Pharmacon Schladming 2018

„Apotheker können niemals Egoisten sein“

Schladming - 15.01.2018, 07:00 Uhr

Thema verfehlt! Das ist der Kommentar von Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, zum Honorar-Gutachten des Bundeswirtschaftsministeriums. (Foto: jb / DAZ.online)

Thema verfehlt! Das ist der Kommentar von Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, zum Honorar-Gutachten des Bundeswirtschaftsministeriums. (Foto: jb / DAZ.online)


Bei der Arzneimittelversorgung vor allem an das Gemeinwohl denken und Strukturprobleme, wenn sie denn vorliegen, regional lösen. Diese beiden Appelle an seine Berufskollegen und die Politik äußerte Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer, zum Auftakt des diesjährigen Pharmacon-Kongresses. Im Versandhandel, der sich zunehmend gesamteuropäisch organisiere, sieht er hingegen keinen gleichwertigen Ersatz – im Gegenteil: Mit Rabatten und Boni würden die Missstände erst entstehen.

Am gestrigen Sonntag wurde im österreichischen Schladming der Pharmacon-Kongress eröffnet. Bereits zum 48. Mal organisiert die Bundesapothekerkammer (BAK) den Winterkongress, der bis 2014 noch im Schweizer Davos seine Heimat hatte. Neben den deutschen Teilnehmern, unter denen sich rund 70 Pharmaziestudierende aus Frankfurt, Würzburg und Tübingen befinden, nehmen auch Apothekerinnen und Apotheker aus der Schweiz und Österreich teil. Obwohl sich der Kongress Internationalität auf die Fahnen geschrieben hat, kommen die Referenten dieses Jahr alle aus Deutschland. Die wissenschaftlichen Vorträge und Seminare zu neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen moderieren Prof. Thomas Weinke vom Klinikum Potsdam sowie Prof. Manfred Schubert-Zsilavecz von der Universität Frankfurt.

„Wir haben wenigstens eine Regierung“

Den Vortritt zu politischen Statements ließ BAK-Präsident Kiefer seinen Amtskollegen aus den Nachbarländern. Dr. Gerhard Kobinger, Mitglied des Präsidiums der Österreichischen Apothekerkammer, begann seine Grußworte augenzwinkernd mit dem Hinweis, dass man in Österreich immerhin eine Bundesregierung hätte. Doch im Folgenden machte er den deutschen Apothekern deutlich, dass es in der Alpenrepublik ganz andere Schwierigkeiten für den pharmazeutischen Berufsstand gebe.

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Von dispensierenden Ärzten und Versandfeinden

So seien viele Punkte bei der Apothekenhonorierung bei Weitem nicht so klar geregelt wie in Deutschland. Die Aufschläge auf Arzneimittel zulasten der Krankenkassen würden die laufenden Kosten nicht decken können, die Differenz müsse längst aus Privatverordnungen finanziert werden. Auch Notdienste seien weder durch Arzneimittelpreise noch durch einen Fond ausreichend honoriert. Zudem käme die besondere Situation in Österreich, dass Ärzte mit eigenen Hausapotheken dispensieren dürfen. Mit neuen Gesundheitsdienstleistungen, wie Screening-Aufgaben oder Impfen, wolle man versuchen, sich weitere Kompetenzen zu erarbeiten. Kobinger sieht mit dem Inkrafttreten der Datenschutzgrundverordung, der Einführung von elektronischen Rezepten sowie dem EU-Dienstleistungspaket auf alle europäische Apothekensysteme große Herausforderungen zukommen.

International analysieren und lokal anpassen

Auch für Fabian Vaucher, Präsident des Schweizer Apothekerverbandes pharmaSuisse, gibt es zwar fundamentale Unterschiede bei den Versorgungsstrukturen und Marktvoraussetzungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Doch für die Therapie von Patienten mit psychiatrischen oder neurologischen Erkrankungen müssten gleiche Regeln herrschen. So könne die Arzneimittelversorung dieser Gruppe nicht mit einem „Einlesen von Strichcodes“ erledigt sein, sondern individuell auf die Bedürfnisse und Fähigkeiten jedes Einzelnen eingegangen werden. Gerade bei Fällen von Multimedikation müsste das kritische Hinterfragen an erster Stelle stehen. Das „Deprescribing“, also das Wegstreichen unnötiger oder schädlicher Verordnungen, sei in vielen Fällen angebracht und die Kompetenz des Apothekers vor Ort. Das könne nicht der Versandhandel leisten. Für Vaucher steht fest, dass auch in Zukunft das Schweizer Gesundheitswesen von etablierten und bewährten Strukturen, die im Ausland herrschen, profitieren soll. Dafür wolle man internationale Modelle analysieren und auf lokale Begebenheiten anpassen.

