DAZ.online: Warum ist es der
„steinigere“ Weg? Das „neue“ Rx-Boni-Verbot soll doch gerade wegen seines neues
Regelungsortes im SGB V rechtssicherer sein
Dr. Michels: Allein die Änderung des
Regelungsortes ist zunächst einmal nicht mehr als eine juristische Finte. Davon
wird sich unter dem Gesichtspunkt der Warenverkehrsfreiheit weder die
EU-Kommission mit Blick auf das 2013 eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren
noch der EuGH, bei dem ebenso gegen die Regelungen des VOASG geklagt würde,
beeindrucken lassen. Im Gegenteil: Durch die Streichung des für alle Versicherten
geltenden § 78 Absatz 1 Satz 4 AMG zugunsten einer Preisbindungsregelung nur noch
für GKV-Versicherte im SGB V würde sich das Argumentarium zur Rechtfertigung
der Preisbindung entscheidend verschlechtern. Mit der „Aufgabe“ des gesamten
PKV-Bereichs sowie der Selbstzahler im GKV-Bereich gerieten sämtliche Argumente
in Wegfall, die an den Unterschied des Arzneimittels zu anderen Waren anknüpfen,
so zum Beispiel die Erkenntnis, dass im Bereich von Rx nicht der Preis, sondern die
medizinische Notwendigkeit die Nachfrage bestimmt. Auch der Aspekt der
Sicherstellung einer bundesweiten Versorgungsgerechtigkeit ist kaum mehr
überzeugend vorzutragen. Warum sollten privat Versicherte an dieser
Gerechtigkeit nicht teilhaben dürfen, zumal eine solche Konsequenz auch
verfassungsrechtlich problematisch erscheint? Und schließlich kommt auch der
Gewährleistung eines flächendeckenden Versorgungsnetzes allenfalls noch ein bedingt
rechtfertigender Charakter zu, denn für einen nicht unerheblichen Anteil der
Bevölkerung würde sie durch die Freigabe der Preise ja gerade in Abrede gestellt.
DAZ.online: Was ist dann jetzt zu
tun?
Dr. Michels: Zunächst einmal möchte ich – salopp
formuliert – ein Spiel nicht verloren geben, bevor es überhaupt angepfiffen
worden ist. Das wäre mit einer Umsetzung des VOASG jedoch der Fall, denn die
für eine erneute Vorlage an den EuGH streitentscheidende Norm, § 78 Absatz 1
Satz 4 AMG, würde dann gestrichen. Erstens müssen wir der Politik also klar
machen, dass eine Beibehaltung statt eine Streichung der einfachere Weg wäre,
denn es bedürfte insoweit keiner gesetzgeberischen Initiative, sondern nur eines
aktiven Bekenntnisses zu der Norm, die dieselbe Koalition aus guten Gründen,
nämlich als Folge der höchstrichterlichen deutschen Rechtsprechung Ende 2012
erst eingefügt hat. Zweitens muss die nahezu schon groteske Situation verdeutlicht
werden: Der Kabinettsentwurf wird nicht nur nicht dem erklärten Gesetzesziel
einer europarechtskonformen Stärkung der Vor-Ort-Apotheke gerecht, sondern er
läuft diesem geradezu zuwider, denn er schwächt eben die Verteidigung der
Preisbindung in Deutschland entscheidend. Wenn dann ja nicht noch Schlimmeres
zu befürchten wäre, müsste man fast darauf hoffen, dass die durch den Minister zwischenzeitlich befasste EU-Kommission den
Kabinettsentwurf ablehnt. Und drittens scheint es mir dringend geboten, der
Politik vor Augen zu führen, dass eine Umsetzung des VOASG ein Spiel mit dem
Feuer bedeutet.
Michels: Es steht viel mehr auf dem Spiel
DAZ.online: Warum?
Dr. Michels: Sollte das VOASG so umgesetzt werden,
werden wir zunächst einmal in der PKV und bei Selbstzahlern nicht niedrigere,
sondern höhere Preise erleben. Nicht medizinische Notwendigkeit bestimmt dann
die Versorgung, sondern der Preiswettbewerb, angefeuert durch Marktphänomene
wie z.B. Lieferengpässe, was eine Zäsur in der deutschen Gesundheitsversorgung
bedeutet. Insoweit empfehle ich die Lektüre der Stellungnahme des PKV-Verbandes
zum Gesetzesentwurf. Ebenso gilt dies für die Stellungnahmen der Verbände BPI
und BAH, die den Gesetzesentwurf ebenfalls ablehnen. Auch die Negativ-Analyse
des Phagro trifft zu: Die Transplantation der Preisbindung in das SGB V erfasst
nur das Verhältnis der Apotheke zum Patienten. Auf den vorgelagerten
Handelsstufen fehlt die Preisbindung, ausländische Hersteller und Großhändler
treten also einseitig in Preiswettbewerb zu den inländischen Marktteilnehmern.
