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Hauptstadtkongress 2018
„Online-Apotheken nicht die richtige Antwort auf die Probleme strukturschwacher Gebiete“
Wie kann nachhaltige Strukturpolitik den ländlichen Raum stärken und zu einer Sicherstellung der Arzneimittelversorgung beitragen? Diese Frage stand am 7. Juni im Mittelpunkt einer Podiumsdiskussion zum sechsten Apothekerforum im Rahmen des „Hauptstadtkongresses 2018 Medizin und Gesundheit“ in Berlin. Dr. Andreas Kiefer (BAK) und Uwe Lübking (Deutscher Städte- und Gemeindebund) zeigten sich vorsichtig optimistisch – die Zeichen der Zeit seien erkannt.
Zahlreiche Fragen rund um die Sicherstellung der Arzneimittelversorgung – insbesondere in ländlichen Gebieten – gilt es in der Zukunft zu beantworten. In Zeiten der Zunahme des Online-Handels mit Arzneimitteln auf der einen Seite und einem Apothekensterben auf der anderen Seite sind zukunftsweisende Konzepte gefragter denn je. Antworten auf diese Fragen versuchten am gestrigen Donnerstag die Diskutanten der Podiumsdiskussion „Arzneimittelversorgung als Teil einer erfolgreichen Strukturpolitik“ zu finden, die im Rahmen des Apothekerforums während des diesjährigen Hauptstadtkongresses in Berlin stattfand.
Politiker sagten ab
Es diskutierten Dr. Andreas Kiefer, Präsident der Bundesapothekerkammer (BAK), und Uwe Lübking, Beigeordneter für Sozialpolitik des Deutschen Städte- und Gemeindebundes. Es fehlten die Stellungnahmen von Seiten der Politik, da Michael Hennrich (CDU) und Markus Tressel (Bündnis 90/Die Grünen) aufgrund einer Abstimmung im Bundestag absagen mussten. Die verbliebene Runde griff einige heiße Eisen der derzeitigen gesundheitspolitischen Diskussionen auf. Welche Rolle spielt der Versandhandel in der Zukunft? Was verändert sich durch fortschreitende Digitalisierung? Wie kann das Apothekensterben aufgehalten werden? Und wie kann auch in der Zukunft eine flächendeckende Arzneimittelversorgung insbesondere der ländlichen Regionen sichergestellt werden?
Strukturschwache Gebiete – Negativeffekte verstärken sich
Uwe Lübking startete mit einem Vortrag über Maßnahmen der Kommunen zur Infrastrukturstärkung und über Probleme strukturschwacher Regionen. „Die Frage der Infrastruktur ist eine sehr bedeutsame für die Strukturpolitik auf der kommunalen Ebene. Dabei spielt die medizinische Infrastruktur – und dazu gehört eben auch die Arzneimittelversorgung – eine ganz wichtige Rolle“, bekräftigte Lübking. Es gehe um die Frage der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse, doch sowohl in ländlichen Gebieten als auch in Ballungsräumen sei eine Zunahme der Heterogenität der kommunalen Landschaft zu beobachten. Strukturstarke und strukturschwache Gebiete entfernten sich in der Folge immer weiter voneinander. „Negativeffekte verstärken sich“, erklärte Lübking die Situation.
Kein Arzt, keine Apotheke
Spürbar seien für die Bewohner vor allem die Folgen. „Es wird gefragt, wie sieht es mit den Kitas und Schulen aus. Aber auch, wie sieht es mit der medizinischen und pflegerischen Versorgung vor Ort aus.“ Das seien nur einige Gründe für eine Abwärtsspirale in unterversorgten Gebieten. Eindringlich schilderte Lübking die Situation derer, die bleiben müssten, da sie zu alt, zu krank oder ohne ausreichende finanzielle Mittel seien. „Die Frage, wie sieht die medizinische Versorgung aus, ist ein wichtiges Thema in den Städten und Gemeinden“, bekräftigte Lübking. Der Sicherstellungsauftrag läge andererseits nicht bei den Gemeinden. Doch eines sei auch klar: kein Arzt gleich keine Apotheke
Strukturen stärken – Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse erhalten
Bestehende und zukünftige Probleme seien am besten durch eine bessere Zusammenarbeit aller Beteiligten der Gesundheitswirtschaft zu erreichen, darin stimmten Kiefer und Lübking überein. Beide zeigten sich vorsichtig optimistisch, dass die Zeichen der Zeit erkannt seien. „Die Vernetzung soll deutlich vorangetrieben werden“, versicherte Kiefer. Medizinische Versorgung, Arzneimittelversorgung und pflegerische Versorgung müssten zusammengedacht werden. Kiefer kann sich auch eine engere Zusammenarbeit von Ärzten und Apotheken vorstellen – auch arztgesteuert, wie er betonte. Doch es bräuchte ein grundsätzliches Bekenntnis der Politik zum Regionalprinzip, damit die Hilfe auch dort ankäme, wo sie gebraucht würde.
