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Juristen raten dringend ab, Kammern und Verbände warnen: § 78 AMG darf nicht gestrichen werden: Es ist, auf den Punkt gebracht, der einzig wirkliche Paragraph, der die Gleichpreisigkeit der Rx-Arzneimittel sichert. Wird die ABDA-Stellungnahme zum Spahnschen Plan das deutlich machen? Außerdem in dieser Woche: Warum wir die Entwicklung zum E-Rezept gut beobachten müssen. Und die Parabel von einem Apothekerkurfürsten aus dem Westfälisch-Lippischen.
23. April 2019
Mein liebes Tagebuch, heute geht es um eine Parabel von einem Apothekerkurfürsten. In Unna und um Unna und um Unna herum regierte vor langer Zeit – es war wohl noch im letzten Jahrhundert – ein gar mächtiger Apothekerkurfürst, der angesehene Pillendreher und Salbenrührer F. Riese. Sein Einfluss wirkte weit über die Grenzen von Unna und darüber hinaus, ganz Westfalen-Lippe war ihm untertan. Später zog er sogar in die Hauptstadt ein, war Erzherzog-Apotheker der Apothekerszunft und wenig später ab da König der Apotheker. Da ein König nur König sein kann, wenn er ein Schloss hat – so war F. Riese überzeugt –, überredete er seinen Hofstaat, ein königliches Palais für ihn zu kaufen. Und fortan machten sie es sich viele Jahre im Apotheker-Palais bequem und fühlten sich königlich wohl, auch wenn die Untertanen immer mehr litten und viele ihre kleinen Apotheken schließen mussten. Doch das ist eine andere Geschichte. Die Parabel, die vom großen Apotheker und seinen Nachfahren erzählt, spielt noch zu Zeiten, als F. Riese der Vize-Kurfürst in Westfalen-Lippe war. Er blickte auf sein Land und sah, dass es unweit seiner Apotheke ein kleines Örtchen vor den Toren Unnas gab, in dem die Bewohner auf die Segnungen einer Dorfapotheke verzichten mussten. Der Vize-Kurfürst ließ den Notstand ausrufen – und sich bald darauf feiern, denn er hatte ein Zweig-Apotheklein eingerichtet, wie es sich gehört mit kleiner Offizin, mit Lagerraum und ohne Labor – aber mit einem Nachtdienstzimmer, wie es denn die Vorschrift will. Doch dieses Nachtdienstzimmerchen war gar sehr kalt, zu nächtlichen Zeiten brannte niemals Licht darinnen. Der Vize-Kurfürst hatte wohl sein Zweig-Apotheklein so „klein gemacht“, dass es den Bediensteten des westfälisch-lippischen Fürstentums bis heute verborgen geblieben sein muss – zum Nachtdienst jedenfalls ward es gar nie eingeteilt. Was dem Vize-König und seinem Töchterlein, das das Zweig-Apotheklein später führen durfte, wohl angenehm zu pass kam. Ob das Amt des Vize-Königs gar eine bedeutende Rolle beim Verzwergen des Zweig-Apothekleins gespielt habe und ob die fürstlich westfälisch-lippische Fürstenkammer das Apotheklein bei der Nachtdienst-Einteilung glatt „übersehen“ habe, das wollen nun wackere Basis-Volksapotheker wissen und klopfen an die Tore des Fürstentums. Warum sie das erst heute tun und nicht schon vor einem halben Jahrhundert revoltierten, bleibt ein Geheimnis. Dafür wollen sie jetzt auch wissen, warum das Zweig-Apotheklein so lange noch Zweig-Apotheklein sein durfte, ohne Labor und sogar ohne Nachtdienst, zumal es um den kleinen Ort herum in nur neun Kilometern Entfernung längst schon andere viele richtige Voll-Apotheken gibt, die alle Pflichten erfüllen und sich abrackern müssen. Für unterversorgte Gebiete reicht nämlich meist ein Briefkästchen zum Sammeln der ärztlichen Rezepte, eine Zweig-Apotheke sollte doch immer nur für den größten Notfall in Frage kommen. Mein liebes Tagebuch, ob die Parabel zeigen wird, wie mächtig Macht macht und wie dann am Ende Macht vieles kaputt macht, wird sich noch zeigen. Die fürstlich westfälisch-lippische Apothekerkammer hat versprochen, in die alten Kladden zu schauen und nach Erklärungen zu suchen.