Bestätigt wird diese Auffassung durch eine aktuelle Entscheidung des OLG
Düsseldorf, wonach sogar inländische Hersteller bei der Belieferung
ausländischer Versender mit Rx-Arzneimitteln, die auch den deutschen Markt
beliefern, nicht an den einheitlichen Herstellerabgabepreis gebunden sind. Mit
alldem sind weitere, bislang ungeklärte Fragen verbunden. So etwa, wie die
Apotheke nicht preisgebundene Einkäufe aus dem Ausland verbuchen muss und ob
sie diese dann nur an PKV-Patienten abgeben darf. Wir werden eine Erosion des
Preissystems erleben, an deren Ende selbst die umgesetzten Regelungen des VOASG
als europarechtswidrig ausgehebelt werden. Damit wäre das für die deutsche Arzneimittelversorgung
unverzichtbare Fundament betroffen. Der Fall weiterer Regelungen wie das Fremd-
und Mehrbesitzverbot und die Pflicht zur persönlichen Apotheken-Führung verbunden
mit einer entsprechenden Haftung ist dann nur eine Frage der Zeit. Denn dem
inländischen Rechtfertigungsdruck kann mit Blick auf die Nichtgeltung dieser
Regelungen für die ausländischen, fremdkapitalgesteuerten Versender kaum
dauerhaft Stand gehalten werden. Damit ist der Freie (Heil-)Beruf als solches betroffen
und darüber hinaus „die Systemfrage“ gestellt. Das Spiel mit dem Feuer hat damit
sogar das Potenzial eines Flächenbrandes für unser Gesundheitssystem.
DAZ.online: Dann bliebe ja aber noch
die Forderung nach einem Versandhandelsverbot – eine Handlungsoption, die sich
auch Präsident Schmidt offen hält.
Dr. Michels: Wie gesagt: Wird das VOASG in seiner
jetzigen Fassung umgesetzt, dann muss ebenso mit einer unverzüglichen Klage gerechnet
werden. Scheitern die Regelungen aber vor dem EuGH, dann ist die Forderung nach
einem Versandhandelsverbot kaum noch begründbar. Anders sähe ich das für den
Fall des Scheiterns eines erneuten Vorabentscheidungsverfahren vor dem EuGH auf
Grundlage des § 78 Absatz 1 Satz 4 AMG, denn dann wäre die Forderung eines
Versandhandelsverbotes als ultima ratio stringent. Was die angesprochene
Handlungsoption des ABDA-Präsidenten anbelangt, so halte ich seine Äußerungen
dazu – wie vieles andere in der bisherigen ABDA-Kommunikation auch – für
widersprüchlich: Es kann kaum eine ernstgemeinte Handlungsoption sein, wenn
sich der Präsident an anderer Stelle äußert, dass ein Versandhandelsverbot für
jüngere Generationen nicht mehr vorstellbar sei, weil der Online-Handel einfach
zum Alltag dazu gehöre. Eine solche Einschätzung bedeutet vielmehr die endgültige
Aufgabe dieser Forderung. Am Ende bin ich davon überzeugt, dass wir an einem Wendepunkt
stehen, an dem die Politik sich entscheiden muss, ob sie an dem bewähren System
der Gesundheitsversorgung in unserem Land festhalten oder aber diesen Lebensbereich
denselben Mechanismen unterwerfen will, wie dem allgemeinen Konsum. Zu
letzterem passen Rabattschlachten, Black-Friday-Angebote, Onlineplattformen,
Multi-Channel- und sonstige Marketingstrategien wie man sie bei Amazon, Zalando,
DocMorris & Co. beobachten kann. Der Gesundheitsbereich verträgt so etwas
nicht, jedenfalls nicht ohne klare Schranken und Regulative. Sollte die Politik
grundsätzlich an dem Bewährten festhalten wollen, dann muss sie erkennen, dass
sie das System – auch gegenüber dieser oder jener Bestrebung aus der EU –
schützen und, wenn nötig, sogar verteidigen muss.
10 Kommentare
Er kam in weiß und er kam leider zu spät !
von Ulrich Ströh am 10.08.2019 um 9:49 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten
AW: Er kam in weiß und er kam leider zu spät !
von Ulrich Ströh am 10.08.2019 um 10:16 Uhr
AW: Er kam in weiß und er kam leider zu sp
von Anita Peter am 10.08.2019 um 10:48 Uhr
Jawoll !!
von Uwe Hansmann am 10.08.2019 um 9:43 Uhr
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Milderer Mittelweg oder Stillstand durch Stau?
von Christian Timme am 10.08.2019 um 3:09 Uhr
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Hut ab!
von Pillendreherin_1978 am 09.08.2019 um 21:15 Uhr
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AW: Hut ab
von Anita Peter am 10.08.2019 um 5:45 Uhr
AW: Hut ab
von Roland Mückschel am 10.08.2019 um 11:04 Uhr
Milde Mittel
von Roland Mückschel am 09.08.2019 um 17:53 Uhr
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AW: Milde Mittel
von Landapotheker am 09.08.2019 um 18:35 Uhr
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