FDA-Warnung zu oralen Antidiabetika

Seltene aber schwere Genitalinfektionen unter Gliflozinen

Stuttgart - 03.09.2018, 11:20 Uhr

Die SGLT2-Inhibitoren bieten durch ihren Insulin-unabhängigen Wirkmechanismus eine gute zusätzliche Therapieoption des Typ‑2-Diabetes. Wie ist es aber um die Nebenwirkungen bestellt? ( r / Foto: Kwangmoo / stock.adobe.com)

Die SGLT2-Inhibitoren bieten durch ihren Insulin-unabhängigen Wirkmechanismus eine gute zusätzliche Therapieoption des Typ‑2-Diabetes. Wie ist es aber um die Nebenwirkungen bestellt? ( r / Foto: Kwangmoo / stock.adobe.com)


Dass Vulvovaginitis, Balanitis und verwandte Infektionen des Genitalbereichs sowie Harnwegsinfektionen zu den häufigen unerwünschten Wirkungen der Gliflozine gehören, lässt sich deutschen Fachinformationen entnehmen. Vor einer seltenen aber ernsthaften Infektion des Genitalbereichs unter der Behandlung mit SGLT2-Inhibitoren warnt nun die US-Behörde FDA: dem sogenannten Fournier-Gangrän. Dabei handelt es sich um eine Entzündung des Genitals und/oder Perineums, die lebensbedrohlich sein kann. Entsprechende Warnhinweise sollen in die Fachinformationen aufgenommen werden.

Dapagliflozin, Empagliflozin, Ertugliflozin und Canagliflozin: Sie alle gehören zur Stoffklasse der SGLT2-Inhibitoren (sodium-dependent glucose transporter), den oralen Antidiabetika, die durch eine Hemmung der Glukoseabsorption im proximalen Tubulus zu einer vermehrten Ausscheidung von Glukose über den Urin führen. Diese erhöhte Glukose-Ausscheidung führt wiederum zu einer Blutzuckersenkung, zur Gewichtsabnahme und zu einer leichten Blutdrucksenkung. Das sind die gewünschten Effekte. Neben diesen begünstigt eine (medikamentös induzierte) Glukosurie aber auch urogenitale Infektionen.

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Indiziert sind Gliflozine bei Typ-2-Diabetes mellitus, wenn Diät und Bewegung allein den Blutzucker nicht ausreichend kontrollieren bei Patienten, bei denen die Anwendung von Metformin aufgrund einer Unverträglichkeit als ungeeignet erachtet wird. Außerdem können sie in Kombination mit anderen blutzuckersenkenden Arzneimitteln (einschließlich Insulin), wenn diese den Blutzucker zusammen mit einer Diät und Bewegung nicht ausreichend kontrollieren, eingesetzt werden.

Warnung vor potenziell lebensbedrohlichem Fournier-Gangrän

Nun warnt die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA Patienten, die Gliflozine einnehmen, dass sie sofort medizinischen Rat einholen sollen, sobald sie Symptome von Schmerzempfindlichkeit, Rötung oder Schwellung im Genitalbereich feststellen – und außerdem Fieber haben oder sich generell unwohl fühlen. Diese Symptome könnten sich sehr schnell verschlimmern, sodass es wichtig ist, schnell zu handeln. Besteht der Verdacht auf ein Fournier-Gangrän, soll der Arzt sofort die Behandlung mit Breitspektrumantibiotika beginnen. Auch eine chirurgische Wundausschneidung kann notwendig sein. Der SGLT2-Inhibitor sollte abgesetzt werden und die Blutglukosewerte überwacht beziehungsweise eine alternative Diabetes-Therapie zum Einsatz kommen.

Das Fournier-Gangrän ist eine extrem seltene aber lebensbedrohliche bakterielle Infektion des Gewebes unter der Haut, das Muskeln, Nerven, Fett und Blutgefäße des Perineums (Gewebebezirk zwischen dem Anus und den äußeren Geschlechtsorganen) umgibt. Gewöhnlich gelangen die Bakterien über Wunden in den Körper, wo sie sich schnell ausbreiten und das befallene Gewebe zerstören. Diabetes allein ist schon ein Risikofaktor, das Fournier-Gangrän zu entwickeln, aber auch unter Diabetikern tritt es selten auf. In fünf Jahren (März 2013 bis Mai 2018) hat die FDA bei Patienten, die SGLT2-Inhibitoren einnehmen, zwölf Fälle eines Fournier-Gangräns registriert. Eine weitere Dunkelziffer könne bestehen. Das Fournier-Gangrän habe sich innerhalb mehrerer Monate nach Beginn der SGLT2-Therapie entwickelt – in den meisten Fällen wurde der Wirkstoff abgesetzt. Alle zwölf Patienten mussten ins Krankenhaus und operiert werden. Ein Patient starb.

