Beratungsquickie

Kein ACC bei Histaminintoleranz

München - 30.08.2019, 10:15 Uhr

Menschen mit Histaminintoleranz sollten bestimmte Lebensmittel meiden: Käse, Tomaten, Ananas, Rotwein und Schokolade beispielsweise. Auch nicht alle Arzneimittel eignen sich bei Histaminunverträglichkeit. Zu welchen Schmerzmitteln können Apotheker raten? (Foto: Igor Normann / stock.adobe.com)

Menschen mit Histaminintoleranz sollten bestimmte Lebensmittel meiden: Käse, Tomaten, Ananas, Rotwein und Schokolade beispielsweise. Auch nicht alle Arzneimittel eignen sich bei Histaminunverträglichkeit. Zu welchen Schmerzmitteln können Apotheker raten? (Foto: Igor Normann / stock.adobe.com)


Nahrungsmittelunverträglichkeit oder auch Nahrungsmittelintoleranz ist ein Sammelbegriff für verschiedene, nicht allergisch bedingte Reaktionen auf Nahrungsmittel, die in den letzten Jahren stark zugenommen haben. Am häufigsten lösen Milchzucker (Lactose), Fruchtzucker (Fructose), Gluten oder Histamin eine Intoleranz aus. Im Gegensatz zu einer Nahrungsmittelallergie ist eine -intoleranz aber nicht lebensbedrohlich. In der fünfteiligen DAZ.online-Serie werden die häufigsten Intoleranzen beschrieben. Im dritten Teil geht es um Histaminintoleranz, auch darum, von welchen Arzneimitteln Apotheker eher abraten sollten.

Histamin ist ein biogenes Amin, das über eine enzymvermittelte Reaktion aus der Aminosäure Histidin entsteht, also im Organismus direkt gebildet wird. Gespeichert wird es hauptsächlich heparin­gebunden in Mastzellen und baso­philen Granulozyten. Als Neurotrans­mitter und Gewebshormon übernimmt es vielfältige Funktionen im Körper. Wichtig ist es vor allem bei aller­gischen Reaktionen und Entzündungsreaktionen und spielt eine Rolle bei der Entstehung von Übelkeit und Erbrechen. Außerdem beeinflusst es die Magensäuresekretion und die Regulation der Blutgefäße. Für den Abbau von Histamin im Körper ist das Enzym Diaminoxidase (DAO) im extrazellulären Bereich zuständig, intra­zellulär übernimmt die Histamin-­N­-Methyltransferase (HNMT) diese Aufgabe.

Bei einer Histaminunverträglichkeit ist die DAO meist durch eine verringerte Aktivität charakterisiert. Hierdurch kommt es zu einem Ungleichgewicht zwischen anfallenden/aufgenommenem Histamin und dem Histaminabbau, da dieser durch die fehlerhafte DAO verlangsamt abläuft.

Histamin wird allerdings nicht nur im Organismus gebildet, sondern auch über die Ernährung aufgenommen. Histamin kommt sowohl in tierischen als auch in pflanzlichen Lebensmitteln in unterschiedlich hohen Konzentrationen vor. Hauptauslöser für Beschwerden ist eine hohe Zufuhr von Histamin über die Ernährung.

Histamin in Lebensmitteln

Histamin entsteht in Lebensmitteln während der Lagerung, Reifung oder während des Verderbs. Verantwortlich sind Bakterien, die das Enzym besitzen, welches Histidin in Histamin umwandelt. Der entstehende Histamingehalt ist abhängig von der Ausgangsmenge an Histidin, den entspre­chenden Bakterien, der Lagerdauer sowie von pH­-Wert, Temperatur und Sauerstoffgehalt. In gekühlten Lebensmitteln entsteht das biogene Amin weniger schnell, in sauren Nahrungsmitteln hingegen ist die Histaminbildung begünstigt. Betroffenen kann somit empfohlen werden, Lebensmittel möglichst frisch zuzubereiten und zu verzehren, auf ausreichende Kühlung zu achten oder einzufrieren, denn bei Minustemperaturen findet keine Histaminbildung mehr statt. Nahrungsmittel mit langen Rei­fungs­-oder Gärungsprozessen und Alkohol sind zu meiden.

