- DAZ.online
- News
- Pharmazie
- HIV: Welche Therapien fü...
Rote-Hand-Brief
HIV: Welche Therapien für Schwangere (nicht) geeignet sind
Vergangenen Dienstag erschien ein Rote-Hand-Brief des Pharmaunternehmens Gilead Sciences, in dem vor einem Therapieversagen in der Schwangerschaft der drei HIV-Arzneimittel Genvoya®, Stribild® und Tybost® gewarnt wird. Grund seien erniedrigte Plasmaspiegel des Wirkstoffs Elvitegravir und des Boosters Cobicistat. Zu Cobicistat in der Schwangerschaft gab es bereits 2018 einen Rote-Hand-Brief der Firma Janssen, ebenso zu Dolutegravir von ViiV Healthcare. Es stellt sich die Frage: Welche HIV-Therapie kann man in der Schwangerschaft empfehlen? DAZ.online hat sich die Leitlinie angeschaut.
Laut der Deutsch-Österreichischen Leitlinie zur „HIV-Therapie in der Schwangerschaft und bei HIV-exponierten Neugeborenen“ wurden in Europa vor Einführung der medikamentösen Transmissionsprophylaxe in einer nicht stillenden Population rund 15 bis 25 Prozent der Kinder von ihren HIV-positiven Müttern angesteckt. Die antiretrovirale Kombinationstherapie (cART) soll dann bei Schwangeren mit bekannter HIV-Infektion die Mutter-Kind-Transmissionsrate auf <1 Prozent reduziert haben. Eine wirksame HIV-Therapie ist also sowohl für das Kind, als auch für die Schwangere extrem wichtig.
Mehr zum Thema
Grundsätzlich gelten für Schwangere dieselben Behandlungsindikationen wie für nichtschwangere Erwachsene, jede HIV-Infektion in der Schwangerschaft soll behandelt werden. Wird die Infektion erst in der Schwangerschaft diagnostiziert, ist es möglich eine Behandlung erst zu Beginn des zweiten Trimenons (nach Abschluss der Organogenese) in Erwägung zu ziehen. Laut Leitlinie stehen dann prinzipiell alle Substanzklassen zur Verfügung – wobei die wenigsten für den Einsatz in der Schwangerschaft zugelassen sind und auch die klinischen Erfahrungen begrenzt sind.
Empfohlene Substanzen in der Schwangerschaft
Aus der Klasse der NRTI (nucleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren) werden Tenofovir/Emtricitabin und mit Einschränkung Abacavir/Lamivudin als Fixkombination einmal täglich empfohlen. Zwei NRTI bilden das „Rückgrat“ einer HIV-Therapie. Sie werden im Allgemeinen entweder mit einem Integrase-Inhibitor (INI), einem Protease-Inhibitore (PI) oder einem NNRTI (nicht nucleosidische Reverse-Transkriptase-Inhibitoren) kombiniert. In der Leitlinie zur Schwangerschaft wird aus der NNRTI-Gruppe Nevirapin zweimal täglich empfohlen.
PI sind allgemein in Kombination mit niedrig dosiertem Ritonavir (PI/r) oder Cobicistat (PI/c) stärker wirksam und werden nur mit diesen Booster-Substanzen gemeinsam empfohlen. In der Leitlinie zur Schwangerschaft sind das Atazanavir/r, Darunavir/r und Lopinavir/r.
Aus der relativ jungen Gruppe der INI kann Raltegravir als Teil einer cART oder in Ergänzung sinnvoll sein – in Fällen einer späten HIV-Erstdiagnose in der Schwangerschaft oder bei später Erstvorstellung in der Schwangerschaft zur rascheren Absenkung der HIV-RNA bis zum Geburtstermin.
Medikamentenspiegelmessungen in Schwangerschaft sinnvoll
Wird die Schwangere bereits vor der Schwangerschaft erfolgreich gegen HIV behandelt, soll die vorhandene cART weitergeführt werden. Es soll aber geprüft werden, ob eine Anpassung mit den oben genannten Substanzen im Hinblick auf das Kind möglich und sinnvoll ist. Als Beispiel-Präparate, zu denen wenige Daten in der Schwangerschaft vorliegen, werden die modernen Single-Tablet-Regime (STR) genannt.
Die Leitlinie schreibt, dass vor Beginn der cART ein Resistenztest erfolgen soll und: „Darüber hinaus kann die Pharmakokinetik antiretroviraler Substanzen durch eine Schwangerschaft verändert werden.“ Deshalb könnten Medikamentenspiegel-Messungen sinnvoll sein.
Dass das wirklich so ist, beweisen zwei Rote-Hand-Briefe der jüngeren Vergangenheit. Einer stammt vom 24. Juni 2018 von der Firma Janssen, über den DAZ.online bereits berichtete. Der neueste stammt vom vergangen Dienstag von Gilead.
