USA: Zulassung von Mavenclad bei Multipler Sklerose

Cladribin bei sekundär progredienter MS

Stuttgart - 02.04.2019, 14:00 Uhr

Nach Siponimod folgt Cladribin in der FDA-Zulassung zur Therapie der sekundär progredienten MS. (Foto: picture alliance)

Nach Siponimod folgt Cladribin in der FDA-Zulassung zur Therapie der sekundär progredienten MS. (Foto: picture alliance)


Es bewegt sich was bei der sekundär progredienten Multiplen Sklerose. Nachdem die FDA in der vergangenen Woche bereits Siponimod zugelassen hat, freut sich Merck nun über die Zulassung von Mavenclad (Cladribin) in den Vereinigten Staaten. In der EU ist Mavenclad bereits zugelassen und eine der wenigen Therapieoptionen bei sekundär progredienter MS.

Patienten mit remittierend schubförmiger Multipler Sklerose (RRMS, reverse remitting multiple sclerosis) haben mit Interferon (zum Beispiel Avonex®), Dimethylfumarat (Tecfidera®) oder beispielsweise Alemtuzumab (Lemtrada®), Cladribin (Mavenclad®) Fingolimod (Gilenya®), Ocrelizumab (Ocrevus®) oder Natalizumab (Tysabri®) für hochaktive Verlaufsformen einige Behandlungsoptionen.

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Deutlich schlechter hingegen sieht es für Patienten aus, die an primär progredienter MS leiden (PPMS) oder bei denen die anfänglich schubförmige MS in eine sekundäre Progredienz mit oder ohne aufgesetzte Schüben übergegangen ist (SPMS). In Deutschland sind derzeit nur wenige Arzneimittel für SPMS zugelassen, Cladribin und Interferon, und auch für die PPMS bietet erst seit Januar 2018 Roche mit Ocrevus® erstmalig eine und bislang die einzige Therapieoption. Doch auch in diesen „Randbereichen“ der MS-Therapie schreitet die Arzneimittelentwicklung voran. Jüngst wurde Siponimod (Mayzent®) in den USA für die sekundär progrediente Form der MS zugelassen und auch Mavenclad® erteilte die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA am 29. März 2019 die Zulassung: Die Cladribin-Zulassung umfasst die RMS, sprich die RRMS und die SPMS.

USA: Mavenclad bei sekundär progredienter MS

In Europa erhielt Merck für sein MS-Therapeutikum Mavenclad® bereits im August 2017 die Zulassung. Die Fachinformation schreibt dazu: „Mavenclad® wird angewendet zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit hochaktiver schubförmiger Multipler Sklerose (MS), definiert durch klinische oder bildgebende Befunde“. Merck erklärt: „In der Indikation RMS ist die RRMS wie auch die SPMS eingeschlossen. Unser Medikament Mavenclad® ist eines der wenigen MS Präparate, das auch für die SPMS mit aufgesetzten Schüben in Deutschland zugelassen und zur Verfügung steht.“ Ausnahmsweise war die europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) bei Cladribin folglich schneller als die FDA – diese gewährte Cladribin nämlich erst vor wenigen Tagen die Zulassung.

Die meisten MS-Patienten (85-90 Prozent) leiden an einer remittierend schubförmigen Variante (RRMS), diese geht laut der aktuellen internationalen Leitlinie – ECTRIMS/EAN guideline on the pharmacological treatment of people
with multiple sclerosis – unbehandelt bei mehr als der Hälfte der Patienten innerhalb von zwei Jahrzehnten in eine sekundäre Progredienz über. Eine sekundär progrediente MS kann aktiv (mit aufgesetzten Schüben oder neuer Krankheitsaktivität im MRT) oder nicht aktiv verlaufen.

Mavenclad: zweite Behandlungsoption bei sekundär progredienter MS

Mit Cladribin kommt innerhalb von zwei Tagen nun schon die zweite orale Behandlungsoption für Patienten mit SPMS in den USA. Erst am 27. März 2019 durfte sich Novartis über die Zulassung von Siponimod (Mayzent®) freuen. Wie auch Cladribin wird Siponimod sowohl bei remittierend schubförmiger MS als auch bei sekundär progredienter MS eingesetzt. Siponimod umfasst zusätzlich die initiale Therapie eines CIS, klinisch isolierten Syndroms, Cladribin hingegen darf bei CIS nicht eingesetzt werden. Grund hierfür ist das Sicherheitsprofil von Mavenclad®. Merck erklärt: „Aufgrund seines Sicherheitsprofils wird der Einsatz von Mavenclad® allgemein für Patienten empfohlen, die auf ein anderes Arzneimittel für die Indikation Multiple Sklerose (MS) nur unzureichend angesprochen oder dieses nicht vertragen haben. Mavenclad® ist nicht angezeigt bei Patienten mit klinisch isoliertem Syndrom (CIS).“ So bestehe ein „potenzielles Malignitätsrisiko und das Risiko für Teratogenität“, worauf die Zulassungstexte mit einem besonders hervorgehobenen Warnung hinwiesen.

Kurzzeittherapie bei Cladribin: nur zwei Jahre

Worin sich die beiden SPMS-Therapeutika Siponimod und Cladribin unterscheiden ist die Applikationshäufigkeit und Therapiedauer. Merck bewirbt Mavenclad® als „erste und einzige orale Kurzzeittherapie für schubförmig-remittierende und aktive sekundär progrediente MS“. Cladribin bekommen die Patienten maximal zwei Jahre lang, die kumulative Dosis liegt bei 3,5 mg/kg Körpergewicht. Jede Behandlungsphase besteht aus zwei Behandlungswochen, eine zu Beginn des ersten Monats und eine zu Beginn des zweiten Monats des jeweiligen Behandlungsjahres. Jede Behandlungswoche besteht aus vier oder fünf Tagen, an denen ein Patient abhängig vom Körpergewicht 10 mg oder 20 mg Cladribin als tägliche Einmaldosis erhält. „Nach der Verabreichung von zwei Behandlungsphasen dürfen keine weiteren Behandlungsdurchgänge mit Mavenclad® erfolgen. Eine erneute Behandlung mit Mavenclad® im dritten und vierten Jahr könnte das Malignitätsrisiko weiter erhöhen“, erklärt Merck. 

