicht nach den Vollzeitäquivalenten der Apothekenleitung gefragt (ca. 1,75!) Für die Dokumentation der Ausgangsstoffprüfung und die Rezepturdokumentation nutzen wir das Lennartz Laborprogramm, was zu zeitlichen Einsparungen führt (diese sind bei der Beantwortung der Fragen berücksichtigt), jedoch beachtenswerte Kosten verursacht. Uns fehlt die Frage nach dem zusätzlichen Zeitaufwand, der durch Klärungs- und Diskussionsbedarf mit den Patienten aufgrund von Rabattverträgen, Lieferengpässen etc. entsteht. Danke!



Es fehlt der zeitliche Aufwand für den Nacht- und Notdienst, bei uns auf dem Land alle 16 Tage. Es fehlt der Mehraufwand für hochpreisige Arzneimittel, Vorfinanzierung vor Bezahlung durch die Krankenkassen. Es fehlt der tägliche Aufwand für die Rezeptkorrektur, Kosten für die Rezepterfassung durch Scanner etc. Es fehlt der Aufwand für das Medikationsmanagement, bisher nicht durch Krankenkassen finanziert (ARMIN-Projekt) und das Vervollständigen des Medikationsplans. Es fehlt der Aufwand für das Betreiben eines QMS-Systems samt Zertifizierung. Es fehlt der zeitliche und finanzielle Aufwand für Fort- und Weiterbildung und Ausbildung. Es fehlt der zeitliche und finanzielle Aufwand für das Aufrechterhalten des Botendienstes auf dem Land zur flächendeckenden Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln. Es fehlt der zeitliche Aufwand für die Prüfung von Ausgangsstoffen für die Rezeptur. Es fehlt der zeitliche Aufwand für die tägliche Arzneimittelprüfung, Meldung von Arzneimittelrisiken an die Arzneimittelkommission. Es fehlt der zeitliche Aufwand für Doku der Blutprodukte, Importarzneimittel, Tierarzneimittel, T-Rezepte. Vorgeschriebene Mindestgröße und weitere Voraussetzungen lt. ApBetrO gelten nicht für Versandapotheken, genauso wie Pflicht zur Grundversorgung, Notdiensten, Rezepturen, Kontraktionszwang zur Abgabe von Arzneimitteln.


Wirtschaftliche Ressourcen...


Es erschliesst sich mir nicht, wie sie aus den abgefragten Informationen Antworten auf die Fragestellung "Ermittlung der Erforderlichkeit und des Ausmaßes von Änderungen der in der Arzneimittelpreisverordnung (AMPreisV) geregelten Preise" gewinnen wollen. Betrachten Sie dazu die Entwicklung der Gehälter in den Apotheken seit 2004 (Änderung der AMPreisVO) und die Entwicklung von Gehältern von Akademikern und Facharbeitern in anderen Branchen. Beziehen Sie in Ihre Betrachtungen auch den Mehrbedarf an Personal (ca. 20% !) für die Erfüllung der Rabattverträge und sonstigen seit dem dazugekommenen Pflichten (QMS etc.) ein. Die meisten Apothekenleiter würden Ihren Mitarbeitern gerne attraktivere Gehälter zahlen, wenn die wirtschaftliche Situation dies erlauben würde. Ca 30% der deutschen Apothekenleiter kann sich selbst weniger Gehalt "zahlen" als seinen angestellten Approbierten bei gleicher Arbeitszeit!! Mittlerweile können Sie als Single-PKA mit mehr als 7 Jahren Berufserfahrung in Vollzeit keinen eigenen Haushalt mehr führen ohne jeden Cent zweimal umzudrehen!! (netto ca. 1200€/m) Betrachten Sie auch die Anpassung der Vergütung der Apotheken für RX-Arzneimittel seit 2004 im Vergleich zur allgemeinen Entwicklung von Löhnen und Gehältern, Energiekosten, Ladenmieten (eben sämtliche Kosten eines Betriebes) und vergessen Sie nicht, dass auch dem Inhaber der Apotheke ein Einkommen zusteht!



