BMG-Antwort auf Grünen-Anfrage

Ministerium: „Teratogene Wirkung von Duogynon unwahrscheinlich“

Berlin - 28.11.2018, 09:00 Uhr

Vor zwei Jahren protestierte die Interessensvertretung der Duogynon-Opfer vor dem Brandenburger Tor in Berlin. (m / Foto: imago)

Vor zwei Jahren protestierte die Interessensvertretung der Duogynon-Opfer vor dem Brandenburger Tor in Berlin. (m / Foto: imago)


Ist Duogynon das zweite Contergan? Die früheren Schering-Präparate stehen unter Verdacht, Fehlbildungen verursacht zu haben. Die Grünen-Bundestagsfraktion hatte sich bei der Regierung nach der Aufarbeitung des Duogynon-Skandals erkundigt. Das Bundesgesundheitsministerium antwortete nun, die teratogene Wirkung der Duogynon-Präparate erscheine „unwahrscheinlich“. Deshalb seien weder weitere Untersuchungen noch Entschädigungszahlungen an mutmaßlich Betroffene erforderlich.

Lösten die ehemaligen Duogynon-Präparate Fehlbildungen bei Ungeborenen aus? Aus wissenschaftlicher Sicht ist der Arzneimittelskandal weiterhin ungeklärt. Die Grünen geben sich damit nicht zufrieden. Vor einigen Tagen stellte die Grünen-Bundestagsfraktion eine kleine Anfrage zur bisherigen Aufarbeitung der Duogynon-Akten und wollte wissen, ob es möglich sei, die mutmaßlich Betroffenen zu entschädigen.

BMG: keine weitere Aufklärung nötig

Das Bundesgesundheitsministerium antwortete, es gebe keinen Anlass, alte Aktenbestände weiter zu untersuchen oder Überlegungen über Entschädigungszahlungen anzustellen. Denn aus Sicht der Bundesregierung sind teratogene Effekte durch Duogynon nicht bewiesen – ja, sogar unwahrscheinlich: „Vor dem Hintergrund der dargestellten Daten- und Faktenlage kann ein Zusammenhang zwischen den oben genannten hormonellen Schwangerschaftstests während der Frühschwangerschaft und unerwünschten Effekten wie Fehlgeburt, Totgeburt oder angeborenen Missbildungen zwar nicht gänzlich ausgeschlossen werden, erscheint jedoch unwahrscheinlich.“ Auch Gespräche mit den mutmaßlich Betroffenen und der Bayer AG, die Schering 2006 übernommen hatte, sind aus Sicht der Bundesregierung nicht erforderlich.

Die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage zeige „ihr völliges Desinteresse an einer Aufklärung im Fall Duogynon“, kommentiert Hauptfragestellerin Maria Klein-Schmeink, die gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen-Bundestagsfraktion. „Kritische Fragen werden entweder ausweichend beantwortet oder gänzlich ignoriert.“ 

Grüne: „Missachtung der Duogynon-Opfer“

In der DAZ wurde bereits ausführlich über die bisherigen Entwicklungen und wissenschaftlichen Hintergründe zu Duogynon berichtet. In Großbritannien, wo die Schering-Präparate unter dem Namen Primidos im Handel waren, werden die Vorfälle seit 2015 untersucht. Im Frühjahr 2018 hat eine weitere unabhängige Untersuchungskommission ihre Arbeit an den Duogynon-Akten aufgenommen. Der Bericht mit Empfehlungen soll voraussichtlich 2019 erstellt werden. Das Bundesgesundheitsministerium erklärte in dem Antwortschreiben, man werde die britische Untersuchung von deutscher Seite aufmerksam verfolgen.  

Die Bundesregierung könnte sich hierbei ein Beispiel an Großbritannien nehmen, findet Klein-Schmeink: „Während die Briten also ein hochkarätiges Expertengremium einberufen, hunderte Seiten Akten übersetzen lassen und sämtliche wissenschaftliche Studien einer Neuevaluation unterziehen, sieht die Bundesregierung ,keine Veranlassung, weitere, aufwändige Untersuchungen alter Aktenbestände durchzuführen`. Sie ist nicht mal bereit, Gespräche mit den Geschädigten zu führen. Diese Haltung ist eine Missachtung aller Opfer von Duogynon.“



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


Diesen Artikel teilen:


Das könnte Sie auch interessieren

Ein zweiter Contergan-Skandal?

Der Fall Duogynon

Gesundheitspolitiker der SPD, Union und Grünen fordern Aufklärung

Wird der „Fall Duogynon“ neu aufgerollt?

