Pharmaziestudierenden-Kolumne

Mehr Zeit für den Blick über den Tellerrand!

Hamburg/Freiburg - 24.07.2019, 17:45 Uhr

Erasmus, Auslandssemester oder andere Aktivitäten? Im Pharmaziestudium ist nach Ansicht von Nico Koslowski und Matthias Herrmann zu wenig Zeit, um über den Tellerrand zu blicken. (Foto: imago images / Christian Spicker)

Erasmus, Auslandssemester oder andere Aktivitäten? Im Pharmaziestudium ist nach Ansicht von Nico Koslowski und Matthias Herrmann zu wenig Zeit, um über den Tellerrand zu blicken. (Foto: imago images / Christian Spicker)


In manchen Fällen hadern Apotheker mit den Konsequenzen europäischer Entscheidungen. Ein Beispiel: das EuGH-Urteil vom 19. Oktober 2016. In anderen Bereichen gehen Entwicklungen auf europäischer Ebene, auch positive, allerdings an den deutschen Pharmazeuten völlig vorbei. So sind in anderen Ländern Auslandssemester eher die Regel, deutsche Pharmaziestudierende werden förmlich dafür bestraft: Sie verlieren ein Semester. Überhaupt wäre mehr Raum wünschenswert, um während des Studiums über den Tellerrand zu blicken, finden Nico Koslowski und Matthias Herrmann vom Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland. 

Die European Pharmaceutical Students’ Association (EPSA) ist das europäische Pendant zum Bundesverband der Pharmaziestudierenden in Deutschland e. V. (BPhD). Die Organisation vertritt aktuell über 100.000 Studierende aus insgesamt 35 Mitgliedsländern. Sie setzt sich unter anderem für extracurriculare Bildungsangebote ein, veröffentlicht regelmäßig fundierte Positionspapiere zur Bildungs-, sowie Gesundheitspolitik und unterhält ein ständiges Büro in Brüssel, um direkt vor Ort die Interessen der Studierenden zu vertreten. Kurzum: Sie gestalten die politischen Geschehnisse aktiv mit. Dieses Wochenende fand das erste Treffen des neuen Vorstandes in Ljubljana, Slowenien statt: Mit Nicolas Koslowski, aktuell PhiP in der Centro Apotheke in Hamburg, gehört seit längerer Zeit auch wieder ein deutscher Vertreter zum Team.


Nicolas Koslowski, EPSA

Zweimal im Jahr schicken die Mitgliederorganisationen – so auch der BPhD – offizielle Delegierte zu den internationalen Kongressen, um in der General Assembly über aktuelle Themen zu diskutieren. Die Erfahrungen, die wir auf diesen Veranstaltungen durch den Austausch mit anderen Pharmaziestudierenden aus ganz Europa gewinnen konnten, zeigen, dass den deutschen Studierenden mehr Freiräume neben dem Unialltag guttäten.

Matthias Herrmann, EPSA Liaison Secretary

Gerade in den letzten Jahren sind die Konsequenzen europäischer Entscheidungen für deutsche Apotheker unverkennbar. Das beste Beispiel hierfür ist das Urteil des EuGH vom 19. Oktober 2016, das Deutschland in eine schwierige Lage versetzte und durch die Thematik des Rx-Versandhandelsverbots aktuell wieder für Diskussionsbedarf sorgt.

Projekte wie Erasmus gehen am deutschen pharmazeutischen Nachwuchs fast gänzlich vorbei

Doch die Situation zeigt sich ganz anders, wenn man die nächste Generation Apotheker betrachtet: Europaweit konnten durch Initiativen wie das Lifelong Learning Programme großartige Entwicklungen in der internationalen Mobilität der Studierenden verzeichnet werden. Doch leider sind Projekte wie Erasmus am deutschen pharmazeutischen Nachwuchs fast gänzlich vorbeigegangen. Während in anderen Ländern Pharmaziestudierende ganz selbstverständlich an Erasmus teilnehmen, werden die deutschen Studierenden für die Teilnahme förmlich bestraft. Durch die komplizierten Regelungen zur Anrechnung ist es – im Gegensatz zu den meisten Bachelor-Studiengängen – fast nie möglich, für ein Semester eine ausländische Hochschule zu besuchen, ohne dabei aus der Regelstudienzeit zu fallen. Zusätzlich gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Studienstandorten.