Es kommt, das E-Rezept. Wann? So genau kann man das bei IT-Projekten nie sagen, vielleicht schon 2020 (eher nicht) oder 21 oder…? Sicher ist, Spahn drückt aufs Tempo. Und was wird aus dem guten alten Papierrezept? Es bleibt, zumindest vorerst, es hat noch lange nicht ausgedient. Das geht aus einer Antwort des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) hervor, angefordert von den Grünen. Laut BMG sollen Ärzte auch künftig, wenn gewünscht, auf Papier verordnen können. Wie Papier- und E-Rezept friedlich nebeneinander zirkulieren werden, bleibt ein Geheimnis des ministeriellen Cyberspace. Mein liebes Tagebuch, uns kann’s recht sein, wenn das E-Rezept noch viele Sicherheitsprüfungen und Vorschriften absolvieren muss. So prickelnd schnell können wir es gar nicht wollen. Nicht zuletzt in Anbetracht der Frohlockungen von Versendern, die heute davon ausgehen, der Arzt würde das E-Rezept direkt auf ihre Server schicken dürfen. Never!
24. April 2019
Und überhaupt, die Versender sehen sich schon jetzt als Hauptprofiteure des E-Rezepts. Die mit dem Bundesverband der Versandapotheker „befreundete“ Marketingagentur Dr. Kaske hat schon mal eine Umfrage und Studie lanciert, mit der Pflöcke eingerammt werden sollen: Schaut her, so sehen die Auswirkungen der digitalen Verordnungen auf den Apothekenmarkt aus. Im schlimmsten Fall könnte die Apothekenzahl bis 2020 auf unter 12.000 sinken, u. a. deswegen, weil immer mehr Versicherte ihr E-Rezept direkt an Versender schicken (lassen). Das sieht die Marketingagentur übrigens als „vollen Erfolg“, wenn die Ärzte E-Rezepte „direkt an DocMorris, Shop Apotheke oder Amazon“ senden. Außerdem würden die digitalen „Vor-Ort-Konzepte“ nicht zünden, weil sich die Apotheker in „Grabenkämpfen“ verlieren, meint die Dr. Kaske-Agentur. Mein liebes Tagebuch, da wird mit Wunschvorstellungen Stimmung gemacht. Denn es ist und es soll verboten bleiben, dass Ärzte das E-Rezept direkt an eine Apotheke versenden. Und das soll so bleiben. Punkt.
Gegen Grippe impfende Apotheker – Spahn kann sie sich vorstellen, die Ärzte poltern dagegen, die ABDA hadert damit. Doch konkrete Prognosezahlen des Gesundheitsökonomen Professor May zeigen, dass es ökonomisch und für die Volksgesundheit sinnvoll sein könnte, wenn Apotheker die Grippeschutzimpfung setzen. Nach seinen Berechnungen erspart es der Volkswirtschaft Kosten in Höhe von rund 800 Mio. Euro, es gibt 900.000 weniger grippebedingte Krankheitsfälle und rund 40 Tote weniger. Belege für den Nutzen findet der Gesundheitsökonom in Ländern, in denen Apotheker bereits impfen dürfen, beispielsweise in England, Irland, Kanada, in der Schweiz. May ist überzeugt, die Menschen würden das Angebot der Apotheker annehmen, da es einen niedrigschwelligen Zugang für die Patienten bietet. Mein liebes Tagebuch, und mal jenseits aller Emotionen für und gegen das Impfen: Die Zahlen zeigen die immensen Vorteile. Lustig: mittlerweile haben sich sogar die Zahnärzte zu Wort gemeldet und meinen, wenn schon andere impfen dürften, dann wohl am ehesten sie. Ah ja, da haben sie wohl den fehlenden niedrigschwelligen Zugang zur Impfung vergessen…
Spahn will, so der Entwurf seines Apothekenreformgesetzes, das Rx-Boni-Verbot aus dem Arzneimittelgesetz streichen. Noch steht es im Arzneimittelgesetz: Der § 78 (Abs. 1, Satz 4) überträgt die Rx-Preisbindung auf die Versender und ist somit der EU ein Dorn im Auge ist. Denn das EuGH-Urteil besagt: EU-Versender müssen Rx-Boni anbieten dürfen. Der Paragraph 78 ist daher nicht mit EU-Recht kompatibel. Mit der Streichung dieses Paragraphs wäre das EU-Werk vollendet. Doch davon raten etliche Kammern und Verbänden ab, wie z. B. die Landesapothekerkammer Hessen. In einer Stellungnahme dazu warnt diese Kammer ausdrücklich davor, § 78 Abs. 1 Satz 4 AMG zu streichen, zumal dazu auch noch vor dem Oberlandesgericht (OLG) München ein Verfahren anhängig ist. Dieses Verfahren könnte letztlich dazu führen, dass die vom EuGH vermissten Belege für ein neuerliches Verfahren in Luxemburg nachgereicht werden können, Belege, die deutlich machen, dass der einheitliche Apothekenabgabepreis für ausländische Versandapotheken geeignet und erforderlich ist, die flächendeckende Versorgung der Bevölkerung mit Rx-Arzneimitteln sicherzustellen. Würde aber die Regelung im AMG gestrichen, hätte sich das Verfahren vor dem OLG erledigt. Und damit wäre eine große Chance vertan. Hinzukommt, auch darauf weist die hessische Kammer hin, dass die vom BMG geplante Alternative eines Boni-Verbots im SGB V nicht für Privatversicherte gelte. Also, mein liebes Tagebuch, demnach gibt es keine Alternative: § 78 muss bleiben – worauf wartet die ABDA?