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„Region first“ und keine „Bullshit-Jobs“

BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer ließ in seiner Rede keinen Zweifel daran, dass die Spitze der deutschen Standespolitik nach wie vor und sich mit Nachdruck dafür einsetze, dass ein Versandhandelsverbot für verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Politik auf den Weg gebracht werden müsse. Es sei ein „kapitalorientiertes Eigeninteresse“, das letztendlich der Solidargemeinschaft schade. Mit Boni würden Patienten gelockt werden und mit Scheinargumenten die Politiker. „Wer meint, dass der Arzneimittelversandhandel nötig sei, redet einen Notstand aus Eigeninteressen herbei“, fasst Kiefer zusammen. „Sollte es in der Zukunft zu Engpässen kommen, werden die Apothekenkammern regionale Lösungen finden.“ Bei den politischen Argumentationen sei es schwierig, überhaupt zu definieren, was Flächendeckung oder urban und ländlich bedeute. Untersuchungen hätten ergeben, dass weniger als ein Prozent der Bundesbürger mehr als vier Minuten mit dem Auto zur nächsten Apotheke bräuchten. Damit zukünftige Versorgungsmissstände effektiv gelöst werden können, müsse der Ermessensspielraum der Kammern erweitert werden. „Sowas kann nur regional gelöst werden und nicht bundes- geschweige denn europaweit.“

Als weiteren Aspekt führte der Kammerpräsident das Gemeinwohl an, zu dem sich die Apotheker von Berufs wegen verpflichtet fühlen. Dazu zählte er die Botendienste, Rezepturen, den Kontrahierungszwang und ständige Dienstbereitschaft. „Dies zu erfüllen, fußt letztlich auf der inneren Haltung und bedeutet für Apotheker deshalb eine hohe individuelle Verantwortung.“ Deshalb könne es seiner Ansicht nach auch keine Egoisten unter den Apothekern geben. Als „Thema verfehlt“ und „nicht zu korrigieren“ bezeichnete Kiefer das vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebene Honorargutachten und kommentierte es nicht weiter. Die Wertigkeit von Berufen und die entsprechende Honorierung richtig einzuschätzen, sei in vielerlei Hinsicht problematisch. Aus einer englischsprachigen Veröffentlichung zitierte er den Begriff „Bullshit-Jobs“, womit gut bezahlte Tätigkeiten gemeint sind, auf die die Gesellschaft auch verzichten könnte, zu denen er die Apotheker definitiv nicht zähle. In dem Artikel wurde dargestellt, dass je nützlicher die Arbeit sei, umso schlechter sie bezahlt wird.

Zum Abschluss seiner Rede forderte er mehr Verantwortung und Freiräume für den Berufsstand im Sinne der Patienten und der Arzneimitteltherapiesicherheit sowie eine bedarfsgerechte Versorgung, die vor allem durch die Kammern organisiert wird.

Fortbildung mit Alpenpanorama

Die 48. Pharmazeutische Fortbildungswoche Pharmacon der Bundesapothekerkammer (BAK) findet statt vom 14. bis 19. Januar in Schladming. Der Kongress mit seinen 15 Fachvorträgen beschäftigt sich in diesem Jahr mit neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen. Referenten aus den pharmazeutischen und medizinischen Fakultäten sowie der Apotheke werden den Teilnehmern pathophysiologische Grundlagen sowie die Pharmakotherapie der Depressionen, Angst- und Schlafstörungen, Multiplen Sklerose und Epilepsie vorstellen.

Jeweils am Folgetag können die Themen dann diskutiert und mit den Fragen aus dem Publikum vertieft werden. Im Vorraum des Kongresszentrums befinden sich während der mehrtägigen Veranstaltung zudem Infostände der Sponsoren und ABDA-Tochterunternehmen. Den berufspolitischen Höhepunkt bildet die Podiumsdiskussion am Donnerstagnachmittag, zu der die Spitzenvertreter der Standesvertretung erwartet werden.

Neben BAK-Präsident Dr. Andraes Kiefer werden die Spitzen von ABDA und DAV Friedemann Schmidt bzw. Fritz Becker sowie der ABDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Sebastian Schmitz auf der Hauptbühne Platz nehmen. Den Kongressteilnehmern soll die Möglichkeit gegeben werden, ihre Fragen vorab über Papierformate und online einzureichen, sodass sie gebündelt und gezielt in die Diskussionsrunde eingebracht werden können.



Dr. Armin Edalat, Apotheker, Chefredakteur DAZ
redaktion@deutsche-apotheker-zeitung.de


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6 Kommentare

... Egoisten sein ...dafür aber Ignoranten.

von Christian Timme am 15.01.2018 um 23:30 Uhr

Der „unkorrigierbare BAK-Präsident“ hat gesprochen und Fortbildung ist eben noch keine Weiterbildung ...

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Das sind doch gute Neuigkeiten!

von Wolfgang Müller am 15.01.2018 um 14:04 Uhr

Freuen wir uns doch, dass wir das nun auf diesem Weg erfahren, wenn auch ein bisschen indirekt: Dass der Kollege Kiefer hundertprozentige Gewissheit hat, dass die Politik ebenfalls hundertprozentig an unserer Seite steht und das 2HM-Gutachten genau wie er für komplett daneben gegangen hält. Schon in den Ansätzen, "Thema verfehlt", halt.

