Mutmaßlich gefälschte Dokumentation 

Droht der nächste chinesische Pharmaskandal? 

Stuttgart - 05.09.2018, 07:00 Uhr

Symbolbild: Wer
beliefert wen mit welchem Wirkstoff und wer behält den Überblick? Wer
kontrolliert die Wirkstoffherstellung im Ausland und wie werden Verstöße geahndet? ( r / Foto: Imago)

Symbolbild: Wer beliefert wen mit welchem Wirkstoff und wer behält den Überblick? Wer kontrolliert die Wirkstoffherstellung im Ausland und wie werden Verstöße geahndet? ( r / Foto: Imago)


Droht der nächste Pharmaskandal aus China? Der Valsartan-Fall ist noch nicht aufgeklärt und ein Impfstoffskandal bereitet China und der Welt immer noch Sorgen, da werden neue Vorwürfe laut: Ein chinesischer Wirkstoffhersteller soll die Herstellungsdokumentation zu fast allen Arzneistoffen gefälscht haben. Der Konzern streitet die Anschuldigungen bislang ab. DAZ.online hat in den entsprechenden Datenbanken nachgeforscht, was hinter den Vorwürfen steckt. 

Hat der chinesische Pharmakonzern Fosun Pharma Produktions- und Prüfberichte gefälscht? Dem Wirtschaftsnachrichtenportal Seeking Alpha zufolge erhebt ein „Whistleblower“ schwere Vorwürfe gegen den Wirkstoffhersteller aus China: So soll die Chongqing Food and Drug Administration auf ihrer Website die Informationen eines Mitarbeiters veröffentlicht haben, die Fosun Pharma stark belasten dürften. Ob es sich bei dem „Whistleblower“ um einen ehemaligen Mitarbeiter handelt, sei unbekannt. In seinem offenen Brief behaupte dieser, dass Führungskräfte einer Forschungsuntereinheit von Fosun Pharmaceutical ihre Angestellten dazu gedrängt haben sollen, große Mengen an falschen Produktions- und Prüfberichten zu erfinden. Das Ziel sei es, zu vertuschen, dass bei fast jedem Wirkstoff (API, active pharmaceutical ingredient) die geforderten Standards nicht eingehalten wurden.

Mehr zum Thema

Gegenüber National Business Daily (NBD, „Gateway to China’s Business Opportunities) soll ein Sprecher von Fosun Pharma bestätigt haben, dass dem Unternehmen die Vorwürfe bekannt seien, jedoch bestreitet Fosun Pharma, dass diese wahr sind. Bis die Chongqing Food and Drug Administration ihre Untersuchungen abgeschlossen habe, würde sich Fosun Pharma nicht mehr zu dem Fall äußern. 

Die potenzielle Reichweite der Vorwürfe

Konkret richten sich die Anschuldigungen laut NBD gegen das Chongqing Pharmaceutical Research Institute Co., Ltd (CPRI), das zu Shanghai Fosun Pharmaceutical (Group) Co., Ltd. (Fosun Pharma) und zu Chongqing Pharmaceutical (Group) Co., Ltd. gehört. Auf der Website von Chongqing Pharmaceutical (Group) Co. ist zu lesen, dass die Unternehmensgruppe enge Beziehungen mit mehr als 5000 in- und ausländischen Lieferanten pflegt und stabile strategische Langzeitkooperationen mit pharmazeutischen Unternehmen nachweisen könne, die weltweit unter den Top 50 rangieren – wie Pfizer, Johnson und Johnson, Glaxo Smith Kline, Bayer, Astra Zeneca, Merck, Novartis, Lilly, Sanofi-Aventis und andere. Weiter heißt es dort, dass die Produkte der Gruppe in ganz China vertrieben würden, und ebenso in Länder und Regionen wie Indien, Schweiz, Korea, USA, Japan, Europa und andere. 

Die konkreten Anschuldigungen

Mit Hilfe von gefälschten Unterlagen seien GMP-Arzneimittelbehörden von CPRI hintergangen worden, wie es in dem öffentlichen Brief des „Whistleblowers“ (Anmerkung der Red.: auf Chinesisch) heißen soll, den dieser an die öffentliche Mailbox der Chongqing Food and Drug Administration (Chongqing FDA) gesendet habe. CPRI stellt laut NBD hauptsächlich APIs und Formulierungen her. Bei einem der betroffenen Arzneistoffe soll es sich um Aripiprazol handeln, das hauptsächlich an Shanghai Zhongxi Pharmaceutical verkauft werden soll.

