194 Millionen Euro fürs Marketing

Werbeausgaben der Krankenkassen seit 1995 verdreifacht

Berlin - 31.07.2018, 07:00 Uhr

Plus 218 Prozent: Die Werbeausgaben der Krankenkassen sind seit der Einführung des Wettbewerbs im Kassensystem von 61 Millionen Euro auf 194 Millionen Euro gestiegen. Branchenführer: die AOK, größte Steigerungsrate zuletzt: die Ersatzkassen. (Foto: dpa)

Plus 218 Prozent: Die Werbeausgaben der Krankenkassen sind seit der Einführung des Wettbewerbs im Kassensystem von 61 Millionen Euro auf 194 Millionen Euro gestiegen. Branchenführer: die AOK, größte Steigerungsrate zuletzt: die Ersatzkassen. (Foto: dpa)


Werbebanner in Fußballstadien, Kooperationen mit Sportverbänden und Plakate in U-Bahnhöfen – die Krankenkassen werben, wo sie können. Wie viel Geld sie dafür maximal ausgeben können, ist reguliert. Trotzdem ist die Gesamtsumme der Marketingausgaben in den vergangenen 23 Jahren förmlich explodiert – von rund 61  Millionen Euro im Jahr 1995 auf 194 Millionen Euro im Jahr 2016, das zeigt eine Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken. Die größte Steigerungsrate leisteten sich mit 53 Prozent zuletzt die Ersatzkassen.

Wenn es um die Verabschiedung neuer Gesetze in der Gesundheitspolitik geht, kämpfen die Lobbyverbände der Krankenkassen und die Kassen selbst um jeden Euro. Im Interesse der Versichertengemeinschaft, so heißt es stets, müsse darauf geachtet werden, dass die Ausgaben für Arzneimittel, die ambulante Versorgung oder die Klinikversorgung im Zaum gehalten werden. Nun ist es nicht so, dass die Kosten der Versorgung nicht angestiegen sind: Seit 1995 haben sich die Leistungsausgaben von 124 Milliarden Euro auf mehr als 230 Milliarden Euro fast verdoppelt. Allerdings sind die Ausgaben der GKV für eigene Marketing- und Werbeaktionen im gleichen Zeitraum sehr viel schneller gewachsen: Nämlich von knapp 61 Millionen Euro (1995) auf knapp 194 Millionen Euro (2016).

Das geht aus der Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervor, die DAZ.online vorliegt. Die Linksfraktion hatte sich in ihrer Anfrage auf mehrere Themengebiete rund um die GKV konzentriert. Hauptsächlich ging es um den Kostenfaktor Satzungsleistungen: Das Bundesversicherungsamt hatte als Aufsichtsbehörde der bundesweit agierenden Kassen vor einigen Wochen moniert, dass die Kassen immer häufiger Satzungsleistungen ohne jegliche medizinische Evidenz anbieten. Mit dem Thema Satzungsleistungen gaben sich die Linken aber nicht zufrieden und wollten vom Bundesgesundheitsministerium (BMG) wissen, wie sich die Werbeausgaben der Kassen seit dem Inkrafttreten des Gesundheitsstrukturgesetzes (1993) entwickelt haben. Zur Erklärung: Mit dem Gesetz wurde der Wettbewerb zwischen den Kassen durch die freie Kassenwahl eingeführt.

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Wie viel die einzelnen Kassen beziehungsweise Kassenarten wirklich für Marketingzwecke ausgeben, war bislang recht unklar: Gerne sprachen die Kassen nicht darüber. 2016 hatte DAZ.online beispielsweise zu diesem Thema recherchiert und von den Kassenverbänden lediglich vage Angaben bekommen. Die Bundesregierung hat gegenüber der Linksfraktion nun aber genau aufgeschlüsselt, wie sich die Ausgaben pro Kassenart seit 1995 entwickelt haben. Spitzenreiter bei den Werbeausgaben waren 1995 die Ersatzkassen, die mehr als 36 Millionen Euro dafür lockermachten. Das AOK-System hatte – im Vergleich zu seiner Größe – damals noch recht moderate Werbeausgaben von knapp 17 Millionen Euro.

