Im Gespräch mit Professor Sörgel

Was hat es mit der zweiten Valsartan-Verunreinigung auf sich?

Stuttgart - 14.09.2018, 17:05 Uhr

Wie viele Verunreinigungen stecken im chinesischen Valsartan vom Wirkstoffhersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical? Wie viele andere Hersteller sind betroffen? ( r / Symbolbild, Foto: djama / stock.adobe.com)

Wie viele Verunreinigungen stecken im chinesischen Valsartan vom Wirkstoffhersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical? Wie viele andere Hersteller sind betroffen? ( r / Symbolbild, Foto: djama / stock.adobe.com)


Erst NDMA, dann NDEA. „Das war schon eine riesige Giftküche“, titelte die Welt am gestrigen Donnerstagmorgen und zitierte damit Professor Fritz Sörgel, den Institutsleiter des IBMP in Nürnberg, das eine zweite Verunreinigung, NDEA, in Valsartan gefunden hatte. Worauf sich dieses Zitat bezieht, ahnen viele Apotheker: Die „Giftküche“ ist in diesem Fall Zhejiang Huahai Pharmaceutical, der chinesische Valsartan-Hersteller. DAZ.online hat bei Professor Sörgel nachgefragt: Wie wurde die zweite Verunreinigung entdeckt? Sörgel befürchtet, neben NDEA, auf zwei weitere Kontaminationen gestoßen zu sein.

Am 20. August 2018 organisierte der Pharmakologe Professor Sörgel gemeinsam mit dem Toxikologen Professor Ralf Stahlmann von der Berliner Charité und dem pharmazeutischen Biologen Professor Theo Dingermann aus Frankfurt (emeritiert) eine Informationsveranstaltung zum Fall Valsartan für etwa 200 Patienten in den Räumlichkeiten des Klinikums Nürnberg. Das IBMP (Institut für biomedizinische und pharmazeutische Forschung), dessen Leiter Sörgel ist, war zuvor mit vielen Patienten-Anfragen konfrontiert worden. 

Im Gespräch mit DAZ.online betonte Sörgel nun, dass eine solche Veranstaltung zwar nicht der „Job“ der Experten sei, die Patientenreaktionen hätten ihn aber dazu bewegt, an dem Fall dranzubleiben – auch im Labor. Und so suchten er und sein Forscherteam nach Verunreinigungen in Valsartan. In dem Artikel der „Welt“ vom gestrigen Donnerstag präsentierte er als erster der Öffentlichkeit die neueste Erkenntnis im Fall Valsartan: Sörgel und sein Team haben ein zweites Nitrosamin gefunden.  

Nannte der Pharmakologie-Professor den chinesischen Hersteller deswegen eine „Giftküche“? Sörgel erklärt diesbezüglich, dass der Begriff ein wenig übertrieben sei, doch er befürchtet, dass der neueste NDEA-Fund (N-Nitrosodiethylamin) nicht die letzte Verunreinigung im chinesischen Valsartan sein wird. Die Nebenproduktproblematik beschreibt er als „außer Kontrolle“. 

Aber ist es überhaupt die Aufgabe des Nürnberger IBMP im Valsartan-Fall für Aufklärung zu sorgen? Schließlich untersuchen in erster Linie die Arzneimittelbehörden, in Europa die EMA und in den USA die FDA, den Fall Valsartan. Sörgel erwidert: „Es dauert für die Patienten aber zu lange, bis Ergebnisse an die Öffentlichkeit dringen.“ Labore wie seines hätten sich des Valsartan-Falls erst angenommen, weil so wenig in die Öffentlichkeit vordrang.

Sörgel wollte die Aufklärung beschleunigen: NDMA sei nicht schwer nachweisbar

Eigentlich unterhält die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA in St. Louis nach eigenen Angaben das modernste pharmazeutische Labor weltweit. Dort haben Wissenschaftler die spezielle Gaschromatographie-Massenspektrometrie
(GC/MS) Headspace-Testmethode entwickelt, um NDMA in Valsartan nachzuweisen. Laut FDA ist NDMA ein schwer nachzuweisender Stoff – deshalb hatte sie die neu entwickelte Methode noch im August ins Internet gestellt, um sowohl Herstellern als auch Aufsichtsbehörden zu helfen, die potenziell kanzerogene Verunreinigung zu detektieren. Dass NDMA tatsächlich schwer nachweisbar ist, das kann Sörgel so nicht bestätigen. Tatsächlich war er „überrascht, wie einfach es geht“. 

