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Gastkommentar
Zwei Welten – Warum unser Gesundheitssystem es nicht schafft zu gesunden
Seit Jahren jagt ein Gesetz das nächste. GSAV, Apothekenstärkungsgesetz, aber auch Impfpflicht gegen Masern, Bekämpfung des Pflegenotstandes und elektronische Gesundheitskarte – besonders unser jetziger Gesundheitsminister, Jens Spahn, verkündet mit enormer Geschwindigkeit eine Initiative nach der anderen. Trotzdem haben viele Bürger das Gefühl, um unser Gesundheitssystem steht es schlecht und die Versorgungsqualität verbessert sich nicht. Warum ist das so? Dr. Franz Stadler versucht, eine Antwort zu finden.
Einfach gedacht, könnte man jetzt über knappe Kassen des Bundes, der Krankenkassen, faule Leistungserbringer und ein zu hohes Anspruchsdenken der Bürger schwadronieren. Aber dies soll keine Sonntagsrede werden, sondern einen tiefgehenden Missstand benennen: Unser Gesundheitssystem zerfällt in zwei Welten, die kaum mehr etwas miteinander zu tun haben.
Welt eins
Welt eins ist die Welt der Entscheider, der klar strukturierten Lobbyisten und der Selbstdarsteller, die sich gerne im Licht der Öffentlichkeit sonnen. Eine Welt, in der Geld und Eitelkeiten im Mittelpunkt jeden Handels stehen. In dieser Welt spielen Gesamtzusammenhänge oder Systemüberlegungen kaum eine Rolle. Hier geht es nicht um die Leistungen, die beim Individuum ankommen, sondern es geht um die großen Abläufe, die sich allerdings fast immer um die eigentlich nebensächlichen Belange dieser theoretisierenden Gruppe drehen. In diese Welt gehören unsere Politiker, die Vertreter der großen Player, der pharmazeutischen Unternehmen, der Krankenkassen und der internationalen Finanzinvestoren, sowie willfährige Feuilletonisten, die nicht müde werden, längst entlarvte Vorurteile zu wiederholen, aber leider auch unsere Standesvertreter.
Ihr Machtinstrument ist unter anderem ihre Verfügungsgewalt über einen enormen Datenschatz, den sie ängstlich, mit allen Mitteln verteidigen und der entsprechend ihrer gerade aktuellen Ziele aufbereitet und präsentiert wird – wohl dosiert und passend gemacht. Heraus kommen alternativlose Vorschläge, die nur schwer im Vorfeld kritisiert werden können. Mit dieser Methode halten sie Welt zwei in Schach und drücken ihre oft unpraktikablen Wünsche beim Gesetzgeber durch.
Welt zwei
Welt zwei sind die Praktiker, die Leute, die die tägliche Arbeit verrichten und sich jeden Tag abmühen, die Dinge am Laufen zu halten. Welt zwei sind die unmittelbaren Leistungserbringer und in einem gewissen Umfang die Patienten. Sie haben in der Regel nur wenige Daten zur Verfügung, selten Zeit und werden deshalb auch kaum gehört. Sie haben aber ein Gespür für das Gesamtsystem, für die Dinge, die notwendig wären, um es zu verbessern. Außer in Wahlkampfzeiten, und auch in diesen Zeiten nur pro forma, sind deren Kontakte zur Welt eins minimal. Welt zwei muss aber mit den manipulierten Entscheidungen der Welt eins leben, ist deshalb zunehmend frustriert und verliert die Motivation.
Und hier liegt nun die Ursache der ständigen Verschlechterung unseres Gesundheitssystems: Der Einfluss der Welt zwei auf die Entscheidungen der Welt eins ist zu gering. Es wird zu wenig kommuniziert und vor allem zu wenig auf die Praktiker gehört. Grundlegende Dinge werden so „vergessen“ oder müssen hinter sachfremden Argumenten (aus Welt eins) zurückstehen. Dabei müssen wirkliche Problemlösungen im Gesundheitswesen von der Basis (Welt zwei) aus gedacht werden – zum Beispiel ausgehend vom Gesichtspunkt der Arzneimittelsicherheit. Denn bei der Arzneimittelsicherheit liegt das wahre und rationale Patienteninteresse. Jeder möchte möglichst wirksame Arzneimittel, die weder durch Transport und/oder falsche Lagerung in ihrer Wirkung gemindert, noch verunreinigt und schon gar nicht als Folge egoistischer und Gewinn maximierender Preisgestaltungsmechanismen und Handelswege nicht lieferfähig sind.