Eine kritische Wertung der Datenlage vor dem Hintergrund der Heneghan-Studie

„Nicht zum Kausalitätsnachweis geeignet“

Missgebildet durch Schwangerschaftstest?

Mann klagt gegen Bayer Schering

Neue Datenauswertung sorgt für Diskussionen

Die Wende im Fall Duogynon?

Interview mit Andre Sommer und Dr. Beate Kirk

„Vollständig, fair und transparent aufklären“

3 Kommentare

Dezember 2018: Abgeordnete fordern Aufklärung

von Beate Kirk am 03.12.2018 um 13:04 Uhr

Die Patientenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion Martina Stamm-Fibich und der Berichterstatter der Unionsfraktion im Bundestag Dr. Stephan Pilsinger (CSU) fordern in einer gemeinsamen Erklärung Aufklärung im Fall #Duogynon / #Primodos. Das berichtet die Ärztezeitung.
https://www.aerztezeitung.de/politik_gesellschaft/article/977264/duogynon-abgeordnete-fordern-aufklaerung.html

Vorstand und Mitglieder im Netzwerk Duogynon e. V. fragen ebenfalls: wie stellt sich die deutsche Bundesregierung, insgesondere das von Jens #Spahn geleitete #BMG, die Zukunft vor? Unsere Idee wäre die Stärkung von Patientenrechten. Aufklärung, Schutz und Versorgung von Medikamentengeschädigten. Eine Idee wäre doch, die Betroffenen wahrzunehmen und mit diesen zu sprechen. Infos unter duogynonopfer.de.
Vgl. https://news.sky.com/story/new-study-links-pregnancy-drug-primodos-to-birth-defects-11565112

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Zeitzeugin Sandra M. berichtete bei SkyNews über Schering-Interna.

von Beate Kirk am 28.11.2018 um 15:51 Uhr

Das Bundesgesundheitsmnisterium wird sich fragen lassen müssen, wie die ExperInnen des BMG bzw. des BfArM die abortive Wirkung der beiden Duogynon-Wirkstoffe in Duogynon Dragees erklären. Mein Pharmakologieprofessor beim Pharmaziestudium 1981 bis 1986 TU Braunschweig meinte dazu, sinngemäßes Zitat: "Abortive Arzneistoffe sind per se teratogen. Alles eine Frage der Dosis und des Zeitpunktes des Einwirkens auf das ungeborene Kind. Basta." Heute weiß ich: Ausnahme: Mifepriston. Damals wohl noch nicht soweit erforscht.

Besonders interessant für mich als Pharmaziehistorikerin ist der Bericht der ehemaligen Schering-Angestellten Sandra M., die 1971 (!) von einem Betriebsarzt der brit. Schering-Niederlassung vor diesem Hormonmittel gewarnt wurde. Sehr aussagekräftiger Zeitzeugenbericht unter https://news.sky.com/story/new-study-links-pregnancy-drug-primodos-to-birth-defects-11565112?fbclid=IwAR2RKg17MAdtoZ3N0qcfhKrAbFKNAj0S7sofD1OifoEV-Y_Yq-B2DjfAQ70.

Auch die AM-Kommission der Dt. Ärzteschaft warnte 1975 vor der Anwendung Duogynons als Schwangerschaftstest, nur zur Behebung der Sekundären Amenorrhoe, also bei Menstruationsstörungen aus welchem Grunde auch immer war das Hormonmittel weiterhin in der Bundesrepublik im Handel.

Eine Bitte:
Gibt es Kollegen und Kolleginnen, die in den1960er und 1970er Jahren als ApothekerInnen tätig waren und denen der Missbrauch von Duogynon Dragees als Abortivum bekannt ist?
Ihre Aussagen können sehr hilfreich sein!
Infos bitte an info@beatekirk.de oder info@duogynonopfer.de.

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Aktuelle Neuigkeiten

von Andre Sommer am 28.11.2018 um 14:47 Uhr

Am Di., 27.11. berichtete SkyNews in England über eine aktuelle Studie der UNI Oxford. Dabei wurde sehr wohl ein Zusammenhang von Missbildungen und der Einnahme hormoneller Schwangerschaftstests festgestellt. Da die deutschen Behörden nichts tun, kann man nur auf die englischen Untersuchungen hoffen.
https://news.sky.com/story/new-study-links-pregnancy-drug-primodos-to-birth-defects-11565112

» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten

Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.