Von meinen 3 PTA könnte ich eine einsparen, wenn wir nicht extrem viele Rezepturen hätten. Dies führt naturgemäß zu einer extrem schlechten Kostenstruktur, die mir die Wettbewerbsfähigkeit im OTC-Geschäft "verhagelt". Von meinem Betriebsergebnis könnte ich keinen Apotheker in Vollzeit bezahlen (OHNE Berücksichtigung der kalkulatorischen Kosten).


Das komplette Honorargutachten

45.000 Euro weniger pro Apotheke


Es gibt einige Apotheken, die nur noch geöffnet sind, um den Mietvertrag zu erfüllen. Durch die vollumfängliche Haftung mit dem gesamten privaten Vermögen, sind einige Kollegen gezwungen, ihre (unverkäufliche) Apotheke weiterhin zu führen. Diese Bedingen sind durch einen Fragebogen nicht erfassbar.



Arzneimittel sind keine Ware, auf die man Rabatte und Aktionen machen sollte! Warum unterliegen Bücher einer Preisbindung? Wenn ich totkrank bin, benötige ich Arzneimittel und keine Bücher? Warum zahlen wir auf Arzneimittel den Vollen Mwst-Satz? Wo zahlen die ausländischen Versandapotheken ihre Steuern? Ich habe im letzten Jahr eine Mitarbeiterin entlassen müssen! Die Einnahmen sinken und die Ausgaben für Verwaltung und Administration werden immer größer! Wenn man bedenkt, dass wir dazu noch der Willkür der Kassen bei Retaxationen ausgesetzt sind.... Die Existenz der Apotheke wird immer mehr gefährdet!



Warum versteht niemand, dass die Umsätze als Bezugsgröße nicht relevant sind. Umsätze und auch steigende Umsätze kommen durch Preissteigerungen, die von den Pharmaunternehmen gesteuert werden. Entscheidend ist der Rohertrag, also das Geld was nach Abzug des Wareneinsatzes übrig bleibt, um meine Kosten zu decken. Leider steigt eben dieser nicht immer an, wie es beim Umsatz der Fall ist. Das heißt, obwohl ich mehr Umsatz habe, verdiene ich nicht unbedingt mehr daran, weil steigende Kosten (Löhne, Energie, Miete) oder schlechtere Einkaufskonditionen nicht schneller und deutlicher steigen, als meine Einnahmen!


Apothekenpraxis...


Ergänzende Besonderheiten zum Betrieb der Apotheke: 1. Versorgung von wöchentlich 60 bis 100 Patienten im Rahmen der Substitutionstherapie, davon ca. 15% Patienten, die nur eine bis zwei Einzeldosen Substitutionsmittel verordnet bekommen = hoher personeller Aufwand, die Vergütung liegt teils unter dem Einkaufspreis der Ausgangsstoffe. Hinzukommen das Vorhalten höherer "Sicherheitsstandards" infolge der Lagerhaltung hochproblematischer Arzneimittel (in Bezug auf deren Missbrauchspotential, Beschaffungskriminalität). 2. Spezialpraxen in der Nähe der Apotheke fordern die Lagerhaltung hochpreisiger Arzneimittel, deren kurzfristige Anwendung regelmäßig gefordert ist z.B. eine Klinik für Reproduktionsmedizin = hoher Wareneinsatz... 3. Teilnahme/Durchführung von Nacht- und Notdienst. An einem normalen Wochentag suchen die Apotheke nachts ca. 30 Patienten auf, Sonn- bzw-. Feiertags zwischen 200 und 600 - um die Versorgung qualitätsgerecht zu realisieren, ist ein hoher Personaleinsatz notwendig.