Andere urogenitale Infektionen unter SGLT2-Hemmern: Patienten aufklären

Laut einem Übersichtsartikel, „Diabetes und urogenitale Infektionen unter SGLT2-Hemmern“, treten unter SGLT2-Inhibitor-Therapie insbesondere Vaginalmykosen und Balanitiden (Eichelentzündungen) vermehrt auf. Harnwegsinfektionen und Genitalmykosen sind bei Patienten mit Diabetes zwar allgemein häufiger, eine Therapie mit einem SGLT2-Inhibitor erhöht das Risiko für eine Harnwegsinfektion aber zusätzlich leicht, das Risiko für eine Genitalmykose sogar um ein Mehrfaches. 

Genitalmykosen sollen bei Frauen mit Diabetes vier bis sechs Mal häufiger auftreten als bei Männern. Diabetes erhöht das Risiko bei Frauen 2,2-fach, bei Männern 1,4-fach. Die Therapie mit einem SGLT2- Hemmer erhöht das Risiko für eine Genitalmykose nochmals: bei Frauen mit Diabetes zusätzlich um das Sechs- bis Neunfache, bei Männern um das Zwei- bis Fünffache. Bei beschnittenen Männern soll es trotz SGLT2-Inhibitor praktisch nie zu einer Balanitis kommen. Jüngere Frauen seien häufiger von einer Genitalmykose betroffen als postmenopausale.

SGLT2-Hemmer plus Antimykotikum?

Im Artikel „Diabetes und urogenitale Infektionen unter SGLT2-Hemmern“ wird auch die Frage gestellt, ob mit dem SGLT2-Hemmer gleich ein Antimykotikum rezeptiert werden sollte. Da nur 5-15 Prozent der Patienten unter SGLT2-Inhibitor-Therapie eine Genitalmykose entwickeln, empfehlen die Autoren, nicht allen Patienten ein Rezept für eine Antimykotikum mitzugeben. Im Einzelfall (z.B. geplanter Urlaub) könne es aber sinnvoll sein, neben der Empfehlung zur lokalen Hygiene präventiv ein Rezept auszustellen.

SGLT2-Inhibitor absetzen?

Außerdem widmeten sich die Experten in besagtem Artikel der Frage, ob die Therapie mit einem SGLT2-Inhibitor bei einer Genitalmykose fortgeführt werden könne. In den entsprechenden Studien seien Patienten mit Genitalmykosen meist mit lokalen Applikationen behandelt worden, und die Therapie mit dem SGLT2-Hemmer wurde fortgeführt. Dieses Vorgehen soll bei den meisten Patienten erfolgreich gewesen sein. Außerdem soll es selten zu einem Rezidiv der Genitalmykose gekommen sein.

Ein Pausieren des SGLT2-Inhibitors könne die Abheilung des Infekts theoretisch aber begünstigen und bei hartnäckigen Infektionen dementsprechend in Betracht gezogen werden. Treten die Genitalmykosen jedoch rezidivierend auf (>3 pro Jahr) wird ein Absetzen des SGLT2-Hemmers empfohlen.

Präventiv sollten Patienten bei Beginn der Therapie mit einem SGLT2-Hemmer auf jeden Fall über die Möglichkeit eines Genitalinfekts und die Symptome aufgeklärt werden. Denn allgemeinhygienische Maßnahmen (nicht übertriebene) können das Risiko für Genitalmykosen reduzieren.

Mehr unkomplizierte Harnwegsinfektionen

Pro 1000 Patientenjahre beträgt die Inzidenz für eine Harnwegsinfektion bei Patienten mit Diabetes 50, für Patienten ohne Diabetes 30. Bei Frauen ist das Risiko höher als bei Männern. Sexuelle Aktivität erhöht das Risiko für Harnwegsinfektionen zusätzlich. Kumulativ sollen circa 5 Prozent der Patientinnen mit Diabetes pro Jahr an einer Harnweginfektion erkranken. Eine Therapie mit einem SGLT2- Hemmer erhöht bei Patienten mit Diabetes das Risiko zusätzlich um 13–30 Prozent (in der EMPA-REG-OUTCOME-Studie wurde kein erhöhtes Risiko festgestellt). In den Studien mit SGLT2-Inhibitoren soll nur die Häufigkeit unkomplizierter Harnwegsinfektionen erhöht gewesen sein. Die Häufigkeit komplizierter oder schwerer Infektionen sei in den Zulassungsstudien und der EMPA-REG-OUTCOME-Studie unter den SGLT2-Hemmern nicht signifikant erhöht gewesen. Eine Behandlung der Harnwegsinfektion müsse bei Patienten mit SGLT2-Hemmern nicht länger als üblich durchgeführt werden.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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