Der „Whistleblower“ soll sich in seinem Brief auf die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA beziehen: So habe CPRI im Mai 2016 bereits einen „Warning Letter“ von der FDA erhalten, im Dezember 2017 habe die FDA wiederholt kritisiert, dass CPRI unvorteilhafte Daten lösche. Beiden Ermahnungen sollen Inspektionen vorausgegangen sein. 

Welche Vorwürfe lassen sich nachvollziehen?

Auf den Seiten der FDA lassen sich die „Warning Letters“ nach Firmen geordnet einsehen. Dort findet sich ein entsprechender Brief vom 14. Februar 2017, der von der FDA an Chongqing Pharma Research Institute Co., Ltd. (CPRI) adressiert wurde. Er bezieht sich auf eine Inspektion aus dem Mai 2016 und fasst signifikante Abweichungen von den GMP-Vorgaben zusammen, die sich auf APIs, also Wirkstoffe, beziehen. Beispiele für die Abweichungen werden aufgeführt und betont wird, dass diese Auflistung nicht vollständig ist. Eines der Beispiele lautet wie folgt: „Failure to maintain complete data derived from all laboratory tests conducted to ensure compliance with established specifications and standards.“ (Übersetzt: „Komplette Daten aus allen Labortests, die durchgeführt wurden, um die Compliance mit etablierten Standards und Spezifikationen zu versichern, konnten nicht vorgelegt werden.“)

Die Ermittlungsbeamten hätten laut FDA-Letter demnach beobachtet, dass komplette chromatografische Sequenzen und einzelne Injektionen von den Computern gelöscht worden seien. Der Analytiker habe dem FDA-Ermittler sogar gesagt, dass es gängige Praxis sei, mehr Standards als notwendig zu injizieren, um anschließend ein unpassendes Ergebnis zu löschen und die geforderten Tests dadurch zu bestehen. Ohne wissenschaftliche Begründung wurden HPLC-Analysen wiederholt, bis die gewünschten Ergebnisse erzielt wurden. Abweichende Ergebnisse wurden nicht weiter verfolgt und nur die positiven dokumentiert. Auf Basis dieser Daten wurden Chargen freigegeben. Dass bei CPRI genauer hingeschaut werden muss, scheint also zu stimmen.

Die Chongqing FDA und Fosun Pharma antworten auf die Vorwürfe

Die Chongqing FDA hat laut NBD auf den öffentlichen Brief des „Whistleblowers“ geantwortet: Demnach habe sie ein Inspektions-Team zu CPRI geschickt und angekündigt, Verantwortliche zu bestrafen, sollten sich Vorwürfe als wahr erweisen. Wer über entsprechendes objektives Beweismaterial verfüge, solle dies zur Verfügung stellen. NBD zufolge hat die Chongqing FDA bei CPRI bereits am 23. August eine unangekündigte Inspektion durchgeführt – das Ergebnis stehe jedoch noch aus. Als Antwort auf die Anschuldigungen hat auch Fosun Pharma ein Statement veröffentlicht, in dem der „Warning Letter“ der FDA zwar bestätigt wird, aber gleichzeitig unterstrichen wird, dass der Wirkstoffhersteller sich in einem Verbesserungsprozess befinde – unter Anleitung der FDA.

Die Stellungnahme von Fosun Pharma

Fosun Pharma hat noch am vergangenen Freitag eine Stellungnahme veröffentlicht, in der sich das Unternehmen auf entsprechende Medienberichte bezieht: Darin wird die Inspektion der FDA im Mai 2016 bei CPRI und der darauf folgende „Warning Letter“ der US-Behörde bestätigt. Als Reaktion darauf habe CPRI Führungskräfte und verantwortliches Personal umstrukturiert („restructured“) und sei aktiv dabei, die von der FDA geforderten Verbesserungen umzusetzen.

Auch dass im November 2017 die FDA eine weitere Inspektion durchgeführt hat, wird in dem Schreiben bestätigt. Dabei sei es um das Qualitätskontrollsystem von CPRI gegangen – und zwar an einem neuen Standort im Changshou District. Nach der Überprüfung habe die FDA dem Unternehmen das Formular 483 bezüglich des Wirkstoffs Aripiprazol ausgestellt, in dem von der FDA etwaige Mängel festgehalten werden. Konkret ging es bei Aripiprazol um einen Mangel bei einem nicht validierten OOS-Ergebnis (Out-Of-Specification).