Das Betätigungsfeld von Apothekern in öffentlichen Apotheken ist geprägt von Überregulierung. Die Verpflichtung zur Dokumentation, die immer schwieriger werdende Beschaffung von Arzneimitteln (Nichtverfügbarkeiten von sog. Kontingent- Arzneimitteln, Ausschöpfung von Skonti bei Direktlieferung von Hochpreisern usw.) , die Auseinandersetzung mit Retaxationen, die Vertragsverhandlungen mit Krankenkassen inkl. Präqualifizierung, Vertragsbeitritte, Kostenvoranschläge für Hilfsmittel, QMS, Besuch von der Aufsichtsbehörde, uvm. erschweren den Berufsalltag. Gleichzeitig erschwert der deutlich wahrnehmbare Wettbewerb im OTC-Bereich durch Versandhandelsangebote das Tagesgeschäft. Beratungsdiebstahl ist mittlerweile normal: Beratung erfolgt in der Apotheke vor Ort, der Kauf im Internet! Die Notdienstbelastung in ländlichen Gebieten ist schon heute erheblich. Ich leiste mit meinen 3 Apotheken 107 Nacht- und Notdienste im Jahr. Eine deutliche Anpassung der Honorierung ist lange überfällig: 8,35 € pro RX-Packung sind kein Garant für das Überleben kleinerer Apotheken, die aber deswegen nicht weniger zum Gemeinwohl beitragen.



Häufig werden in der Apotheke Beratungsgespräche geführt und zahlreichen Fällen wird durch das Apothekenpersonal von einem Kauf abgeraten, ein umgehender Arztbesuch empfohlen oder ein anderes Arzneimittel als das nachgefragte bzw. eine andere Therapie vorgeschlagen. Bei allen anderen Freiberuflern ist diese Beratung selbstverständlich kostenpflichtig. Bei Apotheken dagegen führt korrektes Verhalten zu Umsatzverlusten bei gleichzeitig deutlich erhöhtem Kostenaufwand: Die nach einer Beratung in der Apotheke als zielführend erkannten Medikamente werden billiger (da ohne Beratungsaufwand) über das internet bezogen, ggf. beim empfohlenen Arztbesuch von diesem als Ärztemuster ausgehändigt und oftmals teure, aber intensiv beworbene OTC-Präparate durch vergleichbare, billigere Medikamente ausgetauscht. Das bestehende Vergütungssystem wird dem Beruf Apotheker in keiner Weise gerecht: Für keine - auch noch so aufwändige - Beratungsleistung wie z. B. bei Homöopathika, Hilfsmitteln, Interaktionschecks oder adjuvanten OTC-Präparaten ist auch nur 1 Cent abrechenbar: Der Apotheker wird in diesem Honorarsystem zum akadem. Schubladenzieher degradiert. Und dafür bekommt er eine angemessene Schubladenziehgebühr. Ich würd gerne die pro Notdienst durchschnittlich anfallenden 10 x 2,50 € Notdienstgebühr spenden, wenn ich dafür schlafen dürfte. Eine Vertretung kostet das 10-fache. Als Gegenleistung genieße ich den "Schutz" durch die AMPreisVO des Staates, der RX-Boni aus dem Ausland toleriert, im Inland gleiches Verhalten sanktioniert und Apotheken mit zahllosen (für die meisten kleinstrukturierten Betriebe völlig unverhältnismäßig belastenden) Regelwerken unter Aufsicht eines Pharmazierates sanktioniert, wie es in keinem zweiten Beruf in Deutschland stattfindet. Kein Wunder, dass ein vorausschauender, junger Kollege sich unter diesen Umständen nicht als selbständiger Unternehmer niederlassen möchte.


BTMs und Rezepturen...


