SPD und Linke

Gesundheitspolitikerinnen fordern Unterstützung für Duogynon-Kinder 

Berlin - 03.04.2019, 10:15 Uhr

Das Schweigen zu Duogynon muss ein Ende haben, finden Martina Stamm-Fibich (SPD) und Sylvia Gabelmann (Linke). ( r / Foto: DAZ / eda)

Das Schweigen zu Duogynon muss ein Ende haben, finden Martina Stamm-Fibich (SPD) und Sylvia Gabelmann (Linke). ( r / Foto: DAZ / eda)


Seit Jahrzehnten ist der Fall Duogynon ungeklärt. Die Betroffenen kämpfen gegen das Vergessen: Mitte März wurde die bereits zweite Petition mit der Forderung nach Aufklärung und Entschädigung an den Petitionsausschuss übergeben. Am gleichen Tag fand im Bundestag ein Fachgespräch statt, allerdings hinter verschlossenen Türen. DAZ.online hat bei den teilnehmenden Abgeordneten Martina Stamm-Fibich (SPD) und Sylvia Gabelmann (Linke) nachgefragt.

Der mutmaßliche Duogynon-Skandal hatte in den letzten Jahren wenig Beachtung erfahren. Die umstrittenen Schering-Präparate, die unter Verdacht stehen, Missbildungen beim Ungeborenen auszulösen, verschwanden in den 80er Jahren vom Markt. Gerichte erklärten den Fall als verjährt. Die Bundesregierung reagierte auf frühere kleine Anfragen der Linken und Grünen ausweichend.

Fachgespräch hinter verschlossenen Türen

Die Betroffenen geben sich damit nicht zufrieden. Am 13. März wurde die inzwischen zweite Petition eingereicht, die eine Aufarbeitung des Falls und eine Entschädigung der „Duogynon-Kinder“ fordert. Auch im Bundestag wächst die Kritik an der Aufarbeitung. Ebenfalls am 13. März fand im Bundestag ein Fachgespräch auf Initiative der Gesundheitspolitiker Martina Stamm-Fibich (SPD) und Stephan Pilsinger (CSU) statt.

Neben Bundestabgeordneten der Grünen, Linken, SPD und Union nahmen auch externe Experten teil wie beispielsweise der britische Pharmakologe Prof. Jeffrey Aronson aus Oxford, der vor Kurzem mit seinem Kollegen Professor Carl Heneghan einen Review über den möglichen Zusammenhang zwischen den Hormonpräparaten und embryonalen Fehlbildungen veröffentlicht hatte.

Das Fachgespräch war allerdings nicht öffentlich. Wie geht es nun für die etwa 600 Betroffenen in Deutschland weiter? DAZ.online hat bei Stamm-Fibich sowie bei Sylvia Gabelmann, der Arzneimittelexpertin der Linken und der einzigen Apothekerin im Bundestag, die ebenfalls teilgenommen hatte, nachgefragt.

Abgeordnete fordern Entschädigung

Ob die Duogynon-Wirkstoffe ursächlich für die Fehlbildungen verantwortlich sind, wird auf wissenschaftlicher Ebene kontrovers diskutiert. Unabhängig davon sprechen sich beide Gesundheitspolitikerinnen dafür aus, den Betroffenen zu helfen. So erklärt Stamm-Fibich gegenüber DAZ.online: „Selbst wenn sich am Ende die medizinische Kausalität nicht mehr nachweisen lässt, wäre es aufgrund der aufgezeigten Zusammenhänge und in Hinblick auf die Rolle des BGA im Sinne des sozialen Ausgleichs angebracht, die Betroffenen zu unterstützen.“  

Der CSU-Politiker Stephan Pilsinger zieht in einer Mitteilung den Vergleich zum Contergan-Skandal: „Hier wurde auch eine Lösung für die Betroffenen gefunden, obwohl es lange keinen naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweis gab. Das Landgericht Aachen war im Fall 'Contergan' schon 1971 von einem ursächlichen Zusammenhang überzeugt.“ 

Gabelmann geht sogar noch einen Schritt weiter. „Die Linke fordert eine Stärkung der Patientenrechte mit einer Beweislastumkehr“, erklärt die Linken-Politikerin gegenüber DAZ.online. Aus ihrer Sicht sind nicht die Geschädigten, sondern der Hersteller in der Nachweispflicht. 

