Placebo-Forscher Winfried Rief in der SZ

„Homöopathie: Nur Integration in Pharmazie und Medizin ermöglicht Qualitätskontrolle“

Stuttgart - 23.08.2018, 09:00 Uhr

Placebo-Forscher Winfried Rief findet, dass „Placebo-nahe" Interventionen wie Homöopathie in Medizin und Pharmazie ihren Platz haben müssen. ( j/ Foto: Imago)

Placebo-Forscher Winfried Rief findet, dass „Placebo-nahe" Interventionen wie Homöopathie in Medizin und Pharmazie ihren Platz haben müssen. ( j/ Foto: Imago)


„Placebo-nahe" Interventionen wie Homöopathie müssen in der Medizin und Pharmazie integriert bleiben, findet  Winfried Rief, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie. In einem Meinungsbeitrag in der der Süddeutschen Zeitung erklärt er, warum. Damit vertritt er eine etwas andere Meinung als der frühere Homöopath und heutige Homöopathiekritiker Edzard Ernst, der vor kurzem an gleicher Stelle darlegte, warum seiner Ansicht nach Homöopathie aus der Apotheke verschwinden sollte.

Die Außenansicht in der SZ vom gestrigen Mittwoch wirkt fast wie Replik auf die Ausführungen des früheren Homöopathen und heutigen Homöopathiekritikers Edzard Ernst von vor knapp zwei Wochen. In dem Meinungsbeitrag erklärte Ernst, warum die Homöopathie als „reine Placebo-Therapie“ in den Apotheken schon lange nichts mehr verloren habe. Das Argument, die Apotheker befriedigten hier nur einen Bedarf, ließ er nicht gelten, sondern es führte ihn zu der Frage, ob Apotheker Heilberufler oder Kaufleute seien. Natürlich seien sie beides, befand der Mediziner, aber primär üben sie in seinen Augen einen Heilberuf aus. Sie gelten als, wenn laut Ernst auch nur vermeintlich, vertrauenswürdige Ansprechpartner in Gesundheitsfragen. Für Patienten, die sich für Homöopathie interessierten, seien Apotheker oft die einzigen Experten, die man zu Rate zieht, schreibt er. Diese Stellung komme nicht ohne Verpflichtungen. Ernst führt an, dass auch Apotheker, wie alle Heilberufler, ethischen Grundsätzen unterliegen. Die Grundsätze bestimmten, dass Apotheker im Interesse ihrer Kunden handeln, dass sie ehrlichen und zuverlässigen Rat geben, und dass sie fachlich kompetent sein müssten, schreibt er. Gemäß diesen Grundsätzen müssten Homöopathika früher oder später aus den Apotheken verschwinden, findet Edzard Ernst.

„Obwohl diese Methoden helfen, gelten sie als unlauter“

In der SZ-Ausgabe vom gestrigen Mittwoch findet sich an gleicher Stelle ein weiterer Meinungsbeitrag zu dem Thema. Er stammt von Winfried Rief, Professor für Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität Marburg, der eine überregionale Forschergruppe zu Placebo- und Nocebo-Effekten leitet. In seinem Beitrag kritisiert er, dass medizinische Maßnahmen in der modernen Medizin nur noch als wirkungsvoll eingeschätzt werden, wenn sie in Studien besser abschneiden als Placebo-Behandlungen. Therapien, die diesen Beweis nicht erbringen, würden nicht in Leitlinien aufgenommen. Er schreibt: „Obwohl viele Patienten Besserungen auch bei solchen Behandlungen beschreiben, gelten sie als unlauter und man versucht, sie aus dem Ärzte- und Apothekeralltag zu verdrängen.“

Er stellt die Frage, was passiert, wenn dieses Argument des Zusatzeffekts der „wahren“ Therapie über den Placebo-Effekt hinaus manchmal nicht zutrifft oder gar den Blick auf andere Wirkfaktoren verstellt – ein bedrohlicher Gedanke bringe er doch die Grundfesten der modernen, evidenzbasierten Medizin ins Wackeln. Rief kritisiert, dass Effekte außer dem „vermeintlich ausschließlich auf das Medikament rückführbaren Zusatzeffekt“ in der heutigen Medizin nichts wert seien. Damit missachte die Medizin wissenschaftlich belegte Wirkfaktoren. Und in seinen Augen kommt es noch schlimmer: Diese Beiträge zum Behandlungserfolg, zu denen zum Beispiel positive Erwartungen, aber auch frühere Erfahrungen oder allein schon der ärztliche Kontakt, zählte, werden Jahr für Jahr reduziert.