Durch Rezepturen wird momentan eine Mitarbeiterin durch die extrem aufwändige Dokumentation/Telefonieren den ganzen Tag beschäftigt. Durch die Rabattverträge hat sich das Lager und Bestellverhalten komplett geändert. Es ist unmöglich sämtliche Rabattarzneimittel (die sich auch noch ständig ändern) auf Lager zu haben. Dadurch sind die Prozesskosten (Bestellung/Handling Wareneingang etc.) drastisch gestiegen. U.a. muss nun Ware im Wert von ca. 5.000 Euro pro Jahr vernichtet werden, da bei Änderungen der Rabattverträge kein Abverkauf mehr möglich ist und der Großhandel diese Artikel nicht zurücknimmt. Durch Schätzung sind manche Zahlen nur mit Unschärfe zu ermitteln. Eine durch Apothekendaten gestützte Angabe wäre jedoch mit enormem Zeitaufwand verbunden, der nicht unentgeltlich erbracht werden kann. Durch wirtschaftliche Gegebenheiten, keine Margenerhöhung in den letzten 10 Jahren (nur 1x3% ) sind bei steigenden Gehältern (in diesem Zeitraum +30 !!! %) auskömmliche Gewinne nur bei extremer Selbstausbeutung zu erwirtschaften. Die mengenmäßigen Zuwächse können auch nur mit mehr Personal bewältigt werden. Gesetzliche Auflagen wie Notdienste, Beratungspflichten, Dokumentationen, Rezeptur, Pflichbevoratung und keine Möglichkeit von Automatisierung lassen keine wirksamen Sparmassnahmen zu Durchschnitte sind schwer zu beantworten, weil Rezepurdokumentationen oder Genehmigungen oder endlose Diskussionen über Rabattverträge leider inzwischen auch zum täglichen Apothekenablauf gehören und teilweise EIN Rezept uns stundenlang beschäftigt. Eigentum der Bank, da die Apotheke im Jahr 2014 in einen Neubau verlegt wurde, da sich der Ortskern verschoben hat, durch Ansiedlung von Supermärkten im Randbereich des Dorfes



Meine Apotheke weicht von der Durchschnittsapotheke ab: Wir haben 6600 Rezepturen, davon ca. 6300 als Defektur, abgabefertige FAM. Zusätzlich 1100 Methadonrezepte, Bulkware (Standgefäß) als Defektur. Zusätzlich 3000 L-Polmidonrezepte, Weiterverarbeitung nach NRF-Bulkware (Standgefäß) als Defektur. Zusätzlich 1450 Abgaben Subutex/Suboxone take home, Auseinzelung von Tabletten. Die Umsätze mit obigen Artikeln sind nicht in der Umsatzverteilung Rx/Non-Rx enthalten. Für das Ausfüllen des Fragebogens habe ich nicht "20" Minuten sonder eher 4 Stunden gebraucht.



Wir haben ein für eine normale Apotheke weit überdurchschnittliches Aufkommen an BTM und Rezepturen sowie Sonderbestellungen wg. Spezialisierung auf bestimmte Facharztgruppen und Altenheime. Die Dokumentationsanforderungen sind gewaltig. So haben wir im Jahr mehr als 4000 Rechnungen zu schreiben, davon 60% mit Beträgen bis zu 20.- € einerseits, andererseits einen Rechnungseingang von mehr als 2000 Stück (ohne GH !!) wegen Klein- und Kleinstbesorgungen.



Ein Problem bei der Rezepturherstellung ist, dass die Apotheke oft gezwungen ist, für nur eine Rezeptur Chemikalien zu bestellen, die häufig nie wieder verwendet werden können, da die Rezeptur nicht mehr vorkommt. Hier sollte die Möglichkeit geschaffen werden, diese Ausgangssubstanzen der Kasse komplett in Rechnung stellen zu können. Die Vergütung sollte entsprechend dem Zeitaufwand erfolgen. Da es sich bei der Rezepturherstellung um eine Handwerkliche Tätigkeit handelt, sollte man sich hier an Stundensätzen aus dem Handwerk orientieren. Ich bezahle für 1 Stunde eines Handwerkers, der in meiner Apotheke Reparaturen vornimmt weit mehr als ich für eine Stunde Rezepturherstellung erhalte.


Retaxierungen und Rabattverträge...


