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- Fake News von der AOK
Es überrascht nicht, dass die großen Kassenverbände die GKV-Versicherten am liebsten ohne Vor-Ort-Apotheken mit Arzneimitteln versorgen würden. Die Aufwertung des Versandhandels, eine Aufhebung des Fremd- und Mehrbesitzverbotes und Honorarstreichungen – alles bekannte Forderungen der Kassenverbände. Die jüngste Kommentierung aus der Versorgungsabteilung (!) des AOK-Bundesverbandes hat aber deswegen ein neues Niveau erreicht, weil in vielen Fällen Fakten verdreht werden, um einen Versorgungspartner ins politische Abseits zu drängen.
Der AOK-Bundesverband ist einer der angesehensten Fachverbände im Gesundheitswesen. Für jeden einzelnen Versorgungsbereich gibt es in der politischen Vertretung der elf AOKen in Berlin ein ganzes Experten-Team. Die Teams arbeiten an Stellungnahmen zu Gesetzen, erarbeiten eigene Positionierungen und konzeptionieren teils auch eigene Versorgungsmodelle. Auch für den Arzneimittelbereich gibt es beim AOK-Bundesverband ein solches Team, das von einer Apothekerin, Sabine Beckmann, geleitet wird. Beckmanns Chefin ist die Leiterin der Versorgungseinheit im AOK-Verband, Dr. Sabine Richard. Richard ist Vertragsexpertin: Sie konzipierte unter anderem die Verträge der AOKen mit den Zyto-Apothekern, die der Gesetzgeber inzwischen wieder abgeschafft hat.
Weil die Apothekenreform derzeit noch in der Schwebe ist, haben sich Richard und Beckmann vorgenommen, das Vorhaben noch zu ihren Gunsten zu beeinflussen. In der von der AOK kontrollierten Fachzeitschrift „Gesundheit und Gesellschaft“ (G+G) bekommen beide Expertinnen mehrere Seiten Platz, um ihre eigenen „Rezepte für eine Apothekenreform“ unkommentiert aufzuschreiben. Weil von der AOK selbst kein Kommentar dazu zu erwarten ist, haben wir uns einige Aussagen aus diesem Beitrag angeschaut. Dabei fällt auf: Die beiden Versorgungsexpertinnen haben es hier und da nicht so mit der Wahrheit und verdrehen Fakten zu ihren Gunsten. Ein aussagenbezogener Überblick:
Im Juli winkte das Bundeskabinett den Gesetzentwurf ‚Zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken‘ durch. Doch der lässt wesentliche Fragen offen: Dürfen Patienten auch künftig ihre rezeptpflichtigen Medikamente bei Versandapotheken bestellen – und wenn ja, zu welchen Bedingungen?“
Kommentierung: Schon in der Einleitung liegen Richard/Beckmann falsch. Denn: An keiner Stelle geht es in Spahns Reform darum, den Versandhandel einzuschränken. Die Frage des Rx-Versandverbots ist vom Tisch, mehrfach hat Jens Spahn das dargestellt – aus juristischen Gründen sei es nicht machbar. Insofern ist die Frage, „ob“ Patienten ihre Arzneimittel künftig noch im Versand bestellen dürfen nicht nur zugespitzt, sondern falsch. Da sie in Richtung der Patienten adressiert ist, bleibt nur eine Schlussfolgerung: Die AOK-Lobbyistinnen wollen Versand-affinen Patienten Angst machen, dass ihnen etwas weggenommen werden könnte.
