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12. Oktober 2018
Sagen wir’s mal so, mein liebes Tagebuch: Der GKV-Spitzenverband ist nicht gerade der Lieblingsverband von ABDA-Präsident Friedemann Schmidt. Schon in seinem Lagebericht attackierte Schmidt den Kassenverband und ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er von diesem Verband genervt sei. Auslöser war u. a. das Positionspapier des GKV-Spitzenverbands Anfang Juni, in dem dieser eine komplette Deregulierung des Apothekenmarkts und Einsparungen bei Apotheken um mehr als 1 Milliarde forderte. Ein Antrag der Apothekerkammer Berlin, der Apothekertag solle den Kassenverband auffordern, sein Positionspapier zu revidieren, griff Schmidt gerne auf. Sinngemäß: Gespräche helfen bei diesem Verband nicht mehr. Und wörtlich: „Da muss man dann irgendwann auch einfach nur noch raufhauen.“ Genau, mein liebes Tagebuch, irgendwann platzt einem da der Kragen. Klar, der Antrag wurde einstimmig angenommen. Vielleicht hätte er sich schon mal früher so deutlich äußern sollen. Manche Verbände verstehen keine noble Zurückhaltung.
Jetzt aber volle Digitalisierung! Man hatte das Gefühl, dass Deutschlands Apothekerinnen und Apotheker wie berauscht vom Digitalen sind. Man kann es gar nicht mehr erwarten, auf der Datenautobahn dahinzubrausen – wenn es denn schon eine gäbe. Macht nichts, mein liebes Tagebuch, der Wille ist da. Und so beschloss man z. B., die Telematikinfrastrukur „beschleunigt“ und „mit aller Kraft“, was auch immer das heißen mag, zu verfolgen. Die Kassen, so war zu hören, bezahlen den Apotheken sogar die Erstausstattung, sprich den Konnektor und das Kartenlesegerät, der die Apotheken ins Telematiknetz bringt. Außerdem: Es soll einen verbindlichen Zeitplan fürs E-Rezept, das stufenweise eingeführt werden soll, und den E-Medikationsplan geben (Zeitpläne im IT-Sektor haben besonderen Charme, mein liebes Tagebuch!). Weiter: E-Rezepte dürfen nicht kommerzialisiert werden, also keine Provisionen und keine Vergütungen an Vermittler und Patienten fürs E-Rezept. Es soll einen Kommunikationskanal für Ärzte und Apotheker geben zum heilberuflichen Austausch (warum erst jetzt?). Nur an die Telepharmazie traute man sich nicht richtig ran. Ein löblicher Antrag, ein Projekt zu den Risiken und Chancen der telepharmazeutischen Anwendungen zu starten, wanderte in den Ausschuss. Tja, mein liebes Tagebuch, was das bedeuten kann, ist uns hinlänglich bekannt. Schade, schade. Wovor hat man da eigentlich so Angst? Jetzt hätten wir die Möglichkeit, Telepharmazie mitzugestalten…
Das Beste kommt vor dem Schluss! Ein Antrag von einigen Apothekern um Michael Mantell forderte die Einberufung einer Kommission zur Reform der ABDA. Ohgottohgott, das geht ja gar nicht. Die ABDA könne man doch in einer politisch so wichtigen Phase nicht schwächen! Mein liebes Tagebuch, was heißt hier „schwächen“…? Und warum sollte es eigentlich nicht möglich sein, endlich mal die fast 70 Jahre alten Strukturen dieses Verbands zu hinterfragen? Vor allem: Den Punkten, die die Antragsteller zur Begründung der Reform vorbrachten, kann man doch nur zustimmen: Die ABDA agiert wie ein schwerfälliger Tanker, es gelingt ihr nicht, mit einer Stimme zu sprechen, die Basis fühlt sich abgekoppelt, gefühlt münden Diskussionen zumeist in Beschlüsse, nicht aktiv zu werden oder etwas nicht zu kommunizieren. Mein liebes Tagebuch, wie man auch immer dazu stehen mag: Alte Strukturen zu hinterfragen hat noch nie geschadet. Und schaut man genau hin, wird einem klar: Zwischen der ABDA, den Mitgliedsorganisationen und der Basis, aber auch beim Thema Öffentlichkeitsarbeit und Kommunikation – kurz, in den Beziehungen und Strukturen knirscht es gewaltig. Aber man hätte wetten können: Der Antrag erreichte nicht die Abstimmungsphase. Dafür sorgten zum Beispiel auch alte Hubmannsche Beschwörungsformeln wie: Die ABDA sei doch ein „einzigartiges Konstrukt“, da es dieser Organisation gelungen sei, Kammern und Verbände unter einem Dach zu vereinigen. Ach du meine Güte, seit wann ist denn das allein schon ein Verdienst und „einzigartig“? Am Ende zogen die Antragsteller ihren Antrag zurück, wollen ihn aber auf dem nächsten Apothekertag neu einbringen. Gut so. Auch wenn die Prognose nahe liegt: Auch dann wird es heißen, dass es kein guter Zeitpunkt für eine Reform einer „einzigartigen“ Organisation ist. Mein liebes Tagebuch, vermutlich muss es noch schlimmer kommen.
