Italien

Die Ketten kommen

Berlin - 14.09.2018, 17:55 Uhr

In Italien breiten sich derzeit die internationalen Pharmahandelskonzerne (wie etwa McKesson Europe mit Lloyds) aus. (Foto: Lloydsfarmacia)

In Italien breiten sich derzeit die internationalen Pharmahandelskonzerne (wie etwa McKesson Europe mit Lloyds) aus. (Foto: Lloydsfarmacia)


In Italien kann man die Liberalisierung eines Apothekenmarktes derzeit live beobachten. Im Sommer 2017 trat das „Konkurrenz-Gesetz“ in Kraft, mit dem das Fremd- und Mehrbesitzverbot aufgehoben wurde. Peu à peu haben die üblichen Verdächtigen, also die internationalen Pharmahandelskonzerne McKesson und Walgreens Boots Alliance, ihre Marktmacht seitdem erhöht. Neu dabei ist aber auch ein Apothekenkonzern, den man vorwiegend aus Osteuropa kennt: Die Kette Dr. Max.

Der italienische Apothekenmarkt ist sicherlich einer der kompliziertesten Apothekenmärkte in Europa. Denn einerseits gibt es regulatorische Elemente, wie etwa eine strikte demografische Bedarfsplanung. Andererseits hat der italienische Gesetzgeber den großen Pharmahandelskonzernen schon immer eine Hintertür für den Marktzugang offen gehalten: So gilt das Fremd- und Mehrbesitzverbot beispielsweise nicht für die sogenannten Kommunalapotheken („Farmacie communali“), die nach dem Zweiten Weltkrieg in Nord- und Mittelitalien von den Kommunen eröffnet wurden, um die Arzneimittelversorgung zu sichern. Denn als sich die Versorgung verbesserte und weil die Kommunen Geld brauchten, wurde das Fremdbesitzverbot für diese Standorte gekippt.

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Die schleichende Deregulierung

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Italien

Die großen europäischen Pharmahandelskonzerne sind daher schon seit Jahrzehnten in Italien tätig. Sie gründeten damals in Italien tätige Unterfirmen, die wiederum die einzelnen Kommunalapotheken kontrollieren. So sind schon heute ungefähr 1300 Apotheken in den Händen von Walgreens Boots Alliance, Phoenix und McKesson Europe (ehemals Celesio). „Normale“, also von Apothekern eröffnete Apotheken, durften die Konzerne bislang allerdings nicht übernehmen. Das hat sich mit dem „Konkurrenz-Gesetz“ allerdings geändert. Hier nochmals im Überblick die wichtigsten Änderungen des Gesetzes:

  • Privatunternehmen dürfen Apotheken kaufen und eröffnen. Allerdings dürfen pro italienischer Region (Bundesland) nicht mehr als 20 Prozent aller Apotheken in Fremdbesitz sein. Die Wettbewerbsbehörde muss die Einhaltung dieser Obergrenze überwachen.
  • Das Mehrbesitzverbot ist komplett abgeschafft. Bislang durfte jeder Apotheker maximal vier Standorte in einer Provinz besitzen.
  • Das Gesetz enthält auch eine finanzielle Unterstützung von Landapotheken. Apotheken in Ortschaften mit weniger als 6600 Einwohnern haben unter gewissen Bedingungen das Recht auf eine Einmalzahlung von 5000 Euro.

Nach Informationen von DAZ.online haben die Pharmahandelskonzerne die neuen Regeln auch schon ausgenutzt und sind im Markt tätig geworden. Ein Sprecher von McKesson Europe (ehemals Celesio) bestätigte gegenüber DAZ.online: „Ja, wir haben mehrere Apotheken gekauft, um unser Geschäft in Italien weiter auszubauen.“ Wie viele Standorte betroffen sind und wo die Apotheken liegen, wollte der Sprecher nicht verraten. Dem Vernehmen nach sind es aber etwas mehr als zehn Apotheken, die sich hauptsächlich in oder rund um die Stadtzentren norditalienischer Städte befinden. Insgesamt habe der Konzern in Italien somit mehr als 200 Standorte, erklärte der Sprecher. Dazu gehören neben den neu hinzugekommenen normalen Apotheken aber auch ehemalige Kommunalapotheken und sogenannte „Parafarmacie“, also OTC-Shops, in denen keine Rx-Arzneimittel abgegeben werden.