Es ist nicht nur unverhältnismäßig sondern in meinen Augen auch existenzbedrohend, wenn hochpreisige Arzneimittel (ab 250€ aufwärts bis hin zu 25.000€ oder mehr) ganz legal durch die Krankenkassen auf 0€ retaxiert werden dürfen. In meinen Augen sollte dieses Vorgehen auch einmal "überprüft" werden.



Das Risiko von Vollretaxionen wegen formaler Fehler muss eingepreist werden. Wenn Sie ein Arzneimittel abgeben und retaxiert werden, zB. weil der Arzt die Telefonnummer vergessen hat, bekommen Sie 0 €, haben aber das Arzneimittel eingekauft und dafür bezahlt. Bei hochpreisigen Arzneimitteln kann das existenzbedrohend sein. Bei kleineren Apotheken schlägt der regulatorische, bürokratische Aufwand prozentual mehr zu Buche - bei geringer Apothekendichte werden die Fahrzeiten für die Patienten bzw. die Dienstintervalle für die Apotheker unzumutbar. Hier wären sinnvolle Unterstützungen in infrastrukturell benachteiligte Gebiete wichtig.



Die Beschaffung von gängigen Medikamenten bereitet mehr und mehr Probleme. Zum einen sind häufig Rabattvertragsmedikamente nicht verfügbar, zum anderen müssen inzwischen sehr viele patentgeschützte Arzneimittel (scheinbar aufgrund der Erstattungsbeträge) im "Minidirektgeschäft" besorgt werden. Dies führt zur Zeit zu einem extremen Mehraufwand (pro Medikament ca 5-10 min). Die Zeit resultiert daraus, dass die Bestellung häufig nur über bestimmte WEBPortale (z.B. Pharma-Mall) getätigt werden können, die keine direkte Schnittstelle zu Warenwirtschaft haben. Jede einzelne Rechnung muss zusätzlich buchhalterisch verarbeitet werden,und und und. Hier liegt die prozentuale Quote dürfte inzwischen bei 5% liegen.



Nicht gefragt wurde bezüglich des Zeitaufwandes bei Rabattarzneimitteln. Die Umstellung der Patienten bei Wechsel der Rabattarzneimittel (auch BTM) kostet immens viel Zeit bezüglich Aufklärung, Überzeugungsarbeit, Unverträglichkeiten müssen geklärt werden, es besteht häufig die Gefahr von Doppeleinnahmen, Noncompliance, Gefährdung des Therapieerfolges. Hier werden die Beratungsleistung und der hohe Personalkostenaufwand durch die bestehende Arzneimittelpreisverordnung nicht ausreihend honoriert.


Hilfsmittel...


Die Bearbeitung der Hilfsmittellieferverträge ist mittlerweile so komplex, dass ich 2 pharmazeutische Mitarbeiter zu 50% ihrer Zeit beschäftige (1xPTA und 1X Apothekerin zu je 20h/Woche), damit wir überhaupt in diesem Sortiment lieferfähig sind.



Insbesondere bei Hilfsmitteln übersteigt der Zeitaufwand den Ertrag, da oft geringe Pauschalen angesetzt werden die auch noch genehmigt werden müssen. Auch die Präqualifizierungsanfordernungen, z.B. behindertengerechte Toilette bei Abgabe von Bandagen sind teilweise unsinnig und scheinen für andere Anbieter z.B Sanitätshäuser nicht zu gelten. Ich kenne vor Ort Sanitätshäuser, die Bandagen abgeben aber keine Kundentoilette haben. Nach Rezepturen wurde hier nicht gefragt aber auch hier übersteigt der Aufwand die Vergütungssätze.



Bei Inkontinenz überlegt sich mittlerweile jede Apotheke zweimal, ob man dem Vertrag mit einer Krankenkasse beitritt oder nicht. Manchmal entsteht sogar eine Quersubvention, dass ein Patient mit Inkontinenzmaterial versorgt wird, die Apotheke nicht einmal Ihre Kosten deckt und diese Kosten dann über die Abrechnung der Arzneimittel des Patienten wieder reinholt."



