Digitalisierung

Apotheker in UK: Lieber Hausarzt anrufen als „Datensharing" 

Remagen - 06.11.2018, 14:00 Uhr

In UK können Apotheker auf Medikaionsdaten des Hausarztes zugreifen. Doch davon machen sie kaum Gebrauch.  (Foto: imago)

In UK können Apotheker auf Medikaionsdaten des Hausarztes zugreifen. Doch davon machen sie kaum Gebrauch.  (Foto: imago)


Die britischen Apotheker machen mit ihrem Einsatz für die Arzneimitteltherapiesicherheit immer wieder positiv von sich reden. Da passt eine neue Erkenntnis gar nicht so recht ins Bild. Seit ein paar Jahren dürfen sie Einblick in den elektronischen Summary Care Record nehmen, der bestimmte Medikationsdaten der Hausärzte enthält. Tatsächlich schauen Sie dort aber offenbar kaum rein.

In Großbritannien werden in Hausarztpraxen aus den Patientenakten automatisch so genannte Summary Care Records (SCRs) erstellt. Dabei handelt es sich um individuelle elektronische Aufzeichnungen, die bestimmte abgespeckte Informationen, etwa zur derzeitigen Medikation der Person, zu Allergien oder vorherigen unerwünschten Reaktionen auf Arzneimittel sowie Name, Adresse und Geburtsdatum und die NHS-Nummer, enthalten. Patienten, die keinen SCR möchten, müssen ihn explizit ablehnen (opt-out). Sie können den Hausarzt aber auch dazu autorisieren, zusätzliche Infos in den SCR aufzunehmen, etwa zu Behandlungspräferenzen und chronischen Krankheiten wie etwa Diabetes.

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Apotheken haben flächendeckenden Zugang

Der SCR kann von den Gesundheitsberufen und Pflegepersonal eingesehen werden. Im Herbst 2014 erhielten die Apotheken im Rahmen eines Pilotprojektes erstmals Zugang dazu. Nach dem Erfolg des Proof-of-Concept-Projektes können seit Herbst 2015 alle, sofern sie dafür registriert sind, flächendeckend auf SCRs zugreifen.

Der Einblick soll den Apothekern helfen, Unklarheiten bei Verordnungen zu klären, ohne dafür jedes Mal den Arzt anrufen zu müssen, und die Arzneimitteltherapie damit insgesamt sicherer machen. Außerdem können sie bei der Notversorgung hilfreich sein. Im Zuge der Digitalisierung des britischen Gesundheitswesens klemmt sich der Nationale Gesundheitsdienst (NHS) sehr dahinter, dass das Angebot in den Apotheken tatsächlich umgesetzt wird.

Viele gucken nie rein

Eigentlich sollte der Summary Care Record demnach „der beste Freund” des Apothekers sein, schreibt das Pharmaceutical Journal (PJ) und fragt sich, warum ihn trotzdem so viele Apotheker ignorieren. Nach einer aktuellen Analyse des Journals haben mehr als 85 Prozent der öffentlichen Apotheken über eine typische Woche nicht ein einziges Mal ein SCR geöffnet. Nur jede zehnte Apotheke tat dies öfter als zweimal. Es gab allerdings auch neun „super User", das heißt, Apotheken, die in derselben Woche mehr als 100-Mal auf einen SCR zugriffen. Zu diesen gehören Ketten-Apotheken, ebenso wie unabhängige Apotheken in Stadtzentren und solche, die sich in Lokalitäten zusammen mit Hausarztpraxen befinden. Vier Hauptnutzer sind übrigens Online-Apotheken.

Lieber zum Hörer greifen

Die Erkenntnisse der Analyse basieren auf Befragungen von mehr als 1.200 Apothekern, die das Pharmaceutical Journal im Sommer 2018 durchgeführt hat. Hiernach bestehen bei den Apotheken allerlei Unsicherheiten, wie und wann sie die SCRs konsultieren sollten. 41 Prozent gaben an, immer noch eher den Hausarzt anzurufen, statt in das SCR zu schauen. „Einer der Mythen ist, dass die Apotheker meinen, dass sie den SCR nicht brauchten. Schließlich sei es auch ohne gegangen“, sagt Mohammed Hussain von NHS Digital. „Aber wenn man sie dann fragt, wie oft sie den Hausarzt anrufen, …“ Eine Menge dieser Fragen hätte auch durch einen Blick in den SCR gelöst werden können, ist Hussain überzeugt

Videos zum Anlernen

Um die Nutzung anzuschieben, hat die Royal Pharmaceutical Society (RPS) eine eigene Leitlinie für die Apotheker erstellt. Außerdem stellt sie auf ihrer Webseite eine Reihe von Videos bereit. Hier beschreiben Apotheker verschiedene Szenarien, in denen der SCR für sie und die Patienten von Nutzen war. Ein Beispiel: Eine Kundin wollte in Urlaub fahren und hatte kurzfristig noch eine Verordnung von ihrem Arzt bekommen, die sie aber in der Apotheke nicht parat hatte. Die Apothekerin vergewisserte sich durch einen Blick in den Summary Care Record, dass damit alles in Ordnung war und konnte der Patienten das Arzneimittel aushändigen.

Apotheker wollen vollen Zugriff

Die Ergebnisse der PJ-Analyse machen sich vor allem deswegen nicht gut, weil die britischen Apotheker eigentlich noch mehr wollen, nämlich einen Zugriff auf die vollständigen Patientenakten. Das macht die Lobbyarbeit dafür nach Meinung von Hussain nicht unbedingt einfacher. Eventuell aber doch, denn sie würden vielleicht mehr in die SCR reinschauen, wenn dort mehr drin stünde. Sibby Buckle, Vorsitzende der RPS-Digital-Forum-Gruppe, berichtet: „Eine sehr häufige Antwort der Apotheker war, dass das SCR einfach nicht genügend Informationen enthält“. Für einige seien ihre persönlichen medizinischen Daten fast so gut, wenn nicht sogar besser als das SCR. Außerdem wollen die Apotheker nicht nur einen „read-only“-Zugang, sondern dort auch selbst Medikationsdaten eintragen. Hussain hält es ebenfalls für unvermeidlich, dass die Apotheker irgendwann einen vollständigen Lese-/Schreib-Zugriff auf die vollständigen Patientendaten erhalten. Das Ministerium für Gesundheit und soziale Fürsorge (DHSC) soll seine Unterstützung dafür zugesagt haben.



Dr. Helga Blasius (hb), Apothekerin
redaktion@daz.online


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