Engpass bei Influenzavakzinen 2018/19

Wie geht es weiter mit den Grippeimpfstoffen?

Stuttgart - 26.11.2018, 07:00 Uhr

Nach der Bekanntmachung des Versorgungsnotstandes im Bundesanzeiger: Wie geht es weiter mit den Importen von Grippeimpfstoffen? ( r / Foto:  Imago)

Nach der Bekanntmachung des Versorgungsnotstandes im Bundesanzeiger: Wie geht es weiter mit den Importen von Grippeimpfstoffen? ( r / Foto:  Imago)


Der Bund hat am vergangenen Freitag offiziell einen Versorgungsengpass bei Grippeimpfstoffen kundgetan – das tut er nicht häufig. In der aktuellen Influenzasaison 2018/19 trägt das Bundesgesundheitsministerium aber offenbar Sorge um den bundesweiten Grippeschutz und erlaubt den Import von Grippeimpfstoffen aus der EU. Was folgt auf die Veröffentlichung im Bundesanzeiger? DAZ.online hat mit Dr. Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut und einem Vertreter vom Regierungspräsidium Tübingen gesprochen. 

Der Bund hat einen Versorgungsengpass bei Grippeimpfstoffen kundgetan. Offiziell wurden die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) bereits am vergangenen Montag angekündigten Gegenmaßnahmen mit der Veröffentlichung des Engpasses am Freitag im Bundesanzeiger. Zwei Maßnahmen sieht der Bund vor: Apotheker und Ärzte dürfen sich untereinander mit Grippeimpfstoffen versorgen, und Grippeimpfstoffe dürfen aus dem EU-Ausland importiert werden. Doch was geschieht nun nach der Veröffentlichung des Engpasses im Bundesanzeiger? Wie kommt der Grippeimpfstoff nach Deutschland? 

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Hier hält sich der Bund nun wieder raus. „Der Vollzug der angekündigten Maßnahmen ist Sache der einzelnen Länder", erklärt ein Vertreter des Regierungspräsidiums Tübingen. Auf Länderebene reagieren zunächst einmal die einzelnen Regierungspräsidien. In Baden-Württemberg sind das beispielsweise vier: Freiburg, Karlsruhe, Stuttgart, Tübingen. In Abstimmung mit dem Sozialministerium werde sodann über die Versorgungslage im jeweiligen Bundesland entschieden und in der Folge auch, ob Grippeimpfstoffe länderregional importiert werden müssen oder nicht.

Länder entscheiden, ob sie Grippeimpfstoffe importieren müssen

Die Bürokratie hat also mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger ihr Ende noch nicht gefunden. Fällt die Überlegung pro Import aus, veröffentlichen die Regierungspräsidien eine Allgemeinverfügung im Staatsanzeiger, dass – im aktuellen Falle der Grippeimpfstoffe – diese in Deutschland nicht zugelassenen Fertigarzneimittel für einen begrenzten Zeitraum eingeführt und vorrätig gehalten werden dürfen.

Denn: Normalerweise dürfen Arzneimittel, die in Deutschland keine Zulassung haben, hier auch nicht im Verkehr sein. Das Arzneimittelgesetz (AMG) regelt dies in § 21 Zulassungspflicht: „Fertigarzneimittel, die Arzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 sind, dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie durch die zuständige Bundesoberbehörde zugelassen sind.“

Veröffentlichung im Staatsanzeiger gibt Startschuss für den Großhandel

„Allein das Vorrätighalten beim Großhandel ist ein Inverkehrbringen“, erinnert der Regierungspräsidiumsvertreter. Auch weichen importierte Arzneimittel hinsichtlich ihrer Kennzeichnung von den Zulassungsanforderungen im Arzneimittelgesetz ab. Diese ausnahmsweisen Abweichungen sind nur aufgrund von § 79 Abs. 5 AMG möglich. Die „Ausnahmeermächtigung für Krisenzeiten“ gestattet den „Behörden im Einzelfall auch ein befristetes Abweichen von Erlaubnis- oder Genehmigungserfordernissen oder von anderen Verboten nach diesem Gesetz.“