Zunächst hätten Sörgel und seine Kollegen zwar auch angenommen, dass die Suche nach NDMA keine Angelegenheit für das Institut sei – denn am Nürnberger Forschungsstandort habe man keine GC/MS, wie die FDA oder die EMA. Doch ein wenig Literaturrecherche habe Sörgel gezeigt, dass im umweltanalytischen Bereich eine Liquid-Chromatographie-Massenspektometrie/Massenspektometrie (LC-MS/MS) fast gängig sei. Und die hat sein Labor.

Lieferengpass bei NDMA-Referenzsubstanz

Und was bewegte den Wissenschaftler ursprünglich dazu, Valsartan auf weitere Verunreinigungen hin zu untersuchen? Es war ein Satz der FDA, der Sörgel zum Nachdenken brachte: „Wir sind uns noch immer nicht zu 100 Prozent sicher, dass das die Grundursache des Problems ist.“ Man weiß also nicht sicher, wie das potenziell kanzerogene NDMA und mittlerweile auch NDEA ins Valsartan kam und warum es bei der Aufreinigung nicht entfernt wurde. Außerdem stellten die Patienten bei Sörgels Veranstaltung eine weitere entscheidende Frage: Können auch andere Sartane betroffen sein? 

Dass der Umgang mit dem Valsartan-Fall vermutlich zu oberflächlich war, das zeigten Sörgel auch Berichte über sogenannte „Ghost-Peaks“, die bei FDA-Inspektionen bei der Qualitätskontrolle bei Zhejiang Huahai schon 2017 beobachtet wurden. Dabei handelte es sich um Verunreinigungen, die die Analytiker des chinesischen Valsartan-Herstellers offenbar nicht anders erklären konnten, als dadurch, dass sie diese als unbekannte „Geister-Ausschläge“ bezeichneten. Auf Nachfrage von DAZ.online bei der FDA wurde keine weitere Auskunft zur Inspektion erteilt.

Sörgel und sein Labor hatten bei der Suche (zunächst nur NDMA) jedoch anfänglich Probleme. Denn: „Die Referenzsubstanz bekommt man aktuell von keinem Hersteller.“ Deshalb habe man auf amerikanische Mischungen zurückgreifen müssen. Offenbar ist der Bedarf an der NDMA-Referenzsubstanz aktuell hoch, viele Labore scheinen sich damit zu beschäftigen, so Sörgel.

Sörgel ließ noch am Donnerstag zwei weitere Verunreinigungen analysieren

Am gestrigen Donnerstag wurde dann nicht nur in dem Artikel von „Die Welt“ klar, dass eine weitere Verunreinigung vorliegt. Auch die EMA, die FDA und die kanadische Arzneimittelbehörde bestätigten den Fund am selben Tag. Die EMA gab bekannt, dass N-Nitrosodiethylamin (NDEA) als eine weitere Verunreinigung in Valsartan entdeckt wurde: Sie soll schon vor der Umstellung des Syntheseprozesses beim chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai im Jahr 2012 in den Tabletten enthalten gewesen sein.

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N-Nitrosodiethylamin (NDEA)

Neue Verunreinigung in Valsartan gefunden

EMA und FDA nehmen seit gestern also auch NDEA in ihr Risikobewertungsverfahren auf. Sörgel befürchtete am Donnerstag (spekulativ) sogar, dass er noch ein weiteres Nitrosamin in seinen Valsartan-Proben finden könnte. Denn weitere verdächtige Peaks wurden am Donnerstagnachmittag von seinen Kollegen untersucht. Am heutigen Freitagmorgen konnte er dann aber Entwarnung geben: Ja, zwei weitere Verunreinigungen habe man gefunden, jedoch handelt es sich um keine Nitrosamine.

Locker lassen wollen Sörgel und sein Team jetzt aber nicht: Sie werden alle weiteren Sartanpackungen, über die sie verfügen, auf Verunreinigungen prüfen – er schätzt 70 bis 80 Packungen. Man müsse die Politik immer wieder mit dem Fall Valsartan konfrontieren, sie mit der Nase darauf stoßen, denn „sonst passiert gar nichts“. 

Was ist Diethylnitrosamin (NDEA)?

NDMA (N-Nitrosodimehtlyamin), hat durch den Fall Valsartan traurige Berühmtheit erlangt. Nun wurde ein weiteres Nitrosamin in Valsartan entdeckt: NDEA, ein Diethylderivat.

NDMA, NDEA, NDBA (Dibutylnitrosamin) und NMOR (N-Nitrosomorpholin) sind laut einer Stellungnahme des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) aus dem Jahr 2011 als krebserzeugende Arbeitsstoffe in Kategorie 2 eingestuft. Die IARC (International Agency for Research on Cancer) hat NDMA und NDEA als wahrscheinlich krebserzeugend beim Menschen (Kategorie 2A) eingestuft (IARC, 1987).