25. April 2019
Neu sind die Bedenken der hessischen Kammer und anderer Apothekerorganisationen zum Vorhaben von Spahn, den § 78 Abs. 1 Satz 4 aus dem AMG zu streichen, allerdings nicht. Der Apothekenrechtsexperte Dr. Elmar Mand warnt schon seit Wochen davor, die im AMG festgeschriebene Preisbindung für EU-Versender zu streichen. Das wäre, so Mand in einem Gastkommentar für die DAZ, tatsächlich das Aus für eine Geltung des deutschen Arzneimittelpreisrechts für EU-Versender. Und er sagt auch, warum das Spahnsche Vorhaben, die Gleichpreisigkeit über das Sozialrecht zu sichern, nicht funktionieren wird. Mand ist überzeugt, dass das BMG mit dem Gesetzentwurf nur einen „halbherzigen Versuch unternommen hat, die Gleichpreisigkeit wenigstens im GKV-Segment aufrecht zu erhalten“. Mein liebes Tagebuch, deutlicher kann man es kaum sagen. Da fragt man sich nur, warum sich die ABDA nicht schon längst eindeutig gegen eine Streichung stemmt. Immerhin, sie zeigt Störgefühle und hat für den 2. Mai eine außerordentliche Mitgliederversammlung einberufen, um die zukünftige Stoßrichtung in dieser Sache abzustimmen.
Ein Arzneimittelabgabeautomat wie der von DocMorris in Hüffenhardt ist kein Versand und schon gar nicht eine Apotheke. Das sieht auch das Verwaltungsgericht Karlsruhe so und hat eine Klage des Versenders abgewiesen, der über seinen Automaten Arzneimittel vertreiben wollte. Wie aus der jetzt vorliegenden Urteilsbegründung hervorgeht, bringt DocMorris mit dem Automaten die Arzneimittel weder in einer Apotheke noch auf dem Versandweg in den Verkehr. Mein liebes Tagebuch, da hat sich der Versender mit seinem Automaten kräftig verkalkuliert.
26. April 2019
Jetzt wird’s mehr als ernst. Die ABDA muss bis zum 7. Mai ihre Stellungnahme zum geplanten Apotheken-Stärkungsgesetz abgeben. Was da drin stehen soll, will sie mit ihren Mitgliedsorganisationen am 2. Mai abstimmen. Ein Blick in die Beschlussvorlage zeigt, was die ABDA zur Abstimmung vorschlägt. Zum Beispiel zur Honorierung. Nach einem Auf und Ab der Gesamtsumme in den Ministeriumspapieren (zuerst 240, dann 100, zuletzt 150 Mio. Euro) schlägt die ABDA vor, 320 Mio. Euro für die Dienstleistungen zu fordern. Das Geld soll über einen Fonds (ähnlich dem Notdienstfonds) zusammenkommen und dann an die Apotheken verteilt werden, die Dienstleistungen erbringen. Welche Dienstleistungen das im Einzelnen sind und wie viel sie letztlich einbringen – so ganz genau und im Detail scheint das noch nicht klar zu sein.
Was auch in der Beschlussvorlage steht: Ihren dicken Widerstand gegen Grippeschutzimpfungen durch Apotheker will die ABDA nun aufgeben. Die Marschrichtung soll heißen: „grundsätzliche Zustimmung“ zu den Impf-Modellvorhaben.