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Es liegt folglich allein in Hand der Länder und in deren Ermessen, ob sie Grippeimpfstoffe importieren, und nicht jedes Bundesland prescht automatisch vor, sobald der Bund den Versorgungsengpass offiziell bekundet hat. Mit der Veröffentlichung der Allgemeinverfügung im Staatsanzeiger auf Länderebene dreht sich das Zahnrad eine Zacke weiter und der nächste Akteur kommt ins Spiel. Mit diesem fällt nämlich der Startschuss für den Großhandel. „Sobald der Großhandel grünes Licht hat, aktiviert er sein Netzwerk und sondiert, wo er am schnellsten Grippeimpfstoff aus dem EU-Ausland beziehen kann", erläutert der Regierungspräsidiumsvertreter das Prozedere. Wie viel Impfstoff wird noch benötigt? Eine realistische Einschätzung obliegt hier dem Großhandel, er trägt das Lagerrisiko und bleibt auf eventuell überschüssiger Ware sitzen.

In Deutschland herrscht wohl ein Gefälle: Vor allem der Norden und der Osten sind von Impfstofflücken betroffen, während es im Süden noch relativ gut aussieht. So schätzt der Regierungspräsidiumsvertreter, dass Bundesländer, die tatsächlich schweren Grippeimpfstoffnotstand haben, bereits seit Spahns Ankündigung „Gewehr bei Fuß“ stehen, um den Großhändlern schnellstmöglich die Grundlage für Importe zu ermöglichen. Bei schnellem Agieren könnte bereits nach ein bis zwei Werktagen eine Veröffentlichung im Staatsanzeiger folgen.

Wenn der Impfstoff in Deutschland ist ...

Auch wenn der Grippeimpfstoff die logistischen Hürden vom EU-Ausland nach Deutschland erst einmal überwunden hat, ist er noch lange nicht sofort nadelfertig und impfbereit. Impfstoffe genießen hier – im Vergleich zu „normalen“ Fertigarzneimitteln wie Piperacillin beispielsweise – eine Sonderstellung. Bevor Sie in die Apotheke, die Arztpraxis und zur Applikation am Patienten kommen, müssen sie einen kleinen Umweg über das Paul-Ehrlich-Institut nehmen. Auch dann, obwohl sie in ihrem EU-Mutterland bereits freigegeben wurden. Das Arzneimittelgesetz regelt in § 32 die Staatliche Chargenprüfung.


Die Charge eines Serums, eines Impfstoffes oder eines Allergens darf unbeschadet der Zulassung nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie von der zuständigen Bundesoberbehörde freigegeben ist. Die Charge ist freizugeben, wenn eine Prüfung (staatliche Chargenprüfung) ergeben hat, dass die Charge nach Herstellungs- und Kontrollmethoden, die dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse entsprechen, hergestellt und geprüft worden ist und dass sie die erforderliche Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit aufweist. 

§ 32 Abs. 1 AMG 


... muss das Paul-Ehrlich-Institut erst prüfen!

Unbeschadet von der Zulassung darf ein Impfstoff in Deutschland nur in den Verkehr gebracht werden, wenn die zuständige Bundesoberbehörde die Charge freigegeben hat. Das ist in Deutschland das Paul-Ehrlich-Institut. Eine experimentelle Chargenprüfung ist Bestandteil der staatlichen Chargenprüfung beim PEI, die auch für jede ursprünglich für den deutschen Markt vorgesehene Impfstoffcharge Pflicht ist. Diese Chargenprüfung kann jedoch auch ein staatliches Kontrolllabor eines anderen Staates der EU oder des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) übernehmen, allerdings nur, wenn das Labor in das europäische Netzwerk der amtlichen Arzneimittelkontrolllabore OMCL (Officinal Medicines Control Laboratories) eingebunden ist. Derzeit sind außer dem PEI noch 17 weitere Mitgliedstaaten an das OMCL-Netzwerk angeschlossen. Da diese Labore alle nach einem einheitlichen Standard, anhand von gemeinsam festgelegten und allgemeinen Leitlinien prüfen, werden die experimentellen Prüfungsergebnisse nach Artikel 114 der europäischen Richtlinie 2001/83/EG von den anderen staatlichen Kontrolllaboren des OMCL-Netzwerkes anerkannt.


