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Blütenvielfalt bei Cannabis
Medizinalhanf: Welche Rolle spielt das Terpenprofil?
Cannabispflanzen enthalten mehr als 400 verschiedene Inhaltsstoffe, darunter Cannabinoide und Terpene. Dass die beiden Cannabinoide Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol (CBD) für die Wirksamkeit relevant sind, ist in der Fachwelt angekommen. Doch genügt es, die Charakterisierung von Blütensorten auf diese beiden Substanzen zu begrenzen? DAZ.online hat Fach- und Branchenexperten befragt.
Pharmaziestudenten haben früher noch zum Thema Phytotherapie gelernt: „Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile.“ Oder anders ausgedrückt: Die Wirkung von Arzneipflanzen oder ihrer Extrakte erklärt sich durch das Zusammenspiel der Inhaltsstoffe, die sich gegenseitig in ihrer Wirkung beeinflussen können. Lässt sich dieser Grundsatz der Phytotherapie auch auf medizinisches Cannabis übertragen?
Stoffprofil als Fingerabdruck der Cannabispflanze
Inzwischen hat sich in der Fachwelt herumgesprochen, dass es beim Medizinalhanf nicht nur auf den THC-, sondern auch auf den CBD-Gehalt ankommt. THC und CBD gehören zur Substanzklasse der Cannabinoide, von denen bereits mehr als 100 verschiedene Vertreter identifiziert wurden. Doch in der alten Heilpflanze steckt noch mehr, wie beispielsweise die Gruppe der Terpene, die unter anderem für den charakteristischen Geruch der Cannabissorten verantwortlich sind.
Ob und wie die Terpene die Wirkung der Cannabinoide im Sinne eines „Entourage-Effektes“ beeinflussen beziehungsweise, ob diese sogar direkte pharmakologische Wirkungen entfalten, dazu gibt es noch viel zu erforschen. Fest steht, dass sich Blütensorten mit ähnlichem THC- und CBD-Gehalt in ihrem Terpenprofil unterscheiden können.
Abweichende Terpenprofile bei „Pedanios 22/1“
Umgekehrt könnte man meinen, dass das Stoffprofil eines bestimmten Cannabisproduktes über verschiedene Chargen hinweg konsistent bleibt. Recherchen des Cannabis-Journalisten Michael Knodt zufolge scheint dies zumindest bei „Pedanios 22/1“ nicht selbstverständlich zu sein. Knodt bezog sich in seinem Bericht auf Analysen des spanischen Labors der Fundacion Canna, das Muster des Aurora-Produktes vom Juli 2018 und vom Februar 2019 analysiert hatte.
Bei den Terpenprofilen, die durch Gaschromatographie ermittelt wurden, gab es signifikante Abweichungen: So war etwa der Gehalt an Linalool, beta-Myrcen, d-Limonen und beta-Pinen bei dem Februar-Muster zwischen 1,7- bis zweimal so hoch wie bei der Probe aus dem vergangenen Jahr. Ob es sich dabei um einen Ausreißer handelt, die Muster unterschiedlich gelagert wurden oder ob unter der Marke „Pedanios 22/1“ verschiedene botanische Sorten mit gleichem THC- und CBD-Gehalt verkauft werden, ist unklar.
Tilray konzentriert sich auf THC und CBD
Etwas klarer liegt der Fall bei den Produkten von Tilray. So ist nun bekannt, dass hinter der kürzlich eingeführten Sorte „Tilray THC 25“ verschiedene Sorten stecken – etwa wurde bei Charge 5412 ein Sativa/Indica-Hybrid namens „Pink Kush“ verwendet, Nr. 5496 entspricht der Indica-Sorte „Rockstar“ und hinter 5801 steckt der Sativatyp „Headband“.