Die Gewissheit, ein Semester wiederholen zu müssen, schreckt viele zu Recht ab. In der Grundlagenanalyse „Pharmaziestudium & Berufliche Perspektiven 2018“, die in Zusammenarbeit des BPhD mit dem Wort & Bild Verlag entstand, gaben 55 Prozent der Befragten an, dass sie gerne Studienerfahrungen im Ausland sammeln wollen. Allerdings käme das für drei Viertel dieser Gruppe nur in Frage, wenn das Semester in Deutschland komplett angerechnet wird. Hier sehen wir einiges an Aufholbedarf. Klare und einheitliche Regelungen wären wünschenswert!

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Dabei können solche Erfahrungen in unserer immer weiter globalisierten Welt von unschätzbarem Wert sein. Viele Studierende, die sich dennoch für ein Auslandssemester entschieden haben, berichten, dass es sie in der Entwicklung ihrer Persönlichkeit und Social-Skills deutlich weitergebracht hat. Wir denken, dass dies mehr Studierenden möglich gemacht werden sollte. Daher setzt sich sowohl EPSA als auch der BPhD durch die Vermittlung von Praktika im Ausland für mehr internationalen Austausch ein.

Die Ausbildung der zukünftigen Apotheker sollte sich nicht nur im Institut abspielen

Gleichzeitig fordern wir seit mehreren Jahren eine Novellierung der Approbationsordnung und im Zuge dessen eine Verlängerung der Regelstudienzeit um mindestens ein Semester. Während der Arbeit zum „Thesenpapier zur Bewertung und Überarbeitung der Approbationsordnung und Verbesserung des Pharmaziestudiums“ führte der BPhD Anfang 2016 eine Umfrage durch. Von den etwas über 1500 Teilnehmern sprachen sich 59 Prozent für eine längere Studienzeit aus.

Protokolle und Testate nehmen die Flexibilität, um über den Tellerrand zu schauen 

Eine solche Verlängerung bietet mehr Zeit für Aktivitäten, auch außerhalb des Studiums. Wie alle Studierendenverbände, sind auch der BPhD und EPSA in einem hohen Maße auf die Beteiligung der Mitglieder angewiesen. Ein mangelndes Interesse von studentischer Seite ist dabei selten die Ursache. Dies zeigen Veranstaltungen wie die Pharmareise, die vergleichsweise kurz sind, sich an deutschen Stundenplänen orientieren und daher bundesweit großen Anklang finden. Jedoch bietet die Realität an deutschen Fakultäten wenig Freiraum für weitergehendes Engagement: Laborpraktika, Pflichtseminare, Protokolle und Testate nehmen Studierenden die Flexibilität und Freizeit, um über den Tellerrand zu schauen und sich stärker einzubringen.

Wer sich vom pharmazeutischen Nachwuchs wünscht, dass er sich politisch engagiert, die interprofessionelle Zusammenarbeit fördert, unternehmerisch und innovativ arbeitet, der muss ihnen auch die Chance und Freiheit geben ihre Persönlichkeit zu entwickeln und die nötigen Fähigkeiten zu erlernen. Wir appellieren daher an Professoren, Hochschulpolitiker und die pharmazeutische Gemeinschaft, die Entzerrung des Pharmaziestudiums ernst zu nehmen. Die Ausbildung der zukünftigen Apotheker sollte sich nicht nur im Institut abspielen.



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1 Kommentar

Nur „dumme Studenten“ ... sind gute Studenten ...

von Christian Timme am 25.07.2019 um 9:22 Uhr

TH Darmstadt vor 5 Dekaden ... Podiumsdiskussion mit „Ehemaligen Physikstudenten“, davon ca. 2O aus den USA angereist. Einstimmiger Tenor: „Geht über den Teich ...um ...“ Danach sang die komplette Aula: „Und unter den Talaren ... der Muff von 1.000 Jahren ...“

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