Interpharm 2018

Bei Tumorschmerzen verstehen, welche Art von Schmerz man behandelt

Berlin - 17.03.2018, 10:00 Uhr

Dr. med. Helmut Hoffmann-Menzel hob in seinem Vortrag auch immer die psychische Komponente in der Schmerztherapie hervor. (Foto: Schelbert / DAZ.online)

Dr. med. Helmut Hoffmann-Menzel hob in seinem Vortrag auch immer die psychische Komponente in der Schmerztherapie hervor. (Foto: Schelbert / DAZ.online)


Tumorpatienten leiden häufig an Schmerzen - und das nicht nur physisch, sondern auch psychisch. Umso wichtiger ist es, diese gezielt zu behandeln, um den Patienten nicht unnötig zu belasten. Dr. med. Helmut Hoffmann-Menzel erläutert auf der Interpharm, was bei einer differenzierten Schmerzdiagnose zu beachten ist und worauf es bei der Schmerztherapie von Tumorpatienten ankommt.

Schon bei der Erstdiagnose eines Tumors leiden 20 bis 40 Prozent der Patienten unter Schmerzen. Im späteren Verlauf trifft es fast jeden. Dr. med. Helmut Hoffmann-Menzel betonte auch die psychische Komponente. „Die zunehmenden Schmerzen fördern beim Patienten die Angst, dass es dem Lebensende entgegengeht“, erklärt der Mediziner in seinem Vortrag auf der Interpharm.

Um den Schmerz gezielt zu therapieren sei eine differenzierte Diagnose nötig. „Versuche zu verstehen, was du behandelst“, nennt Hoffmann-Menzel als wichtigen Grundsatz der Therapie. Denn nichts sei für den Patienten unangenehmer, als herum zu probieren. Um die Therapie auf das notwendigste zu beschränken, ist es wichtig, denn richtigen Schmerztypus festzustellen. Bildgebende Verfahren sollten bei der Diagnose aber möglichst vermieden werden, um den Patienten nicht unnötig zu belasten. „Bei 90 Prozent der Patienten ist eine Diagnose durch Befragung möglich“, erklärt Hoffmann-Menzel. Dabei sind ganz banale Fragen, zum Beispiel: „Wo tritt der Schmerz auf? Wann tritt der Schmerz auf? Wie fühlt sich der Schmerz an?“ essenziell. Denn so kann man zwischen viszeralen und somatischen Nozizeptorschmerzen oder auch neuropathischen Schmerzen unterscheiden.

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Mythen bei Analgetika

Die Therapie mit Analgetika sollte nach dem Prinzip „by the ladder, by the mouth, by the clock” erfolgen - also nach dem Stufenplanschema der WHO und bevorzugt oral. Hoffmann-Menzel ging dabei auch auf Mythen im Zusammenhang mit Analgetika ein. So impliziere der Name Nicht-Opioid-Analgetika, dass diese ungefährlicher als die Opiate seien. „Gerade die Organotoxizität ist aber bei NSAR wesentlich höher“, erklärt der Mediziner. Darunter fallen beispielsweise Nierenschäden und Ulkuserkrankungen. Ein Problem bei der Verordnung von Morphin sei außerdem, dass dessen Name immer noch verpönt sei. Bei Tumorpatienten steigt die Angst vor dem nahenden Tod. Oft würden Sätze wie „Ist es schon so weit bei mir, dass ich Morphium bekomme“ von den Patienten geäußert, sagt Hoffmann-Menzel.

Bei Opiaten die Eigenschaften beachten

Bei der Wahl der Opiate sind die individuellen Eigenschaften zu beachten. So ist Morphin immer noch der Goldstandard, aber bei Patienten mit Niereninsuffizienz aufgrund der akkumulierenden, toxischen Metabolite nicht geeignet. Die Gefahr vor Sucht und Atemdepressionen sei allerdings geringer als befürchtet, sagt Hoffmann-Menzel. Auf eine Frage aus dem Publikum, wie es zu den vielen Morphintodesfällen in den USA kommt, erläutert der Mediziner, dass der Einsatz von Opioiden in den Vereinigten Staaten aus deutscher Sicht sehr unqualifiziert sei. So werden diese oft schon bei Bagatellen verschrieben. Das führe in der Folge dann zu den vielen Heroinabhängigen, weil die Patienten, wenn sie keine Verordnung mehr erhalten, zu der illegalen Droge wechseln. 

Dr. med. Helmut Hoffmann-Menzel (Foto: Schelbert / DAZ.online)

„Glaube dem Patienten seine Schmerzen“

Hoffmann-Menzel ging auf zwei weitere Themen in der Schmerztherapie ein: Koanalgetika und Cannabis. Bei Koanalgetika, die ja alle ursprünglich für andere Indikationsgebiete zugelassen waren, ist es wichtig, den Patienten darauf hinzuweisen, dass die Wirkung erst verzögert einsetzt, die Nebenwirkungen jedoch sofort. Bei Cannabis sei die Datenlage nicht sehr gut, erläutert Hoffmann-Menzel . So gibt es so gut wie keine Evidenz, dass es bei nozizeptiven Schmerzen wirkt und nur wenig bei neuropatischen Schmerzen. Etwas besser ist die Evidenzlage für Schmerzen bei Spastiken. Das wichtigste aber sei, dass es gar keine Evidenz gibt, dass Cannabis besser wirke als wirkstoffbasierte Fertigarzneimittel.

Zum Ende des Vortrages wies Hoffmann-Menzel darauf hin, dass Schmerzen eine nicht messbare Gefühlsempfindung sind und deshalb „Glaube dem Patienten seine Schmerzen, auch wenn du sie ihm nicht ansiehst“ ein ganz wichtiger Grundsatz sei. Außerdem solle man den Therapieplan für den Patienten nicht nur aufstellen, sondern auch mit ihm besprechen. Denn wenn der Patient weiß, was er einnimmt, fördert das die Adhärenz.



Dr. Mathias Schneider, Apotheker, Volontär DAZ
redaktion@daz.online


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