Beispiele gefällig?
Beinahe wäre die Importquote im GSAV gestrichen worden – ein kleiner, wenig mutiger Schritt in Richtung mehr Arzneimittelsicherheit. Aber sowohl im neuen Rahmenvertrag zwischen GKV-Spitzenverband und DAV als auch im Gesetz stand dann doch wieder eine neue Quote, die sowohl den Kassen, den Importeuren, dem Saarland und auch einigen Apothekern Umsatz und Gewinn sicherte. Es wurde sogar ein neuer „Importmarkt“ im Rahmenvertrag geschaffen, der vermutlich den Importumsatz (und zusammen mit den anderen Regelungen die Retaxquote) weiter erhöhen wird. Letztlich spielte die Versorgungssicherheit bei dem ganzen Geschachere keine Rolle.
Genauso wenig wie beim Verzicht auf ein grenzüberschreitendes Rx-Versandhandelsverbot, bei der fortschreitenden Digitalisierung, die zusammen zu einer Quasi-Aufhebung der Verschreibungspflicht führen werden, und bei Securpharm, das in seiner jetzigen Form mehr die Fälscher als die Patienten schützt – ein Mehr an Arzneimittelsicherheit sieht anders aus.
Hinzu kommen die Rabattverträge, die uns Apothekern in Zeiten des neuen Rahmenvertrages geradezu als Segen und (Retax-)sicherer Hafen erscheinen, die aber letztlich die Hauptursache der ständig steigenden Lieferengpässe sind. Auch hier sparen die Krankenkassen (Welt eins) vermutlich (die genaue Höhe der Einsparungen und die erzielten Tiefstpreise bleiben geheim) in jeder Ausschreibungsrunde mehr. Wegen dieser Tiefstpreise entwickelt sich Deutschland im generischen (Rabattvertrags-)Markt immer stärker zum Exportland.
Das klarste Zeichen der Entfremdung zwischen Welt eins und Welt zwei ist aber die fehlende Wertschätzung der Arbeit, die aufgewandt werden muss, um all diese mehr oder weniger sinnlosen Regelungen umzusetzen. Hat sich irgendjemand, und wenn auch nur gedanklich, die Mühe gemacht, zu ermitteln, welchen Zeitaufwand, welchen logistischen Aufwand, welche Prozesskosten die Umsetzung der Rabattverträge, des neuen Rahmenvertrages, der Einführung von Securpharm etc. bei den öffentlichen Apotheken verursacht haben und wie oft wir täglich den völlig verunsicherten Patienten die Hintergründe erklären dürfen/müssen? Wo bleiben die berechtigten Gegenforderungen? Wo bleibt der Protest? Erklärt werden kann das komplette Fehlen jeder ernsthaften Gegenwehr nur mit der fortschreitenden Trennung unseres Gesundheitssystems in zwei Welten. Welt eins ist nicht betroffen oder sonnt sich lieber im Licht einer uninformierten Öffentlichkeit und Welt zwei hat nichts zu sagen. Es bleibt nur die vage Hoffnung, dass die Entscheidungsprozesse geändert werden. Sonst muss und wird Welt zwei sich irgendwann erheben … .
8 Kommentare
Zwei Welten
von Wolfgang Steffan am 02.08.2019 um 12:23 Uhr
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Zwei Welten
von Alexandra Tscheuschner am 02.08.2019 um 9:57 Uhr
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Hervorragende Analyse
von Michael Schulz am 02.08.2019 um 9:11 Uhr
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Weltenwandel.
von Reinhard Rodiger am 02.08.2019 um 1:26 Uhr
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Auf den Punkt gebracht
von Rolf Wenz am 01.08.2019 um 21:18 Uhr
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Welten
von Karl Friedrich Müller am 01.08.2019 um 20:33 Uhr
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Zu Gastkommentar "Zwei Welten"
von Ute Höner am 01.08.2019 um 19:08 Uhr
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Ein Lichtblick an Weisheit
von ratatosk am 01.08.2019 um 18:38 Uhr
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