Die Charge ist auch dann freizugeben, soweit die zuständige Behörde eines anderen Mitgliedstaates der Europäischen Union nach einer experimentellen Untersuchung festgestellt hat, dass die in Satz 2 genannten Voraussetzungen vorliegen.“


Wie lange dauert die Chargenfreigabe beim PEI?

Das heißt, dass im Falle des Importes von Grippeimpfstoffen das PEI zwar die bereits in anderen Ländern experimentell freigegebenen Impfstoffchargen nochmals freigeben muss, jedoch entfällt die experimentelle Chargenprüfung. Die Freigabe erfolgt anhand des bereits erteilten Zertifikates: „Wir überprüfen die Übereinstimmung mit dem OMCL-Zertifikat und ob die importierten Grippeimpfstoffe ein deutsches Etikett und eine deutsche Packungsbeilage haben“, erklärt Dr. Susanne Stöcker vom Paul-Ehrlich-Institut. Wichtig sei auch vor allem, dass bei Großpackungen mit zehn Impfdosen tatsächlich auch zehn Gebrauchsinformationen beilägen, dass jeder die Apotheke jedem Patienten eine aushändigen kann.

PEI: nur wenige Tage bis zur Chargenfreigabe

Das Arzneimittelgesetz räumt dem PEI für eine Chargenprüfung üppig Zeit ein: „Die zuständige Bundesoberbehörde hat eine Entscheidung nach Absatz 1 innerhalb einer Frist von zwei Monaten nach Eingang der zu prüfenden Chargenprobe zu treffen“ steht in § 32 Abs. 1a AMG. Doch Stöcker ist zuversichtlich, dass dieser Prozess deutlich zügiger läuft: „Wir arbeiten bei der Chargenfreigabe sehr schnell. Für gewöhnlich - bei 95 Prozent der eingereichten Chargen - brauchen wir nur wenige Tage.“ Es gebe auch Chargen, bei denen dauere der Prozess länger. Das hat aber seinen Grund, dann sei die Charge meist nicht einwandfrei, so die PEI-Sprecherin.

Dass das PEI wie bei importierten Grippeimpfstoffen auf die OMCL-Zertifikate anderer Staaten zurückgreift, ist eher ungewöhnlich. In der Regel läuft dies eher andersrum und EU-Staaten vertrauen auf die sorgfältige Arbeite deutscher Behörden und nutzen die OMCL-Zertifikate des PEIs. „Wir sind ein sehr fleißiges OMCL", sagt Stöcker hierzu. Erst mit der Freigabe des PEIs dürfen die Großhändler auch die Apotheken bevorraten.

Wenn der Versorgungsmangel endet

Die Ausnahmeermächtigung zum Import von Grippeimpfstoffen gilt nur für eine gewisse Zeit eines bestehenden Versorgungsmangels. Besteht dieser nicht mehr, verläuft das ganze Verfahren in umgekehrter Richtung. Das bedeutet: Das BMG macht eine Bekanntmachung im Bundesanzeiger und hebt den Versorgungsnotstand auf. In der Folge reagieren die Bundesländer mit einer Bekanntmachung im Staatsanzeiger, der sodann die Importmöglichkeiten auf das im AMG unter Normalbedingungen geregelte Maß zurückführt.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Armes Deutschland

von Ratatosk am 26.11.2018 um 16:03 Uhr

Von der " Apotheke der Welt " zum Restesammler in 20 Jahren, dank grandioser Politik und GKV , flankiert von sog. Experten wie Lauterbach und Glaeske, Man sieht, die verstehen offensichtlich nicht das Schwarze unterm Fingernagel, wie die Realität aussieht.

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