Tilray geht mit der Sortenvarietät inzwischen offen um. So erklärt Dr. Catherine Jacobson, Vice President, Regulatory & Medical Affairs bei Tilray, gegenüber DAZ.online: „Tatsächlich sind die am besten untersuchten aktiven Wirkstoffe der Cannabis-Pflanzen THC und CBD. Hier ist der therapeutische Nutzen eindeutig wissenschaftlich belegt. Das ist auch ein Grund dafür, warum wir uns bei Tilray bei der Sortenwahl auf diese beiden Wirkstoffe konzentrieren. Natürlich wissen wir, dass die weiteren Cannabinoide und die Terpene eine Rolle spielen können, zum Beispiel dabei, wie Patienten die Wirkung von medizinischem Cannabis erleben – allerdings durchblickt die Wissenschaft noch nicht genau, welche Bedeutung sie dabei tatsächlich haben.“
Jacobson räumte ein, dass die unterschiedliche Wahrnehmung der Cannabiswirkung auf der vollständigen chemischen Zusammensetzung, inklusive der Terpene und kleineren Cannabinoide, basieren könne. Andererseits gebe es auch Hinweise, dass sich die Wirkung desselben Produkts patientenindividuell unterschiedlich entfalten könne. „Generell müssen wir noch sehr viel in die Forschung investieren, um die vielen weiteren Bestandteile der Cannabispflanze vollkommen zu verstehen“, so Jacobson.
Dingermann: Erstmal THC und CBD sauber erforschen
Auch für das deutsche BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) genügt es offenbar, wenn der THC- und CBD-Gehalt stimmt. So wurden im Vergabeverfahren für den Cannabisanbau nicht spezifische botanische Sorten, sondern drei Blütengruppen ausgeschrieben, die sich nur im Gehalt dieser beiden Cannabinoide unterscheiden.
Der Pharmazeutische Biologe, Professor Theodor Dingermann, der das BfArM unter anderem in Sachen medizinisches Cannabis beraten hat, begrüßt die Strategie der Bundesoberbehörde bei der Ausschreibung. „Beim Cannabis liegt noch vieles im Argen. Statt sauber die Effekte von THC und CBD und deren Mischungen zu erforschen, wird jetzt auf Terpenmuster abgelenkt. Die Komplexität bei Cannabis ist riesig. Sie noch weiter zu erhöhen, macht aus meiner Sicht keinen Sinn und trägt nicht dazu bei, Vertrauen in die Therapie mit Cannabis zu wecken“, betonte der Pharmazeut gegenüber DAZ.online.
Grotenhermen: Erfahrene Patienten merken den Unterschied
Also handelt es sich bei Terpenprofilen und „Entourage-Effekt“ nur um reine Marketing-Phänomene? Der internationale Cannabisexperte, Dr. Franjo Grotenhermen, kann dies aus seiner umfassenden Behandlungserfahrung nicht bestätigen. „Im Laufe der Jahre haben viele Ärzte festgestellt, dass Cannabispatienten sehr wohl Wirkunterschiede zwischen den Blütensorten bemerken, selbst wenn der THC- und CBD-Gehalt ähnlich ist. Deshalb spielt bei der Blütenauswahl für erfahrene Ärzte und Patienten das gesamte Inhaltsstoffspektrum eine Rolle", sagte der Mediziner, der auch Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft für Cannabismedizin (ACM) und Fachautor mehrerer Bücher über Medizinalhanf ist, zu DAZ.online.
Umgekehrt gefragt – wie groß sollte die Sortenvielfalt eigentlich sein? Vor Inkrafttreten des sogenannten Cannabisgesetzes standen laut Grotenhermen gerade mal fünf Blütensorten für die Therapie per Ausnahmegenehmigung zur Verfügung. „Die zunehmende Diversität ist zwar grundsätzlich zu begrüßen – ergibt allerdings nur dann Sinn, wenn hinter den jeweiligen Blütennamen auch ein reproduzierbares Stoffprofil steht, was bei den niederländischen Sorten eher gegeben ist als bei einigen kanadischen“, differenziert der erfahrene Arzt. „Diesen Anspruch sollte aber jeder Cannabisproduzent haben. Denn als Arzt muss ich mich darauf verlassen können, dass ich meinen Patienten Blüten verordnen kann, deren Wirkprofil sich nicht von Charge zu Charge unterscheidet."
