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EU-Austritt
Sorge vor Brexit-bedingten Lieferengpässen nimmt zu
Auch wenn der Brexit zeitlich wohl nach hinten verschoben wird und weiterhin unklar ist, ob er am Ende weich oder hart ausfällt, so wird er zweifellos Auswirkungen auf Wirtschaft und Handel haben. Zunehmend mehren sich auch Stimmen und Anzeichen, dass die Arzneimittelbranche davon betroffen sein wird.
2,4 Milliarden Euro – so hoch ist der Wert der Arzneimittel, die Deutschland jährlich aus Großbritannien importiert. Noch höher ist der Wert der Arzneimittelausfuhren von Deutschland in das Vereinigte Königreich: 5,1 Milliarden Euro. Diese Zahlen nennt das Fernsehmagazin Plusminus mit Berufung auf den Bundesverband der Arzneimittel-Hersteller (BAH) in einem auch online verbreiteten Beitrag. Sie zeigen, dass beide Länder im Medikamentenbereich eng miteinander verbunden sind. Zunehmend mehren sich nun Stimmen, die vor allem im Fall eines harten Brexit vor Versorgungsengpässen warnen.
Laut Plusminus ist rund ein Viertel aller Medikamente, die in Europa auf dem Markt sind, in Großbritannien zugelassen worden. Im Falle eines ungeregelten Brexits würden diese Produkte quasi über Nacht ihre EU-Zulassung verlieren. Einziger Ausweg sei die Zulassung in einem anderen EU-Land. Allerdings sei die Übertragung nicht so schnell machbar, stellt Elmar Kroth, Geschäftsführer Wissenschaft des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller (BAH) fest: „Nach den vorliegenden Zahlen sind bislang etwa Dreiviertel dieser Zulassungen auf einen anderen Mitgliedsstaat übertragen worden. Ob wir das restliche Viertel noch innerhalb der wenigen verbleibenden Wochen schaffen werden, müssen wir abwarten.“
EMA: Versorgungsprobleme bei 31 Medikamenten drohen
Auch bei den zentral für ganz Europa zugelassenen Arzneimitteln gibt es dem Bericht nach Probleme. Nach Angaben der Europäische Arzneimittelagentur EMA könnte es wegen des Brexit bei 31 zugelassenen Arzneimitteln zu Versorgungsstörungen innerhalb der EU kommen. Die Liste dieser Medikamente wollte die Behörde auf Nachfrage des Magazins „zurzeit nicht veröffentlichen“. Eine Nennung der Medikamente zu einem Zeitpunkt, wo noch alles offen ist, sei nicht nur schwierig, sondern erzeuge auch unnötige Ängste.
Laut BAH-Geschäftsführer Kroth sieht das ausgehandelte Brexit-Abkommen vor, in einer Übergangsphase bis 2020 ein Abkommen über die gegenseitige Anerkennung von bestimmten Unterlagen auszuhandeln. Sollte es allerdings zu einem ungeregelten beziehungsweise harten Brexit kommen, werde es keine Übergangsphase geben. Bei den dann notwendigen Zollkontrollen müsse mit Verzögerungen bei der Abwicklung von Import- und Export gerechnet werden. „Dies kann im Ergebnis zu Lieferengpässen auf beiden Seiten führen“, zitiert Plusminus Kroth.
Engländer machen Hamsterkäufe in Apotheken
Auch die deutsche Pharmaindustrie ist alarmiert. So berichtet die Deutschlandchefin von Boehringer Ingelheim, Sabine Nikolaus, dass das Unternehmen bereits 2017 mit den Vorbereitungen auf den Brexit begonnen habe. Nachdem zusätzliche Lagerkapazitäten angemietet worden seien, werde momentan der Warenbestand aufgestockt. Auch Bayer erweitert demnach die Lagerkapazitäten, stellt aber klar, dass „eine Aufstockung der Bestände bei Medikamenten mit sehr kurzer Haltbarkeit, speziell in der Kategorie Radiopharmazeutika, nicht möglich“ sei. Der Plusminus-Bericht nennt zudem eine deutsche Apothekerin, die Versorgungsprobleme fürchtet.
Währenddessen zieht das Thema in den Medien immer weitere Kreise. So berichtete die Berliner Zeitung kürzlich davon, dass in Großbritannien chronisch Kranke um ihre Versorgung fürchten. Plusminus verweist wiederum auf den Londoner Apotheker Naresh Maini, der täglich Hamsterkäufe erlebe. Aus Panik horteten die Kunden inzwischen fast wahllos Medikamente. Der Apotheker habe nun ein Merkblatt für seine Kunden zusammengestellt, mit dem er weitere Panikkäufe vermeiden wolle. „Es wird wahrscheinlich zu weiteren Lieferengpässe kommen“, teilt Maini darin mit, „aber wenn die Leute panisch sind und anfangen Arzneimittel zu horten, wird es noch mehr Lieferengpässe geben.“
Brexit-Gegner, die vor dem britischen Parlament demonstrieren, berichten ihrerseits von Schwierigkeiten, bestimmte Medikamente zu bekommen. Mittlerweile müssten die Kunden verschiedene Apotheken anrufen, um eine zu finden, die die Arzneimittel im Sortiment haben.
Pharmaunternehmen stocken auf
Die britische Zeitung The Guardian schrieb kürzlich, dass die Pharmaindustrie im Vereinigten Königreich angesichts des Brexits dabei sei, sich auf die neue Situation einzustellen. So hätten AstraZeneca und andere Unternehmen ihre Investitionen in die Produktion eingefroren. Ein ranghoher Manager des japanischen Pharmakonzerns Eisai teilte demnach mit, keine neuen Investitionen auf der Insel zu tätigen, solange nicht politische Klarheit herrsche. Pharmahersteller wie Novartis und Pfizer hätten zudem angekündigt, im Jahr 2020 Produktionsstätten in Großbritannien zu schließen.
Laut The Guardian beschäftigt Großbritanniens Life-Science-Sektor, zu dem auch Forschungseinrichtungen und regulatorische Behörden zählen, etwa 140.000 Menschen und habe nach Zahlen von 2015 einen Wert von mehr als 30 Milliarden Pfund erwirtschaftet. Zwei Drittel aller Medikamente würden aus der EU importiert, wobei 90 Prozent über die Häfen von Dover und Folkestone ins Land kämen.
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