Die kanzerogene Potenz der verschiedenen N-Nitrosamine variiert sehr stark, wobei NDMA und NDEA laut BfR zu den potentesten gehören.

Nach Studien zur oralen Langzeitaufnahme von N-Nitrosaminen über Trinkwasser an Ratten wurde bei täglicher Aufnahme von 1 µg NDMA pro kg Körpergewicht ein zusätzliches Lebenszeit-Krebsrisiko von 5x10-3 nachgewiesen. Bei täglicher Aufnahme von 0,5 µg NDEA steigt das zusätzliche Lebenszeit-Krebsrisiko auf 0,25 Prozent für die Auslösung von Lebertumoren. Allerdings können diese Ergebnisse laut BfR nicht direkt auf den Menschen übertragen werden. Dennoch: im Vergleich zu anderen Kanzerogenen weisen N-Nitrosamine laut BfR eine besonders hohe kanzerogene Potenz auf.  

Und woher kommt NDEA in Valsartan?

Sörgel gab es außerdem Rätsel auf, wie das NDEA ins Valsartan kam. Bezüglich der NDMA-Verunreinigung hielt er die Theorie seiner Kollegin Professor Ulrike Holzgrabe zwar für plausibel. Diese hatte in der DAZ gesschrieben: „Zum einen spielt die Verwendung des durchaus üblichen Lösungsmittels Dimethylformamid (DMF) eine Rolle. Auch als Lösungsmittel handelt es sich um eine chemische Substanz, die nur bedingt stabil ist und in geringen Spuren sich zu Dimethylamin zersetzen kann (thermisch oder auch basenkatalysiert). Die Bildung von Dimethylamin aus DMF sollte per se kein Problem darstellen. Aber die gleichzeitige Anwesenheit von Natriumnitrit führt dazu, dass sich aus dem Abbauprodukt des DMF Lösungsmittels unter Reaktion von Nitrit-Ionen die Bildung von NDMA bedingt.“

Wie nun aber ein Diethylderivat entstehe, das könne man mit DMF nicht begründen und so führt all das Sörgel zu der Frage: „Wie sicher sind Arzneimittel, wenn Amine im Raum sind?“ Wahrscheinlich müsse man die gesamte Nachweisanalytik adjustieren, so der Wissenschaftler. Sörgel und sein Team suchen jedenfalls weiter: „Die Analytik muss jetzt weiter geschärft werden.“

Die EMA hatte auf ihrer Internetseite am gestrigen Donnerstag auch mitgeteilt, dass das Krebsrisiko mit Blick auf die NDMA-Verunreinigung weiterhin gering sei und sich dabei auf eine dänische Studie gestützt. Sörgel sieht aber weniger Anlass zur Beruhigung: Er wollte der dänischen Studie den NDEA-Fund entgegensetzen. Er habe sich gedacht: „Dieser Befund muss in die Öffentlichkeit, sonst führt das für die Patienten erfreuliche Ergebnis der Studie aus Dänemark dazu, dass alles in Ordnung sei. Und das ist es eben in der Arzneimittelherstellung in China nicht.“ Auch wenn die dänische Studie für die Patienten natürlich eine erfreuliche Meldung sei, für „das System“ wollte er keine Entwarnung geben.

Am heutigen Freitag äußerte sich dann auch noch die FDA zur Entstehung von NDEA in Valsartan: „Wie NDMA, das in den zurückgerufenen Valsartan-haltigen Arzneimitteln gefunden wurde, wird auch NDEA aus einer spezifischen Abfolge von Herstellungsschritten und chemischen Reaktionen gebildet.“ 



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

Valtarsan

von Margret Heller am 20.09.2018 um 14:09 Uhr

Hallo nehme auch seit august 15 von Heumann Valtasan Tbl, , habe seit März 18 Befund Bauchspeicheldrüsen Krebs Chemo lft noch. Mit freundlichen Grüßen

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Valsartan

von Hans-Martin Scheil am 14.09.2018 um 17:34 Uhr

Zum Thema Valsartan haben wir jetzt für Betroffene und Interessenten eine Facebook-Gruppe mit dem Namen "Valsartan-Skandal" eingerichtet. Hier geht es um Aufklärung, Prävention und rechtliche Ansprüche – kurz Hilfe zur Selbsthilfe. Alle sind herzlich eingeladen! Hier der Link: https://www.facebook.com/groups/242178453170238/

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