AkdÄ zu Gliflozinen

SGLT-2-Hemmer im Blick behalten: erneute Warnung vor Ketoazidosen

Stuttgart - 04.10.2018, 09:00 Uhr

Hersteller von Gliflozinen empfahlen 2015 in Informationsschreiben, bei Azidose-Verdacht unter einer Gliflozin-Therapie einen Test auf Ketonkörper vorzunehmen. Aber reicht das?  (s / Foto: Lothar Drechsel / stock.adobe.com)

Hersteller von Gliflozinen empfahlen 2015 in Informationsschreiben, bei Azidose-Verdacht unter einer Gliflozin-Therapie einen Test auf Ketonkörper vorzunehmen. Aber reicht das?  (s / Foto: Lothar Drechsel / stock.adobe.com)


Die Vorteile einer Behandlung mit SGLT-2-Inhibitoren sollen für Typ-2-Diabetiker größer sein als das Risiko einer Ketoazidose. Dennoch empfahl bereits im Februar 2016 der Pharmakovigilanzausschuss der EMA Maßnahmen, um die Ketoazidose-Gefahr unter Gliflozin-Therapie zu minimieren. Diese Maßnahmen werden aber offenbar nicht ausreichend beachtet: Die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft machte vergangene Woche erneut auf Risikopatienten und die schwierige Diagnose aufmerksam. 

SGLT-2-Hemmer können in seltenen Fällen zum Auslösen einer atypischen diabetischen Ketoazidose beitragen. Das meldete die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) vergangene Woche. Der AkdÄ seien im Rahmen des Spontanmeldesystems etwa 50 Verdachtsfälle von diabetischen Ketoazidosen im Zusammenhang mit Gliflozinen berichtet worden. 

50 Verdachtsfälle diabetischer Ketoazidose – Nutzen überwiegt?

Das Thema ist also aktuell, obwohl bereits im Juni 2015 die europäische Aufsichtsbehörde EMA für die oralen Antidiabetika Canagliflozin, Dapagliflozin und Empagliflozin ein Risikobewertungsverfahren gestartet hatte – aufgrund diabetischer Ketoazidosen während einer Therapie mit SGLT2-Inhibitoren. Kurz zuvor hatte schon die amerikanische Aufsichtsbehörde FDA auf diese Gefahr einer Gliflozin-Therapie aufmerksam gemacht. 

Wie kommt es zur Ketoazidose unter Gliflozinen?

Laut AkdÄ werden verschiedene Mechanismen diskutiert: Änderungen des Gleichgewichts von Insulin und Glukagon, Effekte an der Bauchspeicheldrüse und auf die renale Ausscheidung von Ketonkörpern.

  • Gliflozine senken den Blutglucosespiegel. So fehlt ein Trigger für die Ausschüttung von Insulin. Gegenregulatorisch wird mehr Glukagon sezerniert. Das kann zu einer vermehrten Lipolyse und Fettsäureoxidation mit Bildung von Ketonkörpern führen.
  • Alpha-Zellen in den Langerhans’schen Inseln der Bauchspeicheldrüse exprimieren SGLT-2-Rezeptoren. Diese werden durch Gliflozine blockiert. So wird eine Hypoglykämie imitiert, was die Ausschüttung von Glukagon verstärken kann.
  • Darüber hinaus bewirken Gliflozine die vermehrte Rückresorption von Ketonkörpern in der Niere. Patienten können daher unter Gliflozinen eine Ketoazidose haben, ohne dass Ketonkörper im Urin nachweisbar sind! 

Im Februar 2016 schloss der Risikobewertungsausschuss der EMA (PRAC) das Thema ab und teilte mit, dass der Nutzen der SGLT-2-Inhibitoren nach wie vor überwiegt. Um das Ketoazidose-Risiko zu minimieren, empfahl der Ausschuss aber schon damals eine Reihe von Maßnahmen, die die AkdÄ vergangene Woche nochmals betonte.  

Empfehlungen zur Risikominimierung – nicht umgesetzt?

In Situationen mit verändertem Insulinbedarf, wie zum Beispiel bei größeren operativen Eingriffen, niederkalorischen Diäten oder akuten schweren Erkrankungen, gilt unter SGLT-2-Hemmer-Therapie besondere Vorsicht, weil eine atypische diabetische Ketoazidose entstehen kann. In solchen Situationen wird die vorübergehende Pausierung von Gliflozinen empfohlen. Der AkdÄ wurden jedoch mehrere Fälle mitgeteilt, in denen Gliflozine trotz operativer Eingriffe weiter eingenommen wurden und postoperativ Ketoazidosen auftraten.