„Homöopathie, Akupunktur und Co. müssen erneut einer wissenschaftlichen Bewertung unterzogen werden“

Seiner Meinung nach hat man nur dann nachhaltigen Therapieerfolg, wenn neben den klassisch-medizinischen Maßnahmen die Wirkfaktoren eingesetzt werden, die zu einem positiven Placebo-Effekt beitragen. Die Medizin habe diesen Blick auf unterschiedliche Wirkfaktoren verloren und diese der Homöopathie und Alternativmedizin überlassen.

Rief plädiert dafür, solche wissenschaftlich belegten, über die „rein-biochemische“ Medikamentenwirkung hinausgehenden Effekte wieder in die Medizin einzugliedern – was eine Herausforderung sei. So müssten Studienpläne vielfältiger werden, um das Zusammenspiel unterschiedlicher Faktoren zu untersuchen, statt am Modell eines einzelnen relevanten Wirkprozesses festzuhalten. Und: „ ‚Placebo-nahe‘ Interventionen wie Homöopathie, Akupunktur und manche naturheilkundlichen Ansätze müssen in der Medizin und Pharmazie integriert bleiben, da nur so eine entsprechende Qualitätskontrolle möglich ist. Aber sie müssen erneut einer wissenschaftlichen Bewertung unterzogen werden.“

 „Faktor Mensch wird wieder ernst genommen“

Nach Riefs Ansicht müsse zum Beispiel, eine Akupunktur-Behandlung der Schmerzmedikation vorgezogen werden, wenn sie bei vielen Patienten mit chronischen Schmerzen bessere Behandlungserfolge und weniger Nebenwirkungen erbringen sollte als gängige Schmerzmedikamente – und zwar selbst dann, wenn die Akupunktur nicht besser abschneiden sollte als Placebo-Akupunktur.

Seinen Text schließt er dann mit den Worten: „Durch die Wiedereingliederung von Placebo-Effekten in das medizinische Denken werden nicht nur Behandlungen im Sinne der Patienten erfolgreicher. Der in der Medizin oft als Störvariable betrachtete ‚Faktor Mensch‘ wird wieder ernst genommen.“ 



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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2 Kommentare

Schon lange meine Meinung

von Stefan Haydn am 24.08.2018 um 11:01 Uhr

Die Aussagen des Professors kann ich nur unterstützen, auch aus eigener Erfahrung.
Es muss heutzutage wirklich darüber diskutiert werden, was wir von ärztlicher Therapie erwarten. Bei den riesigen Summen die jedes Jahr mit steigender Tendenz in ärztliche Tätigkeit investiert werden, muss ein ganz klarer Nutzen für den Patienten dahinter stehen. Der zahlt schließlich dafür.
Meine eigene Erfahrung und die Gespräche mit Patienten im Arbeitsalltag zeigen da leider zunehmend ein eher düsteres Bild. Wenn der Patient sich nur noch als Störfaktor vorkommt, der sich mit seinen Beschwerden nicht ernst genommen fühlt, läuft etwas gewaltig schief. Und ich meine hier nicht die eingebildeten Kranken, die es ja auch gibt und die tatsächlich nerven können.
Aber wenn junge Patienten mit Aussagen wie, da müssen sie halt mit leben alleine gelassen werden, weil der Arzt keine vernünftige Blutwertbestimmung macht, oder nicht zuhört bei der Symptombeschreibung, ist das ein Armutszeugnis. Teilweise wird ja noch nicht einmal nach dem Berufsalltag und dem Freizeitverhalten gefragt.

Vielleicht sollten auch Mediziner mal verinnerlichen, dass sie letztlich Dienstleister am Patienten sind, auch wenn der leider keine vernünftigen Sanktionsmöglichkeiten hat.
Die Patienten generieren den Ärzten ihr durchaus auskömmliches Einkommen, da dürfen sie auch etwas für erwarten. Sie sind keine Bittsteller!

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Darüber sollte man mal ernsthaft nachdenken

von Hummelmann am 23.08.2018 um 21:11 Uhr

Ein sehr guter Gedanke!
Ich höre ganz oft als "Totschlag-Argument" der Homöopathie-Gegner dass Heilpraktiker und Anhänger der Komplementär-Medizin nur deshalb Behandlungserfolge aufweisen können, weil sie sich mehr Zeit für die Patienten nehmen. Aber wenn das wirklich so ist, müsste die einzig sinnvolle Konsequenz sein, dass die Anhänger der Schulmedizin zukünftig dem Patienten deutlich mehr Aufmerksamkeit widmen als den heiss geliebten evidenzbasierten Therapielisten. Über diese Frage würde ich viel lieber Kosten-Nutzen-Analysen lesen als über die Frage, ob sich unser Gesundheitssystem noch fünf Globuli leisten kann...

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