Phoenix: Keine Apotheken mehr in Italien

Und auch Walgreens Boots Alliance soll in Italien bereits tätig geworden sein. Gegenüber DAZ.online wollte eine Sprecherin dies zwar nicht bestätigen, weil man derzeit noch „gezielte und lokale Tests“ im Markt durchführe. Italienische Medien berichten aber schon offen darüber, dass der Konzern vom italienischen Apotheken-Unternehmer Stefano Pessina insbesondere im Zentrum der norditalienischen Großstadt Mailand zugeschlagen hat. Auch hier wird von einer Zahl von rund um die zehn Apotheken berichtet.

Der Mannheimer Pharmahändler Phoenix teilte überraschend mit, dass er schon seit 2015 nicht im Apotheken-Geschäft tätig ist. Die Beteiligungsfirma Comifar, die insbesondere rund um die Stadt Florenz mehrere Kommunalapotheken kontrollierte, habe alle Einzelhandels-Beteiligungen 2015 verkauft. Dementsprechend ist Phoenix auch an der jetzigen Übernahmewelle nicht beteiligt. „Die Phoenix Group verfolgt keine Pläne, eine Apotheken-Kette in Italien zu gründen oder zu erwerben“, sagte der Sprecher. Comifar betreibt allerdings weiterhin einen Großhandel und bietet mit „Valore Salute“ ein Kooperationskonzept an.

Dr. Max setzt auf Italien-Expansion

Dafür gibt es einen neuen Player im Markt, der insbesondere in den vergangenen Monaten gezeigt hat, dass er an einer Expansion in Italien interessiert ist: Die Investmentgesellschaft Penta mit ihrer Apothekenkette Dr. Max. Bislang war Dr. Max auf osteuropäische Länder spezialisiert: Eigenen Angaben zufolge kontrolliert der Konzern rund 1300 Apotheken, unter anderem in Tschechien, der Slowakei und Polen. Dass Dr. Max an der Gründung einer italienischen Kette interessiert ist, wurde schon länger vermutet: 2016 wechselte der italienische Pharmahandels-Manager Leonardo Ferrandino vom McKesson-Subunternehmen Admenta (ehemals Celesio) zu Dr. Max. Italienischen Medienberichten zufolge besitzt Dr. Max bereits acht Apotheken in Italien, weitere könnten folgen. Ein Konzernsprecher bestätigte, dass man erste Apotheken von unabhängigen Apothekern übernommen habe, wollte aber keine Details über Zahl und Lage nennen.

Die Zeichen stehen also klar auf immer mehr Fremdkapital im italienischen Apothekenmarkt. Allerdings gibt es derzeit noch viele hemmende Faktoren, die eine plötzliche Übernahme des gesamten Marktes durch Pharmahandelskonzerne – wie etwa in Schweden – verhindern. So ist es den Konzernen aufgrund der strikten Bedarfsplanung so gut wie unmöglich, eine neue Apotheke zu gründen. In Italien gibt es etwa 18.200 Apotheken, in keiner Region gibt es eine Unterversorgung – neue Apotheken zu eröffnen ist derzeit also fast ausgeschlossen.

Welche Hürden gibt es südlich der Alpen?

Auf Nachfrage von DAZ.online bei McKesson Europe bestätigte man auch, dass der Markt durch Behörden weiterhin „stark reguliert“ sei. Aus den ersten Erfahrungen nach dem Liberalisierungsgesetz habe man festgestellt, dass der Markt stark fragmentiert sei, man erwarte, dass er sich daher in einer „ganz eigenen Geschwindigkeit“ entwickeln werde.  Ein weiteres Problem sei – so hört man es von McKesson – dass es nicht viele Apotheker gibt, die an einem Verkauf interessiert sind. Und wenn es ein Verkaufsinteresse gibt, seien die Preisvorstellungen „sehr hoch“.

So bleibt also nur die Frage: Warum sollte ein unabhängiger Apotheker seine Apotheke an einen Kettenkonzern verkaufen? Hört man sich im italienischen Markt um, bekommt man darauf immer wieder die gleiche Antwort: Ein Großteil von Italiens Apotheker ist verschuldet, insbesondere im Süden gibt es offenbar viele Apotheken, die hart an der Überlebensgrenze agieren. Deswegen und wegen der noch bestehenden Regulierungen gibt es in Italien derzeit nicht nur eine „harte“ Liberalisierung, bei der Unternehmen Apotheken aufkaufen. Insider sprechen gleichzeitig von „imaginären Ketten“ – damit gemeint sind die immer größer werdenden Kooperationen und neuerdings auch Franchise-Konzepte, bei denen die Apotheker das Branding des Konzerns übernehmen.



Benjamin Rohrer, Chefredakteur DAZ.online
brohrer@daz.online


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