Manche Terpene haben eigene Wirkungen
Der Facharzt aus Rüthen hat sich wissenschaftlich intensiv mit der Wirkung der einzelnen Inhaltsstoffe der Cannabispflanze befasst. In einem seiner Übersichtsartikel weist er auf direkte pharmakologische Effekte einzelner Terpenkomponenten hin. So weist Myrcen im Tierversuch analgetische und muskelrelaxierende Effekte auf und Linalool neben antiepileptischen auch analgetische Wirkungen. Pinen soll unter anderem antientzündlich und bronchodilatorisch wirken und bei d-Limonen gibt es Hinweise auf antidepressive Effekte beim Menschen. Eben diese Komponenten, bei denen es bei den Analysen der „Penadios 22/1“-Proben Abweichungen gegeben hatte.
BfArM-Begleiterhebung: Schmerz ist die häufigste Indikation
Auch wenn der Beitrag dieser Substanzen zur Cannabiswirkung nicht bekannt ist, ist er komplett auszuschließen? Gerade wenn man bedenkt, für welche Indikationen Medizinalhanf eingesetzt wird.
Vor einigen Tagen gab das BMG (Bundesgesundheitsministerium) in einer Antwort auf eine kleine Anfrage der Linksfraktion eine Zwischenauswertung der sogenannten BfArM-Begleiterhebung bekannt, in die inzwischen 4.774 Datensätze von GKV-Patienten eingeflossen sind. Dieser Auswertung zufolge wurde Cannabis in 69 Prozent der Fälle bei Schmerzpatienten eingesetzt, die zweitstärkste Indikation bildeten Spastiken mit 11 Prozent. Anwendungsgebiete, bei denen die oben beschriebenen mutmaßlichen Effekte der Terpenkomponenten durchaus eine Rolle spielen könnten.
Vom Patienten lernen
Die Cannabismedizin ist tatsächlich sehr komplex. Eine Herausforderung für die Fachwelt bildet zudem der regulatorische Sonderfall bei den Cannabisblüten: Nachdem sich einige Ärzte an Monosubstanzen wie Dronabinol gewöhnt hatten, kamen vor zwei Jahren die Blüten und Vollspektrumextrakte per Gesetz dazu. Historisch verlief es in der Phytotherapie eher umgekehrt – so folgte auf den Digitalisextrakt behördlich zugelassene Digoxin- und Digitoxin-Präparate.
Dennoch gibt es zu bedenken, dass sich viele Patienten vor dem 10. März 2017 mit Cannabisblüten aus anderen Kanälen selbst beholfen und dadurch eigene Erfahrungen mit unterschiedlichen Blütensorten gesammelt haben. Es gibt noch viel zu erforschen. Patientenerfahrungen können dabei eine wertvolle Inspirationsquelle sein, wenn die Fachwelt sie ernst nimmt.
8 Kommentare
Unterschied
von Claus am 17.06.2019 um 19:29 Uhr
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Prof. Dingermann
von Krankgemacht am 13.06.2019 um 12:46 Uhr
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Hervorragender Artkel
von Pharmixx am 04.06.2019 um 12:15 Uhr
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Verbrecher
von SourDiesel am 29.05.2019 um 19:48 Uhr
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Danke
von Micha Greif am 27.05.2019 um 22:46 Uhr
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Danke
von Konopja am 24.05.2019 um 14:32 Uhr
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Danke
von dc am 23.05.2019 um 21:28 Uhr
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AW: Danke
von Patient am 24.05.2019 um 7:01 Uhr
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