Eine Vereinfachung der Hilfsmittelabgabe würde eine enorme Zeitersparnis bedeuten. Teilweise lassen sich Abgabemodalitäten und Preise erst durch Nachfrage beim Verband klären, da kein Mensch mehr weiß,welchem Hilfsmittelvertrag er bei welcher Krankenkasse beigetreten ist, ob der noch aktuell ist. Was spricht gegen einen einheitlichen Hilfsmittelvertrag, der für alle Krankenkassen gleichermaßen gilt, mit gleichen Preisen. Das wäre wohl zu einfach.



Komplett nicht beachtet wurden die Betriebsfelder Heimversorgung, die einen enormen zeitlichen Faktor darstellen. Dementsprechend ist der Stücknutzen pro abgegebener Packung wesentlich geringer. Aufgrund der Überalterung der Gesellschaft wird dieser Geschäftszweig jedoch immer wichtiger, ohne den Bestand durch "Vor-Ort" Apotheken würde die Versorgung der Pflegeheime komplett zusammenbrechen.


Standort und Lieferdienst...


Wir sind eine Apotheke in einem größeren Ort. Apotheken haben eine starke soziale Funktion, sind Begegnungsstätte für die Menschen, wir leben im Ort, wohnen im Ort, die Menschen vertrauen uns und können das auch. Wir beraten unabhängig und sind nur dem Wohl des Patienten verpflichtet. Wir beraten und informieren auch ohne Verkauf, raten auch ab. Die Menschen fragen uns von Diagnosen bis zur Pflegeversicherung und Krankenkassenleistungen. Wir liefern jeden Tag mind. 3 Stunden lang Medikamente kostenlos zu den Menschen, die nicht kommen können. Wir haben 60 Stunden in der Woche geöffnet und jeden 8. Tag Not-und Nachtdienst. Wir versorgen mehrere Heime, machen im Jahr 25 Medikamentenkontrollen mit ca. 120 Stunden Zeitaufwand dafür. Wir halten 14 Vorträge und Schulungen für Pflegepersonal und Patienten im Jahr. Wir besorgen fehlende Medikamente dank guter intakter Großhandelsstruktur innerhalb von 3 Stunden. Wir haben Fernreiseimpfberatung. Wir nehmen an Qualitätszirkeln teil, sind in Gesundheitsnetzwerken und Gesundheitsregionen.



Apothekenmiete 2016 ca. 5000€ für 210 qm, 10-jähriger Mietvertrag.



Es handelt sich um eine Landapotheke - die Haupt-und Filialapotheke leisteten im Jahr 2016 insgesamt 75 Nachtdienste - bis auf drei wurden alle vom Apothekenleiter durchgeführt. Der Apothekenleiter kommt somit auf eine wöchentliche Arbeitszeit von ca. 50 - 60 Stunden. Das RX-Versandhandelsverbot sollte möglichst schnell kommen, ansonsten könnte es mit Landapotheken, die vor allem vom RX-Umsatz leben, bald vorbei sein ...



Meine Apotheke liegt in ländliche Lage. Es ist nun schon mehrere Jahre unmöglich eine Apotheker in Anstellung zu finden! Als Approbierte muss ich die gesamte Öffnungszeit und Notdienste allein abdecken!



Durch den Wegzug eines Arztes werde ich die Apotheke aufgrund der sich daraus ergebenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Jahr 2017 schließen müssen. Noch eine sehr wichtige Anmerkung: Man kann mit einer Apotheke sehr viel Umsatz machen. Aber: Ein sehr viel aussagekräftiger Wert ist der Rohgewinn. Ausserdem spielt die interne Kostenstruktur eine große Rolle. 


Die Umfrage selbst...


Bei der Zuordnung der Apothekenstandorte wurde NUR von städtischen bzw. Ideallagen ausgegangen. Offensichtlich ist nicht bekannt, dass der größte Teil der deutschen Apotheken von solchen Standorten mit idealen Voraussetzungen
bestenfalls träumen kann.



