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28. August 2018
Da räumt eine bayerische Apothekerin ein paar Globuli-Fläschchen aus dem Sichtwahlregal, weil sie als „ehrliche Apothekerin“ nichts von diesem Hokuspokus hält. Ihre Aktion schafft es in einige bayerische Tageszeitungen, löst wilde Diskussionen aus. Shitstorms im Netz gehen über sie nieder. Einige Kolleginnen und Kollegen drohten sogar, sie bei der Kammer anzuzeigen oder den Pharmazierat auf sie zu hetzen. Mein liebes Tagebuch, unglaublich, welche Emotionalität in Zuckerkügelchen steckt – wie in allen Religionen und Glaubenssachen. Dabei hat die Apothekerin nichts Böses, Unanständiges oder Verbotenes gemacht – sie hat ihre Überzeugung nur publik gemacht. Die überwiegende Zahl an Apotheken in Deutschland dürfte vermutlich ebenfalls kein Sichtwahlregal mit Homöopathika haben, der Platz ist einfach zu kostbar, um Saccharosekügelchen mit lustigen Namen auszustellen. Aber, mein liebes Tagebuch, spitzen wir’s mal zu: Wie weit ist es gekommen, dass eine Apothekerin um ihr Leben bangen muss, wenn sie öffentlich zugibt, von Homöopathie nichts zu halten?
Der Rücktritt der brandenburgischen Gesundheitsministerin Golze war konsequent. Wie der Bericht der Taskforce zeigt, sind in ihrem Ministerium schwere Fehler passiert, es liegen „strukturelle und organisatorische Mängel“ vor. Der Bericht soll zudem schwere Vorwürfe gegen das Ministerium und die Aufsichtsbehörden in Brandenburg erheben. Aber aus dem Bericht gehen weitere pikante Details hervor. So soll bereits 2017 das Bundesgesundheitsministerium von den Vorwürfen gegen Lunapharm erfahren haben. Freilich, zuständig für die Überwachung ist nicht das BMG, aber vielleicht hätte das Ministerium nachfragen können, warum Lunapharm weiterhin trotz bekannter Mängel und fehlender Dokumente weiter mit Arzneimitteln handeln durfte.
Mein liebes Tagebuch, solche Erkenntnisse und der Rücktritt der Ministerin ist das eine. Im Raum stehen allerdings noch viele offene Fragen zum Lunapharm-Skandal: Wie groß ist der gesundheitliche Schaden, der den Patienten durch diesen Arzneimittel-Skandal entstanden ist? Wurden die in Griechenland gestohlenen Arzneimittel auf dem Transport ausreichend gekühlt? Wie viele Patienten haben überhaupt diese Arzneimittel erhalten? Fragen über Fragen – was letztlich zu der Frage führt: Soll es in Zukunft weiterhin möglich sein, dass solche Ex- und Importfirmen im Arzneimittelhandel tätig sein dürfen? Wie schön und sicher wäre es, wenn es nur einen Weg gäbe: Hersteller – Großhandel – Apotheke.
Ok, Pharmafirmen sind umsatz- und gewinnorientierte Unternehmen. Dennoch, sollte man von einem pharmazeutischen Unternehmen nicht auch ethisches Verhalten erwarten können? Schließlich geht es um die Gesundheit von Menschen. Janssen, eine pharmaceutical company von Johnson+Johnson, hält sichtlich nicht viel von solchen Werten. Die Company bekam für ihr HIV-Kombipräparat Symtuza keinen Zusatznutzen attestiert und musste demzufolge ihren Preis senken. Auf dem Lagerwertverlust, 1285 Euro pro 90er-Packung, bleiben nun Apotheken sitzen – Janssen hat entschieden „Preisanpassungen, die aufgrund gesetzlicher Vorgaben wie dem AMNOG-Prozess notwendig sind, nicht zu erstatten“. Mein liebes Tagebuch, ein starkes Stück, oder? Janssen will zwar vor der Preissenkung informiert haben, aber für manche Apotheken kam dies dann doch zu spät, vor allem, da sie für ihre Patienten zeitnah lieferfähig sein wollten. Eine Stellungnahme von Janssen-Chefin Zemzoum, einer Ärztin, lässt erkennen, dass das Unternehmen von solchen apothekerlichen Dienstleistungen nichts hält. Und überhaupt, Janssen schlägt sogar vor, Apotheken sollten nicht mehr für die Lagerhaltung einkaufen. Die Arbeitsgemeinschaft der HIV-kompetenten Apotheker spricht von menschenverachtendem Verhalten, wenn Janssen in Kauf nimmt, dass Versorgungslücken entstehen, wenn Apotheken ihre Bestände vor dem Stichtag der Preissenkung auf Null reduzieren. Auf seiner Homepage schwafelt Janssen von hohen Zielen, die man sich setzt, von nachhaltigen, effektiven Gesundheitslösungen – mein liebes Tagebuch, Worthülsen, leeres Ethikgeschwätz. Man sollte Firmen, die ihre ethische Verantwortung nicht ernst nehmen, auf eine schwarze Liste setzen. Auch Ärzte können das Verhalten von Janssen nicht verstehen und haben schon ihre Bereitschaft signalisiert, falls möglich therapeutisch gleichwertige Alternativen anderer Hersteller bevorzugt zu verordnen. Übrigens, sämtliche Mitbewerber von Janssen bekommen Preissenkungen ohne Probleme geregelt und wälzen sie nicht auf die Apotheken ab.
16 Kommentare
In wiefern besser?
von Christian Becker am 03.09.2018 um 11:13 Uhr
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hat schon mal einer überlegt,
von Karl Friedrich Müller am 03.09.2018 um 8:55 Uhr
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AW: Zusammengefasst:
von Wolfgang Müller am 03.09.2018 um 12:25 Uhr
Vertrauen
von Reinhard Rodiger am 02.09.2018 um 15:56 Uhr
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Was Herr Spahn/das BMG verkennt...
von Christiane Patzelt am 02.09.2018 um 13:32 Uhr
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AW: Köstlich ...
von Reinhard Herzog am 02.09.2018 um 15:06 Uhr
AW: Was Herr Spahn/das BMG verkennt
von Christiane Patzelt am 02.09.2018 um 17:10 Uhr
AW: Was Herr Spahn/das BMG verpennt
von Bernd Jas am 02.09.2018 um 18:21 Uhr
AW: Was Herr Spahn/das BMG verkennt
von Christiane Patzelt am 02.09.2018 um 20:26 Uhr
AW: Bin etwas erschrocken, liebe Frau Patzelt ...
von Reinhard Herzog am 03.09.2018 um 0:21 Uhr
Phobie
von Karl Friedrich Müller am 02.09.2018 um 10:22 Uhr
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AW: Phobie
von Christian Becker am 03.09.2018 um 10:55 Uhr
Einkaufsvorteile
von Dr.Diefenbach am 02.09.2018 um 10:05 Uhr
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AW: Einkaufsnachteile und anderer Trübsinn
von Bernd Jas am 02.09.2018 um 15:00 Uhr
Der Rabatt verdünnt sich bald!
von Ulrich Ströh am 02.09.2018 um 8:57 Uhr
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....um Ihr Leben bangen muss
von Conny am 02.09.2018 um 8:22 Uhr
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