Welche Lebensmittel enthalten besonders viel Histamin?

Histaminreiche Nahrungsmittel

Allgemein sind folgende Lebensmittel zu meiden: Gärungs-, Reifungs- oder Fermentationsprodukte (beispielsweise alles mit Alkohol, Essig, Hefe und Bakterien), Konserven, Fertigprodukte, Halbfertigprodukte, warm gehaltene oder wieder aufgewärmte Speisen, lang gelagerte Produkte. Je verderblicher und je höher der Gehalt an Eiweiß, desto wichtiger ist es, die frische Zubereitung der Mahlzeiten zu berücksichtigen.

Fleisch: Jegliche Art von Wurstwaren wie Bratwurst, Cervelat, Mettwurst, Aufschnitt, Salami, Rohschinken, Schinken, Räucherschinken, Landjäger etc.

Fisch: Thunfisch, Makrele, Sardinen, Sardellen, Hering, Meeresfrüchte, Fischsaucen

Käse: alle Hart-, Weich- und Schmelzkäsesorten

Gemüse: Sauerkraut, Spinat, Tomaten, Tomatenjus, Ketchup, Aubergine, Avocado

Verträgliche Alternativen

Fleisch: Frisches oder tiefgekühltes Fleisch und Geflügel, Kotelett, Geschnetzeltes, Gehacktes, Filet etc.

Fisch: Frische oder tiefgekühlte Fische wie z.B. Dorsch, Forellen etc.

Milchprodukte: Frischkäse, z.B. Hüttenkäse, Quark und andere Milchprodukte wie Milch und Joghurt

Gemüse: Alle anderen Gemüse, frisch oder tiefgekühlt.

Symptome einer Histaminintoleranz

Bei der Histaminintoleranz handelt es sich um ein Krankheitsbild mit ganz unterschiedlichen Symptomen, da es im Körper vier verschiedene Rezeptoren für Histamin gibt (H1 bis H4) und diese zudem stark verteilt sind. Da die Erkrankung außerdem Merkmale einer pharmakologi­schen Reaktion, einer Pseudoallergie und eines Enzym­mangels aufweist, ist eine systematische Zuordnung nicht immer eindeutig möglich.

Neben den „klassischen“ Allergiesymptomen wie verstopfte/laufende Nase, Niesen, Atembeschwerden, Asthma, Juckreiz, Hautrötungen/Hautausschlag oder auch gereizte und geschwollene Augenlider zeigen sich oft Verdauungsprobleme wie Durchfall, Bauchschmerzen/-krämpfe, Blähungen oder Sodbrennen, aber auch Übelkeit und Erbrechen. Auch Kopfschmerzen bis hin zu Migräne und Schwindel können auftreten.

Kreislaufprobleme mit Herzrasen, Blutdruckabfall, Herzstolpern und Herzklopfen sind hierbei auch als Symptome zu nennen. Bei schweren Verläufen besteht die Gefahr einer Anaphy­laxie. Viele dieser unspezifischen Symptome treten vorwiegend während und nach dem Essen auf. 

Die Histaminintoleranz kommt bei 1 bis 3 Prozent der Bevölkerung vor, wobei deutlich mehr Frauen als Männer betroffen sind. Aufgrund des unspezifischen Symptom­enkomplexes, dem geringen Bekanntheitsgrad der Erkrankung und der schwierigen Diagnostik, kann man davon ausgehen, dass viele Histaminintolerante nicht als solche identifiziert sind.

Welche Ursachen stecken hinter einer Histaminunverträglichkeit?