Einfacher wäre, wenn man die Inflationsrate/Teuerungsrate berücksichtigen würde.... 



Leider spiegelt die Befragung die Realität nicht ganz wieder. Ob ich 12 oder 60 Kapseln herstelle, spielt zeitlich gesehen keinen Unterschied. Wieso wird die Rezeptkontrolle nicht angesprochen? Bei uns werden die Rezepte 3-4 mal kontrolliert bevor das Medikament zur Abrechnung kommt. Erste Kontrolle beim Patienten, zweite (sehr viel zeitaufwendigere) Kontrolle durch den Approbierten und dritte Kontrolle (Rabattvertragsprüfung -- > Rezepte werden gescannt und einzeln nach Rabattverträge kontrolliert). Gesamtdauer pro Rezept beträgt ca. 2 min!!! Es ist auch nicht leicht, Rezepturen eines ganzen Jahres zu bewerten.



Es fehlt die Frage nach dem Rohertrag. Der Umsatz ist hier eine täuschende Größe. Ferner fehlt die Frage nach den Personalkosten, da erst diese den Mehraufwand durch Bürokratie etc. bei immer weiter sinkenden Roherträgen (trotz Umsatzsteigerung!) messbar machen. Genauso entscheidend ist die Frage, wie sich die Personalkosten entwickelt haben/entwickeln mussten, um der überbordenden Bürokratie und dem Dokumentationswahn Herr bleiben zu können. Wie viel Zeit braucht ein Kunde generell, verglichen auch mit früher, um allen Verträgen gerecht zu werden, zusätzlicher Erklärungsbedarf durch Rabattverträge, und Mehrkosten etc. Wie viel Zeit benötigt die Abgabe und die Nacharbeit eines Rezeptes überhaupt? Damit verbunden auch die Frage nach Investitionen z.B. in EDV und Ausstattung, um die Maßnahmen umsetzen zu können, die den Krankenkassen wiederum dazu dienen, Geld zu sparen. Wie viel müssen Apotheken über Tarif zahlen, um den Arbeitsplatz Apotheke im Vergleich z.B. zur Industrie attraktiv halten zu können? (Oder im Falle von PTAs, dass sie überhaupt noch diesen Beruf ergreifen.) Das sind bedeutende Fragen, die leider komplett fehlen.



Mir ist unbegreiflich, wie ein externer Unternehmensberater anhand solch einer oberflächlichen Umfrage den Apothekenalltag auswerten möchte.



Befragung wurde als E-Mail Spam betrachtet. Erst durch Anmerkungen von Kollegen in den sozialen Medien, danach Stellungnahme der Verbände/Kammern, mit denen diese Befragung nicht abgestimmt gewesen ist, wurde diese Befragung als legitim erkannt.



Die "Herstellung von Pillen", welche in den Fragen zuvor auftauchte, ist in obsoleter Vorgang, da Pillen eine historische Zubereitungsform darstellen. Der Schöpfer der Frage nach den Pillen hätte diese Frage einmal durchdenken sollen.


Beruf und Berufung...


Die Apotheke wird häufig als kostenlose Informationsstelle ausgenutzt für Dinge, die entweder im Internet anderswo oder Drogeriemarkt erworben wird. Dies ist mit erheblichen zeitlichen und auch teilweise nervlichen Aufwand verbunden, ohne einen Cent Ertrag erzielen zu können. Der Apotheker ist der einzige akademische Beruf, der kostenlos und ohne Voranmeldung sein Wissen und seine Zeit zur Verfügung stellt!



