EuGH-Urteil zu Architektenhonoraren

Gefahr für andere Freiberufler?

Berlin - 05.07.2019, 07:00 Uhr

Europa – sind die Honorarordnungen der Freien Berufe alle nicht mehr sicher? (Foto: Lulla / Stock.adobe.com)

Europa – sind die Honorarordnungen der Freien Berufe alle nicht mehr sicher? (Foto: Lulla / Stock.adobe.com)


Die EU-Kommission hat die Freien Berufe und ihre besonderen Regularien seit geraumer Zeit im Visier. Nun hat sie sich in einem Vertragsverletzungsverfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland erneut durchgesetzt: Der Europäische Gerichtshof befand, dass die verbindlichen Mindest- und Höchstpreise der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure europarechtswidrig sind. Was bedeutet dieses Urteil für andere Freie Berufe? Die Bundesärztekammer ist überzeugt: Auf die Gebührenordnung der Ärzte hat es keine.

Nicht nur die ABDA hat in den vergangenen Monaten und Jahren immer wieder beklagt, dass die Europäische Union – insbesondere die Kommission – zu viel Einfluss nimmt auf die Freien Berufe. Zuletzt stand vor allem das Dienstleistungspaket im Zentrum der Kritik aller Gesundheitsberufe. Die Apotheker kämpfen überdies seit bald drei Jahren mit den Auswirkungen des EuGH-Urteils, das die Rx-Preisbindung im grenzüberschreitenden Arzneimittelversandhandel für europarechtswidrig erklärt hat. Nun hat der EuGH in einem Verfahren entschieden, das dem zur deutschen Arzneimittelpreisbindung sehr ähnelte. Im Mittelpunkt stand diesmal die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI). Die Kommission sieht die hierin geregelte Vereinbarung von Mindest- und Höchsthonoraren als unverhältnismäßiges und nicht gerechtfertigtes Hindernis im Bereich der freiberuflichen Dienstleistungen. Sie ging daher mit einer Vertragsverletzungsklage gegen Deutschland vor.

Der Generalanwalt hatte bereits im Februar in seinen Schlussanträgen dem Gerichtshof nahegelegt, der Klage der Kommission stattzugeben. Dabei handelte es sich um denselben Generalanwalt, der auch im Verfahren Wettbewerbszentrale ./. Deutsche Parkinson Vereinigung plädiert hatte – und seine Schlussanträge zur HOAI erinnerten sehr an die zur Arzneimittelpreisbindung aus dem Jahr 2016. Das Verfahren verlief dennoch etwas anders: Die Bundesrepublik – die hier allerdings auch direkte Verfahrensgegnerin war – hatte weitaus umfassender vorgetragen als im Verfahren zu den Arzneimittelpreisen.

Sie hatte dargelegt, dass eine verbindliche Honorarordnung für Architekten- und Ingenieurleistungen zwingend erforderlich ist, um höherrangige Güter wie Leben oder Gesundheit zu schützen – sie sei ein wichtiger Bestandteil einer ganzen Reihe qualitätssichernder Regelungen. Ihre Mindest- und oder Höchstpreise erfüllten auch die Anforderungen, die die EU-Dienstleistungsrichtlinie vorgibt: Sie seien diskriminierungsfrei und zur Verwirklichung eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses erforderlich. Mit den Mindestpreisen wolle man die Ziele der Qualität der Planungsleistungen, des Verbraucherschutzes, der Bausicherheit, des Erhalts der Baukultur und des ökologischen Bauens erreichen. Die Höchstpreise sollten den Verbraucherschutz sicherstellen, indem sie die Transparenz der Honorare im Hinblick auf die entsprechenden Leistungen gewährleisteten und überhöhte Honorare unterbänden.

Dienstleistungsrichtlinie nimmt Gesundheitsdienstleistungen aus

Der EuGH geht in seinem Urteil weitgehend auf diesen Vortrag ein. Er betont eingangs sogar, dass es zwar Sache des Mitgliedstaats ist, darzutun, dass seine Regelung zur Erreichung des angestrebten legitimen Ziels geeignet und erforderlich ist, wenn er sich auf einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses beruft, um eine Anforderung zu rechtfertigen, die die Dienstleistungsrichtlinie vorgibt. Diese Beweislast gehe aber nicht so weit, dass dieser Mitgliedstaat positiv belegen müsste, dass sich dieses Ziel mit keiner anderen vorstellbaren Maßnahme unter den gleichen Bedingungen erreichen ließe. Ein solches Erfordernis liefe nämlich in der Praxis darauf hinaus, dem betroffenen Mitgliedstaat in dem betreffenden Bereich seine Regelungsbefugnis zu entziehen.

Im Weiteren folgt der EuGH der Argumentation der Bundesrepublik auch grundsätzlich. Diskriminierungsfrei seien die Regelungen. Und er kann auch nachvollziehen, dass Mindest- und Höchstpreise ihre Berechtigung haben und einen Schutzzweck erfüllen. Aber letztlich seien die Regelungen widersprüchlich: Es sei nicht kohärent, dass Planungsleistungen in Deutschland auch von Personen erbracht werden dürfen, die keine entsprechende fachliche Eignung wie Architekten oder Ingenieure nachgewiesen haben. Wer mit der Qualität gesetzlich vorgeschriebene Mindest-und Höchstpreise rechtfertigen wolle, müsse die Qualität dann auch bei der fachlichen Eignung konsequent berücksichtigen.

BÄK: Gesundheitsversorgung ist Sache der Ärzte

Das Urteil rief auch eine Reaktion der Bundesärztekammer (BÄK) auf den Plan. Ihr Präsident Dr. Klaus Reinhardt erklärte, dass die Entscheidung des EuGH nach Auffassung der BÄK keine Auswirkungen auf die Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) habe. Der EuGH habe die HOAI nicht grundsätzlich für unzulässig befunden, sondern halte es lediglich für unverhältnismäßig, dass die Planungsleistungen nicht ausschließlich von Architekten und Ingenieuren erbracht werden dürfen. Die ärztliche Gesundheitsversorgung in Deutschland sei dagegen den Ärztinnen und Ärzten vorbehalten. Reinhardt zeigte sich weiter überzeugt: „Eine staatliche Gebührenordnung wie die GOÄ erfüllt eine doppelte Schutzfunktion: Durch Festschreibung von Höchstsätzen schützt sie die Patienten vor wirtschaftlicher Überforderung, durch Festlegung von Mindestsätzen schützt sie vor unangemessenen Dumpingpreisen und damit vor eventuell nicht qualitätsgesicherten Leistungen“.

Zu beachten ist weiterhin: So sehr das Urteil zeigt, dass die Freien Berufe keinen leichten Stand in der EU haben – jedenfalls was die EU-Dienstleistungsrichtlinie betrifft, gibt es einen Ausnahmetatbestand für den Gesundheitsbereich. Sie und ihre Anforderungen finden ausdrücklich keine Anwendung auf „Gesundheitsdienstleistungen, unabhängig davon, ob sie durch Einrichtungen der Gesundheitsversorgung erbracht werden, und unabhängig davon, wie sie auf nationaler Ebene organisiert und finanziert sind, und ob es sich um öffentliche oder private Dienstleistungen handelt“ (Art. 2 Abs. 2 f der Richtlinie 2006/123/EG).



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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