Ansonsten versichert Fosun Pharma aber auf Basis eigener Untersuchungen, dass alle Produkte in Übereinstimmung mit genehmigten Produktionsprozessen hergestellt würden. Auch Anpassungen seien mit den zuständigen Behörden abgesprochen worden. Um Betriebsanforderungen anzupassen, seien die Genehmigungen der APIs Aripiprazol und Pemetrexed dinatrium 2016 und die Genehmigung von Eisen-Saccharose 2018 vom Chongqing Research Institute an das Research Institute Pharmaceutical übergegangen. Inspektionen seien erfolgt und dieser Wechsel sei durch die Zulassungsbehörden genehmigt worden. 

Research Institute Pharmaceutical habe zwar 2018 angemeldet, im Produktionsprozess von Aripirazol und Produkten, die an Shanghai Zhongxi Sunve Pharmaceutical Co., Ltd. geliefert werden, eine Änderung vornehmen zu wollen, jedoch allein für Forschungszwecke.

Eine etwas andere Darstellung in dem offenen Brief

So also die offizielle Darstellung von Fosun Pharma, die vermuten lässt, dass es Probleme gibt, diese aber zeitnah behoben werden. In dem öffentlichen Brief des „Whistleblowers“ klingt das laut Fierce Pharma anders: Dort sei von „chaotischen“ Produktionsszenen die Rede. Demnach habe die Firma Produktionsprozesse – entgegen der Stellungnahme der Firma – von fast allen APIs illegal verändert. Gleichzeitig habe das Management Angestellte dazu gedrängt, Daten zu erfinden und Tests zu manipulieren.

Bezüglich der neuen Produktionsstätte, von der auch im Statement von Fosun Pharma die Rede ist, lautet der Vorwurf, das Unternehmen habe mit falschen Daten die notwendigen GMP-Zertifikate erworben. Außerdem sollen lokale Beamte bestochen worden sein, um die Erlaubnis für die vorgeschlagenen Änderungen im Produktionsprozess von Aripiprazol und Pemetrexed dinatrium zu erhalten.

Gibt es eine Verbindung von Chongqing nach Deutschland?

Angesichts des aktuellen Valsartan-Skandals kommt bei neuen Vorwürfen gegen chinesische Wirkstoffhersteller direkt die Frage auf, ob auch Deutschland oder Europa betroffen sein könnten. Im Zusammenhang mit Valsartan denkt man zunächst an die CEPs (Certificate of Suitability of Monographs of the European Pharmacopoeia), die das EDQM (European Directorate for the Quality of Medicines & HealthCare ) in Europa erteilt. In der entsprechenden CEP-Datenbank wurde DAZ.online aber nicht fündig: Die Firma scheint weder für Aripiprazol noch für einen der anderen genannten APIs ein CEP zu besitzen.

Wenn man in der EudraGMDP-Datenbank unter dem Punkt „API Registrations“ im Reiter „Search 3rd Country Sites“ nach China sucht und als Postleitzahl die 400061 von Chongqing eingibt, stößt man aber auf das oben genannte Unternehmen CPRI. Wählt man dieses Suchergebnis aus, werden auf der nächsten Seite Wirkstoffe gelistet. Mit dem Namen „Chongqing“ wird man erneut fündig: In der Zeile mit den Wirkstoffen Pemetrexed dinatrium und Pemetrexed dikalium wird CPRI als „3rd Country Manufacturer“ in der Tabelle aufgeführt. Ebenso wird der Wirkstoff Abirateron im Zusammenhang mit CPRI gelistet. Man kann also nicht ausschließen, dass etwaige Probleme auch Europa betreffen könnten. 

Sucht man in der EudraGMDP-Datenbank gezielt nach „GMP Certificates Non-Compliance Reports“, also Dokumenten, die dem US-amerikanischen „Warning Letter“ im geschilderten Fall entsprechen könnten, findet man allerdings keine entsprechenden Dokumente.



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


2 Kommentare

Vielen Dank ...

von Kritiker am 08.09.2018 um 16:19 Uhr

... für diesen informativen Beitrag.

Aus Sicht eines nicht vom Valsartanskandal betroffenen Endkunden verbleibt zu bemerken:

Die Generikabranche verspielte jegliches in sie gesetztes Vertauen, indem sie unter dem Kostendruck der GKV ihren fernöstlichen Vertragspartnern anscheinend blind vertraute.

Die rechtlichen Rahmenbedingungen wurden den sich aus der Globalisierung ergebenden Risiken nicht gerecht.



» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Fosun Pharma

von HP Müller am 06.09.2018 um 11:45 Uhr

Der Eintrag in der EudraGMDP-Datenbank bedeutet, das
Pemetrexed dinatrium und Pemetrexed dikalium dieses Herstellers in einem in der EU zugelassenen Arzneimittel enthalten ist.

EMA in London weiß, welche Arzneimittel dies konkret sind.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.