MedikamentenMissbrauch

Kiefer: Arzneimittel sind keine Konsumgüter

Berlin - 08.03.2018, 11:00 Uhr

Für BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer hat die Vor-Ort-Apotheke als "sprechende" Pharmazie bei der Aufklärung über Arzneimittelmissbrauch die wichtigste Rolle. (Foto: ABDA)

Für BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer hat die Vor-Ort-Apotheke als "sprechende" Pharmazie bei der Aufklärung über Arzneimittelmissbrauch die wichtigste Rolle. (Foto: ABDA)


Der Umgang mit Arzneimitteln scheint lockerer geworden zu sein. Einer aktuellen Umfrage zufolge findet es fast jeder zweite Bundesbürger akzeptabel, Medikamente ohne medizinische Notwendigkeit, beispielsweise zur Leistungssteigerung, einzunehmen. Die Hintergründe und Folgen von Arzneimittelmissbrauch wurden am gestrigen Mittwoch auf einem Symposium der Bundesapothekerkammer (BAK) diskutiert. Für BAK-Präsident Kiefer ist die Vor-Ort-Apotheke als „sprechende Pharmazie" bei der Aufklärung die wichtigste schützende Instanz.

Das Symposium der Bundesapothekerkammer (BAK) am gestrigen Mittwoch widmete sich dem aktuellen Ausmaß von, den möglichen Ursachen für und den Auswirkungen von Arzneimittelmissbrauch in Deutschland. Auf der Veranstaltung „Arzneimittelmissbrauch – Fakten und Herausforderungen“ in Berlin referierten BAK-Präsident Dr. Andreas Kiefer, Professor Martin Schulz (Vorsitzender der AMK), Professor Christoph Stein (Charité Berlin), Cornelia Frahn (Forsa-Institut) und Professor Marie-Luise Dierks (Medizinische Hochschule Hannover).

Gefahr durch Trivialisierung von Arzneimitteln

Nach Ansicht von BAK-Präsident Kiefer hat sich der Umgang mit Arzneimitteln bedenklicherweise in Richtung eines zu lockeren Umgangs gewandelt. „Arzneimittel sind Vertrauensgüter und keine Konsumgüter“, stellte Kiefer in seiner Einführung heraus. 

Doch nähmen seiner Einschätzung nach immer mehr Gesunde Medikamente ohne medizinische Notwenigkeit beispielsweise im Rahmen einer so genannten  „Selbstoptimierung“ ein. Auch die Verharmlosung von OTC-Arzneimitteln in der Werbung sowie Mengenrabatte und Dumping-Preise fördern seiner Meinung nach den Missbrauch.

Fast jeder Zweite akzeptiert Arzneimittelmissbrauch

Eine aktuelle online-Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag der BAK zum Umgang mit Arzneimittelmissbrauch, an der rund 5000 Bundesbürger zwischen 16 und 70 Jahren teilgenommen hatten, bestätigt diesen Eindruck. Cornelia Frahn berichtete, dass 43 Prozent, also nahezu jeder Zweite, es akzeptieren würden, Arzneimittel ohne medizinische Notwendigkeit einzunehmen.

Dabei scheint die Einnahme von Medikamenten für die Steigerung der geistigen Leistungsfähigkeit breiter akzeptiert zu sein, als für die körperliche im Rahmen von Sport-„Doping“. Als die wichtigsten Gründe gaben die Befragten unter anderem an, durch die Medikamenteneinnahme schwierige Situationen wie beispielsweise Präsentationen oder Verhandlungen besser meistern zu können oder bei sozialem Stress weniger nervös zu sein.

Der Statistik zufolge haben 17 Prozent der Deutschen schon einmal missbräuchlich zu verschreibungspflichtigen Arzneimitteln gegriffen. Davon hat sich jeder Zehnte die entsprechenden Rx-Medikamente illegal und ohne Rezept aus dem Internet beschafft.

Arzneimittelmissbrauch beschränkt sich laut Frahn allerdings nicht nur auf den verschreibungspflichtigen Sektor, sondern ist im verschreibungsfreien Bereich sogar noch mehr verbreitet. So geben 30 Prozent der Bundesbürger an, schon einmal verschreibungsfreie Arzneimittel ohne medizinische Notwendigkeit eingenommen zu haben und für weitere 25 Prozent käme dies grundsätzlich in Frage.  

Faktor Patient

Doch wie kommt es zu diesen Ergebnissen, die Kiefer in Berlin als „erschreckend“ einstufte? Professor Dierks relativierte die Umfrageergebnisse und brachte in ihrem Beitrag die Patientenperspektive ins Spiel. Ihrer Ansicht nach sollte nicht der Eindruck entstehen, dass Missbrauch von Patienten immer absichtlich betrieben werde. Denn um bewussten Missbrauch zu betreiben, müsse man eine gewisse Gesundheitskompetenz besitzen, was wiederum ein entsprechendes Bildungsniveau voraussetzten würde.

In Deutschland, so Dierks, hätten jedoch 26 Prozent Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, was sich wiederum auf die Gesundheitskompetenz auswirken würde. Für Dierks sollte daher in gesundheitliche Bildung investiert werden, wozu auch kommunikationsfördernde Tools für die Apotheke dazu gehören würden. Außerdem ermutigte sie die Apotheker, vermehrt unaufgefordert zu beraten.

Kiefer: OTC-Werbung einschränken

In der Abschlussdiskussion stellte BAK-Präsident Kiefer klar heraus, dass der Trivialisierung und Kommerzialisierung von Arzneimitteln entgegen gewirkt werden müsse. Am Werbeverbot für rezeptpflichtige Arzneimittel solle nicht gerüttelt werden.

Darüber hinaus schlug er vor, auch die Werbung für OTC-Produkte mit Missbrauchspotenzial einzuschränken. Zu den betroffenen OTC-Gruppen gehören seiner Einschätzung nach Nicht-Steroidale Antiphlogistika, Laxantien, Grippemittel, abschwellende Nasensprays und Schlafmittel. Außerdem sprach er sich für die Einführung von Preisuntergrenzen für rezeptfreie Arzneimittel aus. Auch Mengenrabatte, wie sie häufig im Versandhandel angeboten werden, hält Kiefer für kritisch.

In „sprechende“ Pharmazie investieren

Für AMK-Vorsitzenden Schulz wären Werbe-Einschränkungen im OTC-Bereich keine wirksame Lösung. Für ihn sei es relevanter, die Vor-Ort Apotheken zu stärken. Dabei nahm er auch Bezug auf das geplante Nationale Gesundheitsportal im Rahmen der Initiative „Allianz für Gesundheitskompetenz“. So äußerte er die Befürchtung, dass nicht diejenigen Menschen das Portal nutzen, die es wirklich bräuchten. „Ich will das Portal nicht kleinreden aber wenn ich Bundesgesundheitsminister wäre, würde ich lieber in die sprechende Pharmazie und Medizin investieren“.

Und über die wichtige Bedeutung der „sprechenden“  Pharmazie beim Thema Arzneimittelmissbrauch herrschte bei der Abschlussdiskussion allgemeiner Konsens. „Apotheker sind gefordert, im persönlichen Beratungsgespräch unsere Patienten über den Nutzen, aber auch die Risiken von Arzneimitteln aufzuklären. Bei rezeptfreien Medikamenten sind wir die einzigen, die Patienten informieren und beraten“, sagte Kiefer in Berlin.



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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