„Man war seinerzeit gelassen untätig“

Beide Politikerinnen monieren die bisher schleppende Aufarbeitung. Erst seit wenigen Jahren sei es auf Antrag möglich, im Landesarchiv Berlin Unterlagen aus dem Schering-Firmenarchiv einzusehen. Aus den Akten gehe hervor, dass der Hersteller und das BGA (Vorgängerinstitut des BfArM) eng zusammengearbeitet hätten. „Obwohl sich die Hinweise auf die Risiken verdichtet hatten, war man seinerzeit gelassen untätig in Hinblick auf die Patientensicherheit und versuchte eine Marktrücknahme zu verhindern oder zu verzögern“, kritisierte Stamm-Fibich.  

So bezeichnete sich beispielsweise Professor Klaus-Wolf von Eickstedt, der seinerzeit beim BGA Referatsleiter für Arzneimittelsicherheit und zuvor direkt für Schering tätig gewesen war, selbst als „Advokat der Firma Schering“.

Auch andere Textpassagen lassen eine Nähe zwischen BGA und Schering vermuten: „Es geht besonders darum, Studien vorweisen zu können, die keine statistisch signifikante Korrelation zwischen der Anwendung von Sexualhormonen in der Frühschwangerschaft und Mißbildungen ergeben haben. Prof. v. E. wird zu weiteren Gesprächen im BMJFG [...] nach Bonn fliegen. Es geht ihm darum, einen Beschluss zum Zurückziehen von Duogynon zu verhindern und unseren Plan zur Umbenennung in CUMORIT zu verteidigen. Frau Minister Huber wird sich in den Entscheidungsprozess einschalten.“

SPD und Linke: Schluss mit Abwiegeln

Es gehe nicht um Schuldzuweisungen, sondern um Lösungen, betonte die Patientenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion. „Hierzulande mangelt es an einer angemessenen Fehlerkultur. Die Hinweise werden abgewiegelt, anstatt sie aufzuarbeiten.“ Und dem Abwiegeln möchte die Patientenbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion nun eine Grenze setzen: „Wir werden fraktionsübergreifend auf die Bundesregierung zugehen, um eine gründliche Aufarbeitung ähnlich wie in Großbritannien zu fordern.“ (Zur Erklärung: In Großbritannien waren die hormonellen Schwangerschaftstests unter dem Markennamen Primodos auf dem Markt. Großbritannien hatte vor Kurzem die europäische Arzneimittelbehörde EMA dazu aufgefordert, eine Metaanaylse über die Duogynon-Wirkstoffe zu erstellen.)

Duogynon-Wirkstoffe auch in heutigen Kontrazeptiva

Gabelmann begrüßt diese Initiative und will sich dieser anschließen. Des Weiteren bringt die Apothekerin noch einen weiteren Punkt an. Zwar sind die Duogynon-Präparate nicht mehr im Handel. Die Wirkstoffe der Dragees, Norethisteron und Ethinylestradiol, sind in geringerer Dosierung und abweichenden Kombinationen aber auch in heutigen oralen Kontrazeptiva enthalten – unter anderem auch von Bayer-Tochter Jenapharm. So kommen ja hin und wieder auch Schwangerschaften unter hormonellen Kontrazeptiva vor, oder eine Schwangerschaft wird zu Beginn der Hormoneinnahme übersehen. „Aus unserer Sicht wäre es sinnvoll, das Nutzen- Risiko-Potenzial der Duogynon-Wirkstoffe auch in aktuellen Kontrazeptiva überprüfen zu lassen.“



Dr. Bettina Jung, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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