Ob sie wollte oder nicht, die ABDA musste das Unwort 2hm-Honorargutachten in den Mund nehmen: Es lag ein Antrag dazu vor, der die Erstellung eines Gegengutachtens forderte. Der Apothekerkammer Saarland sei Dank für diesen sanften Druck auf die Dachorganisation. Er führte dazu, dass sich Claudia Korf, ABDA-Geschäftsführerin für Wirtschaft und Soziales, dazu hinreißen ließ, aus dem Nähkästchen zu plaudern. Sie offenbarte den Delegierten, dass man sich nach dem Erscheinen des Gutachtens sehr wohl intern damit befasste, sogar eine Präsentation für den Sachverständigenrat, die Monopolkommission und die Bundesregierung erstellte, allerdings nicht an die Mitgliedsorganisationen weiterleitete. Bei all dem Hin und Her habe man viel Zeit verloren, gab sie zu, und jetzt fehle die Zeit für ein Gegengutachten. Au weia, mein liebes Tagebuch, klingt alles nicht nach Weitsicht und Erfolg. Das Ende vom Lied: Ein Gegengutachten gibt es also nicht, Antragsteller, Delegierte und ABDA verständigten sich darauf, den Antragstext zu glätten und statt gefordertem Gegengutachten von einem Datenpanel zu sprechen. Was bleibt: Die ABDA wird ihre Schweigestrategie nicht fortführen können und sich damit weiterhin befassen müssen.
Und das Finale: Schmidt lässt die Hosen runter. Aus seinen Schlussworten: „Diesmal wird unsere Prämisse ‚Es soll so bleiben wie es ist, nur besser‘ nicht mehr halten. Im kommenden Jahr werden wirklich große Veränderungen auf uns zukommen.“ Und er räumte ein, dass „wir mit unserer klassischen Haltung nicht mehr weiter kommen“. Wie wahr, mein liebes Tagebuch, letztlich auch ein Eingeständnis, dass die Schweigestrategie nichts brachte, dass das eiserne Beharren auf dem Rx-Versandverbot mit Spahn sichtlich nicht zu machen ist und überhaupt die Erkenntnis: „Wir haben ein unglaubliches Maß an Reformbedarf.“ Bei allen Ups and Downs dieses Apothekertags: Die Selbsterkenntnis lässt hoffen, auch wenn der Weg dahin mehr als schräg war.
11 Kommentare
Zukunftssicherung
von Reinhard Rodiger am 14.10.2018 um 15:59 Uhr
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Situationsanalyse zuerst ...
von Reinhard Herzog am 14.10.2018 um 13:14 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 3 Antworten
AW: Situationsanalyse zuerst
von Karl Friedrich Müller am 14.10.2018 um 14:10 Uhr
AW: Situationsanalyse zuerst
von Ulrich Ströh am 14.10.2018 um 14:48 Uhr
AW: Situationsanalyse zuerst
von Wolfgang Müller am 14.10.2018 um 15:30 Uhr
Strategie ?
von Reinhard Rodiger am 14.10.2018 um 12:58 Uhr
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Die Strategie der ABDA ist gescheitert
von Gunnar Müller, Detmold am 14.10.2018 um 11:34 Uhr
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Orientierung?
von Christian Giese am 14.10.2018 um 9:59 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Zunder ...
von Gunnar Müller, Detmold am 14.10.2018 um 11:05 Uhr
Schweigedeal und Pharmazieräte
von Ulrich Ströh am 14.10.2018 um 9:16 Uhr
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Verdient
von Conny am 14.10.2018 um 9:08 Uhr
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