Das momentane Apothekenhonorar ist absolut ungerecht. Beweis dafür sind die massenhaften über 3.000 Apothekenschließungen bundesweit. Auf die damit verbundenen persönlichen Schicksale der Apothekeninhaber möchte ich hier nicht näher eingehen. Wenn das jetzige Honorarsystem bestehen bleibt, ist mit weiteren massiven Schließungen zu rechnen. Die dann für die Bevölkerung entstehenden Versorgungslücken sind massiv und irreparabel. Um diese verhängnisvolle Entwicklung zu stoppen, müsste meines Erachtens folgendes geschehen: Eine vernünftige Honorierung der Apothekeninhaber und zwar durch Rückführung auf das Arzneimittelpreisverordnungsgesetz aus dem Jahr 2000. Alles andere ist Augenwischerei.




Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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4 Kommentare

Ostfriesen arbeiten jetzt überall ...

von Christian Timme am 18.12.2017 um 1:55 Uhr

Wenn bei dem Nachfolge- bzw. Ergänzungsgutachten alle in den Kommentaren angesprochen Faktoren und Hinweise berücksichtigt werden und offensichtliche Fehler bereinigt wurden, kommen wieder 2. bis 3. Mrd. Euro oben drauf ... ein guter Grund für das BMWi gleich den „Papierkorb“ zu wählen ... oder das ganze Ministerium zu schließen.

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Wohl Wahr

von Bernd Jas am 16.12.2017 um 10:23 Uhr

Dem ist nichts mehr hinzu zu fügen!

Jedoch das Traurige ist, dass schon niemand mehr über mögliche Investitionen, geschweige denn über existenzsichernde Rücklagen spricht.

Denn vermeintlich nötige Investitionen (bald z.B. Securpharm) werden aufgezwungen und Rücklagen sind nur noch dazu gut damit man sieht was wieder über einem schwebt um dann entsprechend buckeln zu können.


....Chris??, wo ist Deine Vuvuzela?

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AW: Wohl Wahr

von Christiane Patzelt am 16.12.2017 um 23:30 Uhr

AchMensch,meie Vuvuzela..bin ich genau so zugeschissen mit dem kaum zu bewältigenden Alltag und auf der Suche nach gutem Personal im Berliner Speckgürtel, hab ich die Vuvu total vergessen.
Und wem sollte ich damit auch die Sinne freitröten? Der selbstgefälligen ABDA oder dem politischen Sumpf von „DocMo-kauft-sich-heut-was-mit-Fliege-von-der-SPD“?

Die Würfel sind doch einfach schon gefallen, dieses gekaufte Gutachten ist ein Hohn und das Gelaber von Gemeinwohlpflichten kann sich die Bundesregierung, die auf offiziellen Seiten FÜR VERSANDAPOTHEKEN wirbt, gehörig in die Haare schmieren. Wir sollten Notdienste einstellen, Betriebsferien einführen und wie ein ganz normal kommerzielles Geschäft geführt werden. Schluß mit der Zwitterstellung - wir gehen offenen Auges vor die Hunde, unser Ruf gleich mit (siehe Testkäufe der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten — ich fühl mich wie ne Hexe im Mittellalter, die zur Jagd freigegeben wurde..).
Befreien wir uns doch endlich von dem „wir-sind-für-die-Gemeinschaft-wichtig“..Wenn es irgendwo billiger geht, scheisst die Gemeinschaft auf uns!
Machen wir uns frei — wir brauchen diese Karthasis! Schluss mit „für-umme“!!!

AW: Auch, und noch mehr Wohl Wahr

von Bernd Jas am 17.12.2017 um 13:03 Uhr

Tja unsere Zwitterstellung,
Da sachse was. Immer erpressbar, von der einen mit der anderen Seite und weils so´n Spaß macht dann auch wieder andersrum.

Stell dich endlich dem Wettbewerb, aber finanzier´ das nicht mit dem Honorar der Rezeptbelieferung.
Ohh, du böser Apotheker das ist aber nicht heilberuflich was du da machst, so viele unwirksame Mittelchen - und auch noch mit Kontraindikationen zu Hauff an ein und die selbe notleidende Kreatur zu verschachern.

Und obendrauf wird alles noch schön doku- und protokolliert.

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