Einer der heißesten Punkte in der Beschlussvorlage dürfte die von Spahn geforderte Streichung von § 78 Absatz 1 Satz 4 AMG sein, der das deutsche Preisrecht auf ausländische Versender überträgt. Nachdem sich einige Kammern und Verbände massiv gegen eine Streichung ausgesprochen haben, wird die ABDA ihren Mitgliedern vorschlagen, sich in der Stellungnahme darauf zu verständigen, dass auf die Streichung dieses Paragraphen verzichtet werden soll und dass die Preisbindung auch für Arzneimittel gelten soll, die von ausländischen Versendern an Selbstzahler geliefert werden. Mein liebes Tagebuch, klingt irgendwie weich und sanft. Sollte das so sanft in der Stellungnahme überkommen, ist fraglich, ob Spahn und sein Ministerium die Ernsthaftigkeit dieser Forderung erkennen. Denn hier geht es um alles oder nichts, darum ob wir jemals die Chance haben, eine hieb- und stichfeste Gleichpreisigkeit zu bekommen oder nicht. Hinzu kommt, dass in dem ABDA-Vorschlag sichtlich das Rx-Versandverbot nicht erwähnt wird – mehrere Mitgliedsorganisationen werden das vermutlich so nicht akzeptieren.
Anlass zu Diskussionen in der Mitgliederversammlung könnte auch sein, dass die ABDA laut Beschlussvorlage der Abschaffung der Länderliste für den Versandhandel zustimmen möchte. Damit wäre der Versand aus vielen Ländern nach Deutschland geöffnet. Allerdings schlägt die ABDA stattdessen vor, deutsche Rechtsvorschriften festzulegen, die auch für ausländische Versandapotheken gelten sollen. Wie das gehen soll, ist fraglich. Mein liebes Tagebuch, klar ist heute schon: Die ABDA-Sitzung am 2. Mai wird heiß.
Ja, wir hätten da noch einen genauso heißen Tipp, mein liebes Tagebuch, für die ABDA und ihre Mitgliedsorganisationen: Bevor sie in die Sitzung gehen, sollten sie sich das Gutachten der Apothekenrechtsexperten Mand und Meyer dringend zu Gemüte führen. Die Apothekerkammern und -verbände in Nordrhein-Westfalen hatten es bereits der ABDA vorgelegt. Die beiden Juristen haben darin dargestellt, warum es fatal wäre, wenn die Preisbindung für EU-Versender aus dem Arzneimittelgesetz gestrichen würde (§ 78 Abs. 1, Satz 4 AMG). Alle noch laufenden Gerichtsverfahren gegen EU-ausländische Arzneimittelversender wären „tot“, wenn diese Preisbindung gekippt würde – und die Verankerung im Sozialrecht könne hier keinesfalls weiterhelfen. Der Spahnsche Gesetzentwurf wird außerdem den Intentionen mit Blick auf die Gleichpreisigkeit überhaupt nicht gerecht. Und er perpetuiert die durch das Urteil des EuGH entstandene Ungleichbehandlung von inländischen Apotheken und ausländischen Versandapotheken und verschärft sie sogar zu Lasten der deutschen Apotheken. Mein liebes Tagebuch, wenn da die Alarmglocken nicht schrillen! Übrigens, Mand und Meyer warnen nicht nur, sie stellen auch Alternativen zu Spahns missglücktem Ansatz vor und zeigen, welche alternativen Regelungsmöglichkeiten es gibt, um den einheitlichen Apothekenabgabepreis auch beim Bezug von Arzneimitteln aus dem Ausland sicherzustellen. Auf die Reaktionen von ABDA und deren Mitgliedsorganisationen sind wir gespannt.
7 Kommentare
UNgereimtheiten
von Dr.Diefenbach am 28.04.2019 um 23:07 Uhr
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Existenzgefährdung
von Reinhard Rodiger am 28.04.2019 um 13:56 Uhr
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ABDA gegen die eigenen Leute
von Karl Friedrich Müller am 28.04.2019 um 13:31 Uhr
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Gesamtsituation
von Conny am 28.04.2019 um 9:17 Uhr
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Pharmazeutische Dienstleistungen
von Anita Peter am 28.04.2019 um 9:04 Uhr
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Zweige aus Unna
von Ulrich Ströh am 28.04.2019 um 8:47 Uhr
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„Demokratie beinhaltet die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer Leute nicht zu beugen.“
von Christian Timme am 28.04.2019 um 8:30 Uhr
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