Anders als mit solchem vollständig abgesicherten Insider-Herrschafts-Wissen ließe sich ja nicht erklären, dass er das 2HM-Gutachten mit ebensolcher Gewissheit als "nicht korrigierbar" einstuft. Und ganz ganz sicher ist, es weiter vollkommen ignorieren zu können.

Für den Fall, dass ich mich doch irre (was ja kaum zu glauben wäre, denn so ein Bundes-Kammerpräsident weiß doch sicher, was er tut und sagt?): Dann hätten das die Kolleg/innen Patzelt und Rodiger bereits bestmöglich kommentiert und eingeordnet, bravo.

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Bürokratie -

von gabriela aures am 15.01.2018 um 11:15 Uhr

Abbau war einer der Wünsche des BAK-Präsidenten, der konstatieren mußte, daß diese Arbeit in den Apotheken überhand nimmt.
Ob er dabei die Vereinfachung der hauseigenen Verkomplizierungen dank ApoBetrO gemeint hat ?
Vermutlich nicht !
Hier sperrt sich die BAK seit Jahren gegen Forderungen aus den eigenen, gebeutelten Reihen.

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Fragen ?

von gabriela aures am 15.01.2018 um 11:08 Uhr

Gibt es denn bereits eine Adresse, an die die Fragen geschickt werden können oder wird die erst am Donnerstag um 15.30 Uhr bekanntgegeben ?

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ABDA=Merkel?

von Christiane Patzelt am 15.01.2018 um 10:27 Uhr

Ich hörte diese launige Rede direkt und mir fielen alle Gesichtszüge herunter, hätte ich Eier dabei gehabt...na, lassen wir das...Mich erinnert das Gebahren der Standesvertretung zunehmend an unsere Frau BuKa, die alles auszusitzen vermag (vom Ziehvater gut kopiert), die sich von Alltagsnickeligkeiten nicht irritieren lässt und somit in den Orbit eintritt, um zu höheren Zielen zu entschwirren. Läge man unsere Standesvertreter über das Modell „Politiker in D“, würde Herr Friedemann Schmidt nach seiner Amtszeit ein CEO bei DocMorris werden. Gut,Scherz beiseite, wir haben wie beim EUGh-Urteil (wieso musste da eigentlich KEINER den Hut in der ABDA nehmen—fatales Versagen auf vollster Linie!!! SECHS!! SETZEN!!) und beim Honorargutachten wunderbar vorgeführt bekommen, wofür unsere ABDA, auch unsere Kammerfürsten und Verbandfürsten nicht in der Lage sind: FÜR uns Beitragszahler, den Beruf-mit-Leben-füllenden-ApothekerInnen zu kämpfen! Die ABDA hat sich mit dieser Haltung selbst überlebt!!

Wo ich hinhöre, ich treffe kaum noch auf zufriedene Kollegen, der Alltag frisst die Seele auf und diese untätigen „Vertreter“ vertreten am Ende nur sich selber, aber nicht mich als (Land-)Apotheker. Und Herr Kiefer betonte mit seiner Rede noch, wir sollen uns am Gemeinwohl glücklich reiben, über Geld redet man ja nicht, das hat man gefälligst!! Was für eine Verhöhnung der InhaberInnen in ihrem alltäglichen Kampf. Wenn ich den Großhandel nicht bedienen kann und mir die Insolvenz um die Ohren fliegt, kann ich mich ja mit der Gemeinwohldecke die Nächte warm denken—was für eine schallende Ohrfeige, danke für NICHTS Herr Kiefer! Auch für Sie gilt: Thema verfehlt-SECHS! SETZEN!

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Fehleinschätzung

von Reinhard Rodiger am 15.01.2018 um 9:41 Uhr

Wenn etwas "nicht zu korrigieren ist", dann ist es entweder richtig oder es fehlt die Macht, es zu tun.Ein ernst zu nehmendes Gutachten so zu klassifizieren weist auf eine erhebliche Fehleinschätzung.Eine Auseinandersetzung ist zwingend und kann nicht einfach flapsig übergangen werden.

Richtig ist zwar, dass alle qualitativen Aspekte aussen vor gelassen wurden, doch hat dies nichts mit der BWL-Auseinandersetzung zu tun.

Das Problem ist, dass eine solche Debatte schwer seriös zu führen ist, wenn die Bewertung nur noch "Thema verfehlt" anführt. Das ist nicht der Fall. Das gilt vor allem, weil eine valide Begründung ausbleibt.

Es ist schwer zu verstehen, weshalb jede differenzierte Analyse den Fachmedien überlassen wird und gleichzeitig darauf verwiesen wird, dass es eines Kommentars nicht würdig ist.
Das ist jenseits Akzeptanz.

Ohne Deus ex machina ist das das Ende der Debatte, ohne sie überhaupt begonnen zu haben.Es ist eine fundamentale Fehleinschätzung, die Debatte zu meiden.

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