Dieses Blatt hat sich nun aber gewendet: Die elf Ortskrankenkassen und ihr Bundesverband gaben 2016 fast 80 Millionen Euro für Marketing und Werbung aus und führen damit vor den Ersatzkassen, den BKKen, den IKKen und der Knappschaft Bahn See. Insbesondere als sportbegeisterter Mensch kommt man an der AOK-Werbung nicht vorbei: In den meisten Bundesligastadien hängen an allen Rängen und am Spielfeldrand die grünen Plakate. Am bekanntesten ist wohl die Kooperation des AOK-Bundesverbandes mit dem Deutschen Handballbund (DHB). Laut einem FAZ-Bericht gibt der Kassenverband jährlich bis zu 700.000 Euro alleine für die Trikotwerbung im Handballbereich aus.

Barmer, TK und Co.: 24 Millionen Euro mehr in vier Jahren

Was die Wachstumsraten der Werbeausgaben betrifft, liegen die AOKen allerdings nicht vorne. Hier wäre als erstes die Knappschaft Bahn See zu nennen, die 1995 etwas mehr als 35.000 Euro für ihre Werbeaktivitäten ausgab und nun bei knapp 5 Millionen Euro liegt – wobei diese Zahlen immer noch vergleichsweise niedrig sind. Die größten Steigerungsraten verzeichneten zuletzt aber die Ersatzkassen: Alleine zwischen 2012 und 2016 gaben TK, Barmer und Co. rund 24 Millionen Euro mehr für ihre Werbung aus und lagen 2016 bei knapp 71 Millionen Euro, das entspricht einer Steigerung von etwa 53 Prozent.

Doch ganz unreguliert dürfen die Ausgaben der Kassen für Werbung und Marketing nicht wachsen. Die Kassen müssen sich laut Gesetz an den „Grundsatz der Wirtschaftlichkeit“ halten. Konkret ist der Begriff „Wirtschaftlichkeit“ in den „Gemeinsamen Wettbewerbsgrundsätzen der Aufsichtsbehörden der gesetzlichen Krankenversicherung vom 11. November 2015 (Wettbewerbsgrundsätze 2016)“ formuliert. Dort heißt es: „Bei den Ausgaben für allgemeine Werbemaßnahmen ist das Gebot der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit zu beachten. In der Regel ist dieser Grundsatz gewahrt, solange die jährlichen Ausgaben der einzelnen Krankenkasse für allgemeine Werbemaßnahmen – einschließlich der entsprechend auszuweisenden Verbandsbeitragsanteile – 0,15 Prozent der monatlichen Bezugsgröße gemäß § 18 SGB IV je Mitglied nicht überschreiten.“

Höhe der Werbeausgaben hängt vom Verdienst der Versicherten ab

Konkret hängt die Höhe der Werbeausgaben also von der sogenannten Bezugsgröße ab. Die Bezugsgröße wiederum wird für jedes Kalenderjahr durch das Sozialministerium berechnet und orientiert sich am Durchschnittsentgelt aller Versicherten. Da dieses in den vergangenen Jahren gestiegen ist, durften die Kassen auch immer mehr für ihre Werbung ausgeben. 2016 lag der Wert bei 4,36 Euro pro Mitglied.

In seinem Bericht zum GKV-Markt hatte das Bundesversicherungsamt die Steigerungsraten bei den Werbeausgaben zuletzt auch kritisch beäugt. Das BVA stellte einen Vergleich zu den Ausgaben der Kassen für die individuelle Primärprävention an, für den die Kassen 2016 rund 210 Millionen Euro ausgaben. Laut BVA gab es innerhalb der Werbeausgaben den deutlichsten Anstieg bei den Kosten, die durch private Dienstleister angefallen sind. Denn für ihre Werbekampagnen beschäftigen die Kassen PR-Agenturen. Laut BVA werden aber auch Dienstleister zur Rückgewinnung von „Kunden“ eingesetzt.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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