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Hohe Kopfschmerzrate bei Schülern
Erlernen Kinder eine laxe Haltung gegenüber Schmerzmitteln?
Sollte unsere Gesellschaft ihren Umgang mit Kopfschmerzen überdenken? Geht es nach einer Pressemitteilung der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) lautet die Antwort wohl: ja – zumindest den Kindern zuliebe. Denn die scheinen überraschend häufig an Kopfschmerzen zu leiden. Hintergrund ist eine Studie zur Häufigkeit von Kopfschmerzen und zum Umgang damit unter deutschen Schulkindern.
Zwischen März 2015 und März 2016 haben insgesamt 2.706 Schülerinnen und Schüler, die in Dresden eine Grund- oder weiterführende Schule besuchten, einen Fragebogen zu Kopfschmerzen beantwortet und zur Auswertung abgegeben: Nur 32 Prozent dieser Kinder und Jugendlichen gaben an, gar nicht unter Kopfschmerzen zu leiden. Fast 37 Prozent hatten einmal pro Monat Kopfschmerzen und fast 32 Prozent sogar mehr als zweimal im Monat.
Die letzteren 32 Prozent wurden weiter untergliedert: 55 Prozent hatten an zwei bis fünf Tagen pro Monat Kopfschmerzen, 27 Prozent an fünf bis zehn Tagen und 7 Prozent sogar an mehr als 15 Tagen.
Allein diese Zahlen lassen aufhorchen. Sie sind das Ergebnis einer im März in der Zeitschrift Cephalalgia publizierten Erhebung (Zeitschrift der internationalen Kopfschmerzgesellschaft).
Analgetika und Homöopathie: Behandlung in Eigenregie
Besonders interessant für die Beratung in der Apotheke ist dabei: Insgesamt 624 der Schulkinder (23 Prozent) sollen Schmerzmedikamente oder homöopathische Mittel gegen die Schmerzen einnehmen – bei akuten Kopfschmerzattacken vor allem Ibuprofen (49 Prozent) und Paracetamol (32 Prozent). Während in der Gruppe, die nur einmal im Monat unter Kopfschmerzen litt, knapp 20 Prozent Schmerzmittel einnahmen, waren es in der Gruppe, die zweimal pro Monat an Kopfschmerzen litt, knapp die Hälfte. Und die Einnahme erfolgte offenbar größtenteils in Eigenregie. Denn nahezu alle Kinder, die nur einmal im Monat Kopfschmerzen hatten und etwa 80 Prozent, der Kinder, die zweimal im Monat daran litten, hatten keinen Arzt aufgesucht.
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Warum diese Ergebnisse kritisch zu betrachten sind, erklärt unter anderen Prof. Dr. Hans-Christoph Diener, Pressesprecher der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN): Die Werbung der Schmerzmittelhersteller suggeriere, dass jeder seine Kopfschmerzen selbst therapieren könne und man keine Diagnose vom Arzt benötige. Das sei aber sicher falsch, als Beispiel führt er an, dass eine Migräne anders behandelt wird als ein Clusterkopfschmerz. Angesichts der Tatsache, dass die Studie Kinder untersuchte, warnt er außerdem:
Im Kindesalter wird oft schon der Grundstein für eine laxe Haltung gegenüber Schmerzmitteln gelegt, die dann in späteren Lebensphasen zum Schmerzmittelübergebrauch führen kann.“
Fehlt unserer Gesellschaft das Bewusstsein für Kopfschmerzen als Krankheit?
Priv.-Doz. Dr. Gudrun Goßrau, Studienautorin und Leiterin der Kopfschmerzambulanz am Interdisziplinären Universitätsschmerzcentrum in Dresden, geht in ihrer Kritik noch einen Schritt weiter: Die mangelnde Bereitschaft, sich ärztlich behandeln zu lassen, sei auch Ausdruck eines fehlenden Bewusstseins für Kopfschmerzen als ernstzunehmende Krankheit in unserer Gesellschaft, heißt es in der Pressemitteilung der DGN. Doch Kopfschmerzen seien bereits in Kindheit und Jugend ein relevantes Gesundheitsproblem.
Oft führten Kopfschmerzen in einen Teufelskreis: „Schulfehltage können zu Leistungsabfall, Schulversagen, Schulangst führen, viele betroffene Kinder isolieren sich sozial, auch die Gefahr einer Depression ist erhöht“, so Goßrau.
Der Gesellschaftskritik schließt sich auch Prof. Dr. Ulrike Schara, Präsidentin der Gesellschaft für Neuropädiatrie, an: Der Anstieg der Kopfschmerzrate bei Kindern weise in den letzten Jahren darauf hin, dass eher keine genetischen Faktoren verantwortlich sind. Vielmehr müsse eine gesamtgesellschaftliche Präventionsstrategie an Punkten wie Alkohol, Koffein, Rauchen und Bewegungsarmut sowie Schulstress und emotionalen Stress ansetzen.
So war in der Studie auch auffällig, dass in Grundschulen fast 64 Prozent der Schüler regelmäßig Kopfschmerzen hatten. In den Gymnasien waren es fast 68 Prozent und in den weiterführenden Regelschulen nahezu 80 Prozent. Mädchen waren insgesamt häufiger betroffen als Jungen.
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