Somit kommt ein MS-Patient auf maximal 20 Behandlungstage mit Cladribin. Siponimod nehmen MS-Patienten hingegen täglich ein, Zieldosis ist – je nach CYP2C19-Genotyp – 1 mg oder 2 mg Siponimod pro Tag.

Pay for (Non-)Performance bei Cladribin in Deutschland

Merck untersuchte Cladribin im Rahmen des klinischen Studienprogrammes an 1.976 Patienten. Die durchschnittliche Zeit der Studienteilnahme einschließlich Nachbeobachtung betrug etwa 4,8 Jahre. 81 Prozent der Cladribin Patienten waren nach zweijähriger Kurzzeittherapie schubfrei, in der Placebogruppe waren es 63 Prozent. Außerdem reduzierte sich bei den mit Cladribin behandelten Patienten das Risiko einer bestätigten Behinderungsprogression über drei Monate gemäß den Kriterien der Expanded Disability Status Scale (EDSS) im Vergleich zu Placebo um 33 Prozent. Häufige Nebenwirkungen waren laut Merck Infektionen der oberen Atemwege, Kopfschmerzen und Lymphopenie. Maligne Erkrankungen zeigten sich unter Cladribin mit einer Häufigkeit von 0,27 Ereignisse pro 100 Patientenjahre im Vergleich zu 0,13 Ereignissen pro 100 Patientenjahre unter Placebo. Ebenso war das Risiko von Herpes-Zoster-Infektionen mit 2 Prozent versus 0,2 Prozent unter Placebo und Mundherpes mit 2,6 Prozent unter Cladribin versus 1,2 Prozent unter Cladribin erhöht.

Was ist der EDSS?

Behinderung bei Patienten mit Multipler Sklerose. Die Skala reicht von null bis zehn (in 0,5-er Schritten) und bewertet Störungen in unterschiedlichen Funktionellen Systemen (FS) des Körpers:

  • Pyramidenbahn, zum Beispiel Lähmungen,
  • Kleinhirn, zum Beispiel Störungen des Bewegungsablaufs, Tremor,
  • Hirnstamm, zum Beispiel Sprach- und/oder Schluckstörungen,
  • Sensorium, zum Beispiel verminderter Berührungssinn,
  • Blasen- und Mastdarmfunktion, zum Beispiel Harn- und/oder Stuhlinkontinenz,
  • Sehfunktion, zum Beispiel eingeschränktes Gesichtsfeld,
  • Zerebrale Funktionen, zum Beispiel Wesensveränderung, Demenz.

Je nach Anzahl der betroffenen Funktionsbereiche und dem Ausmaß der Einschränkung erfolgt die Abstufung von EDSS null (keine Symptome, kein Funktionsbereich betroffen) bis EDSS zehn (Tod durch MS).

Pay for (Non-)Performance bei Mavenclad

In Deutschland ist Mavenclad® bereits seit August 2017 zur Therapie der schubförmigen multiplen Sklerose zugelassen. Im Oktober 2018 schloss Merck der GWQ Service Plus AG eine Pay-for-Performance-Vereinbarung für sein MS-Arzneimittel: Bei unzureichendem Therapieerfolg mit Cladribin übernimmt Merck Mehrkosten, wenn Patienten mit hochaktiver schubförmiger Multipler Sklerose auf eine andere Therapie umgestellt werden müssen. Erhalten also Patienten mit hockaktiver schubförmiger Multipler Sklerose Cladribin und benötigen dennoch innerhalb des vierjährigen Therapiezyklus mit Mavenclad® eine Therapiealternative, so übernimmt Merck die sodann entstehenden „Mehrkosten“. Wenn man es also genau nimmt, zahlt die Krankenkasse die Therapie nicht bei Erfolg von Cladribin (Pay for Performance), sondern Merck zahlt bei Nichterfolg seines MS-Arzneimittels (Pay for Non-Performance).

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Allerdings berechnen sich diese „Mehrkosten“, wie Merck diese potenziellen zusätzlichen Kosten bezeichnet, nicht einfach an dem dann benötigten Arzneimittel und dessen Preis. Vielmehr wurde zwischen Merck und GWQ eine Pauschale vereinbart, die „dann ausgelöst wird, wenn medizinisch begründet und nach Ermessen des Arztes eine Therapiealternative erforderlich ist“, erklärte Dr. Berthold Deiters von GWQ im Oktober 2018 im Gespräch mit DAZ.online. Für diese Pauschale habe man sich an den Therapiekosten der dann möglichen Behandlungsoptionen orientiert. Bei hochaktiver schubförmiger MS kommen neben Cladribin auch Alemtuzumab (Lemtrada®), Fingolimod (Gilenya®), Natalizumab (Tysabri®) und seit Januar 2018 auch Ocrelizumab (Ocrevus®) zum Einsatz.

Der Artikel wurde am 4.4.2019 geändert, Mavenclad hat auch bereits in Deutschland die Zulassung zur Therapie der aktiven sekundär progredienten MS. In einer früheren Version wurde nur auf die remittierend schubförmige MS eingegangen.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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