Erniedrigte Plasmaspiegel und Neuralorohrdefekte
Im Juni 2018 ging es um den in der Schwangerschaft empfohlenen
Protease-Inhibitor Darunavir, allerdings nicht in Kombination mit dem Booster
Ritonavir, sondern mit Cobicistat: Unter der Kombination Darunavir/Cobicistat
besteht ein erhöhtes Risiko für ein Therapieversagen und eine
Mutter-Kind-Übertragung, hieß es damals. Grund sei ein geringerer Plasmaspiegel von Darunavir und Cobicistat im 2. und
3. Trimenon. „Darunavir/Ritonavir“ kann als Alternative in Erwägung gezogen
werden, hieß es außerdem. Was der Leitlinien-Empfehlung entspricht.
Die Produktinformationen von Prezista® (Darunavir) und Symtuza® (Vierfachkombination aus Darunavir, Cobicistat,
Emtricitabin und Tenofovir-Alafenamid) wurden entsprechend aktualisiert. Abgesehen von der Booster-Substanz Cobicistat werden alle
Wirkstoffe in Symtuza® von der Leitlinie in der Schwangerschaft empfohlen.
Nun gibt es seit dem 26. März 2019 einen weiteren Rote-Hand-Brief zum Thema: „Erhöhtes Risiko für ein Therapieversagen und erhöhtes Risiko einer Mutter-Kind-Übertragung der HIV-Infektion“ aufgrund einer geringeren Plasmakonzentration liest man dort wieder. Dieses Mal geht es aber um die Kombination des Integrasehemmers Elvitegravir mit Cobicistat. Jedoch wird in der Leitlinie zur Schwangerschaft nur Raltegravir als möglicher Integraseinhibitor genannt, zu Dolutegravir und Elvitegravir seien die Daten in der Schwangerschaft nicht ausreichend. Auch zu Cobicistat steht in Tabelle 3 „Einschätzung der Substanzen hinsichtlich ihres Einsatzes in der Schwangerschaft“ der Leitlinie, dass die Daten zu Cobicistat nicht ausreichend sind.
Zu Dolutegravir gab es im Juni 2018 übrigens einen weiteren Rote-Hand-Brief bezüglich der HIV-Therapie kurz vor oder in der Schwangerschaft. Dabei ging es um ein erhöhtes Risiko für Neuralrohrdefekte bei Neugeborenen, deren Mütter zur Zeit der Konzeption Tivicay® (Dolutegravir), Triumeq® (Dolutegravir/ Abacavir/ Lamivudin) oder, das seit Juni 2018 in Deutschland vermarktete, Juluca® (Dolutegravir/ Rilpivirin) angewendet haben. Frauen mit Kinderwunsch sollten kein Dolutegravir erhalten.
Der neue Rote-Hand-Brief: wieder Cobicistat, Produktinformationen werden angepasst
Der neue Rote-Hand-Brief bezieht sich nun auf eine Studie, die offenbar genau das Thema Schwangerschaft im Zusammenhang mit HIV-Therapie und erniedrigten Plasma-Spiegeln untersucht: die IMPAACT P1026s-Studie (International Maternal Pediatric Adolescent AIDS Clinical Trials) – „Pharmacokinetic Properties of Antiretroviral Therapy During Pregnancy“. Dabei soll es auch um die gleichzeitige Behandlung mit Tuberkulose-Medikamenten und hormonellen Verhütungsmitteln gehen.
Mehr zum Thema
Wie ist das Interaktionspotenzial?
Pille & Co bei HIV
Welt-AIDS-Tag
Neue Entwicklungen für die HIV-Therapie
Infolge der aus der Studie gewonnen neuen Daten zur Pharmakokinetik werden nun die Produktinformationen der Gilead-Präparate Genvoya® (Elvitegravir, Cobicistat, Emtricitabin und Tenofoviralafenamidfumarat) und Stribild® (Elvitegravir, Cobicistat, Emtricitabin und Tenofovirdisoproxilfumarat) aktualisiert: Eine Therapie mit Elvitegravir/Cobicistat soll während einer Schwangerschaft nicht begonnen werden. Frauen, die unter der Therapie mit Elvitegravir/Cobicistat schwanger werden, sollen auf ein alternatives Behandlungsregime umgestellt werden.
Laut Leitlinie sind die Daten für Tenofoviralafemamid in der Schwangerschaft nicht ausreichend. Tenofovirdisoproxilfumarat (TDF) wird deshalb bevorzugt. Ansonsten zählt die Kombination Tenofovir/Emtricitabin zu den empfohlenen in der Schwangerschaft.
Auch die Produktinformation von Tybost® (Cobicistat) werde mit dem Hinweis aktualisiert, dass eine Therapie mit Darunavir/Cobicistat während der Schwangerschaft nicht begonnen werden soll. Zum Zeitpunkt des Rote-Hand-Briefs von Janssen vom Juni 2018 war dies offenbar noch nicht geschehen.
2 Kommentare
Hypnose als Therapie geeignet?
von Lukas am 01.04.2019 um 11:54 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Hypnose als Therapie geeignet
von Georg Schwarz am 27.04.2019 um 11:05 Uhr
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.