Vorsicht bei diesen Symptomen und in diesen Situationen

Steht also ein größerer chirurgischer Eingriff bevor oder wird der Patient wegen einer akuten schweren Krankheit stationär aufgenommen, soll die Behandlung mit Gliflozinen unterbrochen werden – sie kann aber wieder aufgenommen werden, wenn der Patient klinisch stabil und normhydriert ist und eine normale Ernährung toleriert. Von einigen Autoren wird empfohlen, Gliflozine drei Tage vor großen chirurgischen Eingriffen abzusetzen. 

Selbst wenn diese Vorsichtsmaßnahmen befolgt werden, bleibt ein weiteres Problem: Eine eventuelle Ketoazidose muss auch erkannt werden, was nicht immer einfach ist. Teils ist der Bultzucker gar nicht erhöht, wie das bei der typischen Ketoazidose der Fall ist. 

Gliflozine sofort absetzen, wenn...

Unter einer Gliflozin-Therapie sollte eine Ketoazidose dann in Betracht gezogen werden, wenn folgende Symptome auftreten – auch, wenn der Blutzucker nicht oder nur mäßig erhöht ist:

  • Übelkeit
  • Erbrechen
  • Anorexie
  • Bauchschmerzen
  • starker Durst
  • Schwierigkeiten beim Atmen
  • Verwirrtheit
  • ungewöhnliche Müdigkeit oder Schläfrigkeit

Treten diese Symptome auf, muss sich der Patient unverzüglich beim Arzt vorstellen. Besteht ein ärztlicher Verdacht oder die Diagnose einer diabetischen Ketoazidose muss die Behandlung mit Gliflozinen sofort abgesetzt werden. 

Eine Gliflozin-Therapie sollte anschließend nur dann neu aufgenommen werden, wenn ein anderer eindeutiger auslösender Faktor für die Ketoazidose festgestellt und beseitigt wurde. 

Ketoazidose ohne Ketonkörper im Urin

Zu Gliflozin-assoziierten diabetischen Ketoazidosen wurden im Juli 2015 und März 2016 zwei Informationsbriefe durch pharmazeutische Unternehmer versendet und die Fachinformationen angepasst. Besteht ein Azidoseverdacht, sollte diesen Briefen zufolge auf Ketonkörper getestet und die Behandlung mit SGLT-2-Inhibitoren unterbrochen werden. Jedoch können laut AkdÄ Patienten unter Gliflozinen eine Ketoazidose haben, ohne dass Ketonkörper im Urin nachweisbar sind.   

Gliflozine und ihre Nebenwirkungen

Die Stoffklasse der SGLT2-Inhibitoren (sodium-dependent glucose transporter, orale Antidiabetika) führt durch eine Hemmung der Glucoseabsorption im proximalen Tubulus zu einer vermehrten Ausscheidung von Glucose über den Urin. So kommt es zu einer Blutzuckersenkung, zur Gewichtsabnahme und zu einer leichten Blutdrucksenkung. SGLT2-Inhibitoren kennt man auch unter dem Namen „Gliflozine“ – dazu gehören beispielsweise Dapagliflozin, Empagliflozin, Ertugliflozin und Canagliflozin. Laut AkdÄ haben die Verordnungen von Gliflozinen erheblich zugenommen. Bereits 2016 sei eine Steigerung der verordneten Tagesdosen von 67 Prozent gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen gewesen.   

Gliflozine sind eine noch recht junge Arzneistoffklasse. Durch ihren Insulin-unabhängigen Wirkmechanismus bieten sie eine gute zusätzliche Therapieoption des Typ‑2-Diabetes. Als besonders günstig gelten der zusätzliche blutdrucksenkende und körpergewichtreduzierende Effekt und das fehlende intrinsische Hypoglykämierisiko. Jedoch wurde in der Vergangenheit auch immer wieder über gefährliche Nebenwirkungen berichtet, die sowohl Arzt und Apotheker, aber auch die Patienten im Blick behalten sollten. 

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Warnhinweis für Gliflozine

Zu den häufigen unerwünschten Wirkungen (> 1/100) zählen laut der Fachinformation von Forxiga® (Dapagliflozin) unter anderem Vulvovaginitis, Balanitis und verwandte Infektionen des Genitalbereichs sowie Harnwegsinfektionen. Erst kürzlich warnte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA vor seltenen aber schweren Genitalinfektionen unter SGLT-2-Therapie. Zu den seltenen unerwünschten Wirkungen (> 1/10000) zählt laut Fachinformation die oben erläuterte diabetische Ketoazidose, eine Nebenwirkung über die in der Vergangenheit immer wieder berichtet wurde – und vor der jetzt auch die AkdÄ erneut warnt.  



Diana Moll, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (dm)
redaktion@daz.online


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