Beide Diskutanten waren sich zudem einig, dass Online-Handel mit Arzneimittel nicht die richtige Antwort auf die Probleme strukturschwacher Gebiete sein könne. Gerade ältere und multimorbide Menschen oder Menschen mit niedrigem Bildungsniveau bräuchten häufig eine persönliche Beratung, die eine Internet-Apotheke so nicht erbringen könne. Eine zunehmende Digitalisierung sei allerdings nicht mehr wegzudenken und werde in Zukunft alle Bereiche betreffen, so Lübking. Auch die Gesundheitswirtschaft müsse sich der Frage der Digitalisierung stellen, forderte er zudem. Es gehe letztlich darum, die Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse zu erhalten. Lübking benannte aber auch die Grenzen: „Was nützt es einem Notfallpatienten, wenn er zwei Tage auf ein Arzneimittel warten muss.“ Der Versandhandel könne die Vor-Ort-Apotheken nicht ersetzen – höchstens ergänzen.
Apothekensterben – Was tun, Herr Kiefer?
Andreas Kiefer bedauerte den Zusammenhang „Supermarkt weg, Arzt weg, Apotheke weg“. „Für die Akutversorgung gibt es nur die Apotheken vor Ort und alles, was die schwächt, ist schlecht“, versicherte er und forderte gleichzeitig: „Im Bund muss die Politik ein Zeichen setzen und sagen, wir unterstützen die Kommunen.“ Ein Apothekensterben könne so zum Teil aufgehalten werden. Junge Apotheker müssten überzeugt werden, auch in strukturschwache Regionen zu gehen. Zudem müsse eine Antwort auf die Frage gefunden werden, wie viele Apotheken Deutschland brauche, um eine Versorgung sicherzustellen. Das könne jedoch nicht einfach beantwortet werden. Vor allem aber sei eine Verringerung der Apothekenzahl kein Weg, Gesundheitskosten zu senken.
Versandhandel – ungeeignet und unsolidarisch
Gegen den Versand von Arzneimitteln spricht lauf Kiefer vor allem, dass er nicht für die Akutversorgung geeignet sei und außerdem die Entsolidarisierung der Gesellschaft gefördert werde. Die Alten, Kranken und Schwachen der Gesellschaft seien am Ende nicht diejenigen, die sich die Rosinen rauspicken und sich zudem durch Boni „bestechen“ lassen könnten, erregte sich Kiefer über dieses Ungleichgewicht. Die Menschen, die eine Arzneimittelversorgung am dringendsten bräuchten, hätten gleichzeitig häufig die geringste politische Durchsetzungskraft.
Kiefer hält zudem Floskeln wie „in Zeiten der Digitalisierung könne ein Versandhandel mit Arzneimittel nicht verboten werden“ für wenig zielführend. Im Gegenteil sei dieser Ansatz aus vielerlei Gründen falsch und beantworte außerdem nicht, ob er auch bedarfsgerecht sei. „Es geht nur noch um eine wirtschaftliche Auseinandersetzung und nicht mehr um Qualität“, bedauerte er angesichts der aktuellen Diskussionen. Lübking ergänzte: „Wenn man Regionalkonzepte durchsetzt, wird sich die Frage nach einem Online-Handel gar nicht so stellen.“ Andererseits werde europäisch entschieden, wie es mit dem Versandhandel weitergehe und nicht in Deutschland alleine, schränkte er ein.
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