Wenn es Aufgrund eines Gendefekts zu einem DAO ­Mangel kommt, spricht man von einer Primären Histaminintoleranz. Bei einer Sekundären Histaminintoleranz führen Darmerkrankungen dazu, dass zu wenig DAO im Dünndarm gebildet wird. Sam­melt sich Histamin in der Leber aufgrund eines ungenügenden­ den Abbaus durch die Diaminoxidase an, entsteht mehr N-­Methylhistamin. Dieses hemmt die intrazelluläre HNMT, sodass noch weniger Histamin abgebaut wird und Symp­tome einer Histaminintoleranz auftreten können. Die Ursa­che können entzündliche, degenerative Darmerkrankungen sein wie Morbus Crohn, die Hemmung der DAO ­Aktivität durch Alkohol, Arzneimittel oder Toxine und ein Kurz­darmsyndrom. Bakterielle Fehlbesiedelungen des Darms, ein Kupfermangel, Epithelschädigungen sowie eine erhöhte Dünndarmpermeabilität, die beispielsweise durch Entzün­dungen oder Infekte verursacht sein kann, können ebenfalls eine sekundäre Histaminintoleranz auslösen

Welche Arzneimittel sollten Histaminintolerante meiden?

Durch Lebens-­ und Arzneimittel kann die Diaminoxidase blockiert werden (DAO-Hemmung), sodass sie nicht mehr in der Lage ist, Histamin in ausreichendem Maß abzubauen. Schokolade, Energydrinks, Alkohol, grüner und schwarzer Tee sowie Lebensmittel, die selbst sehr viele biogene Amine enthalten, wie gereifter Käse, Himbeeren, Orangen oder Rotwein, führen zu dieser Enzyminhibition. Zu diesen biogenen Aminen gehören auch Tyramin und Putrescin, die ebenfalls starke physiologische Wirkungen haben. Putres­cin entsteht aus Ornithin durch Decarboxylierung und spielt eine Rolle bei der Fleischfäulnis. ACC, Ambroxol, Diazepam und Metamizol sind Beispiele aus dem Arznei­mittelbereich.

Histamin-Liberatoren: keine Ananas, Nüsse, Tomaten

Es gibt Lebens-­ und Arzneimittel, die dafür sorgen, dass endogenes Histamin aus seinen Spei­chern freigesetzt wird. Im Bereich der Lebensmittel gehören Ananas, Nüsse, Spinat, Tomaten und auch hier Schokolade sowie Alkohol dazu. Bei den Arzneimitteln sind NSAIDs (Acetylsalicylsäure, Diclofenac, Flurbiprofen, Naproxen), Opioide, Muskelrelaxanzien und Röntgenkontrastmittel bekannt für ihre Histamin­freisetzende Wirkung. Histaminintolerante Menschen können auf Paracetamol und Ibuprofen zurückgreifen, wenn sie ein Analgetikum benötigen, denn diese Wirkstoffe wirken weder histamin­freisetzend noch DAO-­hemmend.

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Therapiemöglichkeiten

Wie alle anderen Nahrungsmittelintoleranzen ist auch die Histaminintoleranz nicht heilbar. Die erste und wichtigste Maßnahme ist es, möglichst wenig Histamin mit der Nah­rung zu konsumieren, keine histamin­freisetzenden Lebens-­ oder Arzneimittel aufzunehmen sowie DAO­-Blocker in größeren Mengen zu meiden.

Für die Enzymersatztherapie steht ein Produkt zur Ver­fügung, das direkt mit einer histaminhaltigen Mahlzeit eingenommen wird und nach Auflösung im Dünndarm die Aufgabe der körpereigenen Diaminoxidase übernimmt. Für die Behandlung akuter dermatologischer Beschwer­den sind H1-Antihistaminika wie Cetirizin, Loratadin und Dimetinden gut geeignet. H2-Antihistaminika wie Ranitidin sind bei gastralen Beschwerden (vor allem Übelkeit und Erbrechen) indiziert, allerdings stehen nur Tabletten mit 75 mg rezeptfrei zur Verfügung.

Patienten bei denen eine anapyhlaktischer Schock zu erwarten ist, sollten immer ein Notfallset mit Adrenalin­-Injektor, Glucocorticoid und H1­-Antihista­minikum mitführen. Ascorbinsäure, Vitamin B6 und Kupfer beeinflussen die Aktivität und Funktion der Diaminoxidase positiv, sodass ein Mangel hier zwingend behoben werden muss.



Lars Peter Frohn, Apotheker, Autor DAZ.online
radaktion@daz.online


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