Aussagen zum DocMorris-Automaten in Hüffenhardt
Gleichzeitig sollen sinnvolle, auch digitalisierte Weiterentwicklungen der Arzneimittelabgabe, wie zum Beispiel Abgabeautomaten mit Online-Beratung, verhindert werden. Und dies von einem Gesundheitsminister Jens Spahn, der digitalisierte Angebote an anderer Stelle mit hohem Engagement fördert. (…) Prompt wird in dem Entwurf dem umstrittenen Arzneimittelabgabeautomaten der niederländischen Versandapotheke Doc Morris die rechtliche Grundlage entzogen. (…) Die persönliche fachkundige Beratung gewährleistete eine Videoschaltung in die Stammapotheke im niederländischen Heerlen. Diese Innovationsfeindlichkeit soll nun im Gesetzesentwurf festgeklopft werden.“
Kommentierung: Mit ihren Aussagen zum Thema Hüffenhardt liegen die AOK-Mitarbeiterinnen komplett daneben. Doch hier überschreiten Richard/Beckmann eine wichtige Grenze: die des Rechtsstaats. Das Bild des von den Apothekern klein lobbyierten Jens Spahn, der jetzt auf einmal Arzneimittel-Automaten verbieten und ihnen die „rechtliche Grundlage“ entziehen will, ist einfach nur falsch. Diese rechtliche Grundlage hat es nie gegeben: Es gibt Gesetze und Verordnungen, die solch ein Angebot schlichtweg verbieten – und das nicht erst seit gestern. So jedenfalls sahen es bislang alle mit der Sache beschäftigen Zivil- und Verwaltungsgerichte. Das zeigt, wie viel Respekt Richard/Beckmann vor bestehenden Regularien wie dem Apothekengesetz und der Apothekenbetriebsordnung sowie der Rechtsprechung haben.
Aber damit noch nicht genug. Hier offenbaren die beiden AOK-Expertinnen auch, dass sie den Gesetzentwurf Spahns offenbar gar nicht richtig kennen. Denn in seinem Entwurf will der Minister die Automaten nicht verbieten (sie sind es ja schon!). Er will sogar Regeln für den Betrieb „automatisierter Ausgabestationen" schaffen – damit würde es Versandhändlern sogar unter gewissen Umständen erlaubt, Ausgabeautomaten zu betreiben.
Und die Formulierung mit der „Stammapotheke in Heerlen“ ist eigentlich nur als reine Provokation gegen die Apotheker zu verstehen. DocMorris ist keine Apotheke nach deutschem Recht. Wenn es eine wäre, hätte sich der Konzern nicht einen Meter hinter der Grenze niederlassen müssen.
Das Honorar-Gutachten
Ein Gutachten im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums kam ein Jahr nach dem EuGH-Urteil zu dem Ergebnis, dass die Apotheken nicht gefährdet sind.“
Kommentierung: Diese Aussage machen Richard/Beckmann in einem Abschnitt, in dem es um die möglichen Auswirkungen des Versandhandels auf die Apothekenstruktur geht. Der Satz ist falsch. Die BMWi-Gutachter geben sogar in ihrem Fazit zu, dass es Tausenden Apotheken wirtschaftlich nicht gut geht. Sie erklären zwar auch, dass der Versandhandel daran rein zeitlich keine Schuld haben könne, weil es ihnen schon vor 2015 schlecht ging, aber Fakt ist: 7600 der Apotheken geht es laut BMWi-Gutachten wirtschaftlich schlecht.
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Dabei stellten sie fest, dass eine massive Überfinanzierung der Apothekerleistungen von etwa 1,1 Milliarden Euro zulasten der GKV besteht. (…) Die Gutachter schlugen vor, die Honorare umzuverteilen."
Kommentierung: Zumindest zum Teil falsch. Die Umverteilung ist nur ein Teil der Gutachter-Empfehlungen. Ein Großteil des Apothekenhonorars soll gestrichen werden – etwa 40.000 Euro pro Apotheke und Jahr.
Denn es ist überhaupt nicht erkennbar, dass der Versandhandel die flächendeckende Versorgung tatsächlich gefährdet. (…) Im Gegenteil: Eine Beschränkung des Versandhandels verschärft das Problem eher. Trotzdem lehnt die Apothekerschaft jede Diskussion ab, die sich um die Weiterentwicklung der ‚Apotheke‘ dreht. Beharrlich verlangen sie, dass eine Apotheke auch in der Zukunft genauso aussieht wie bisher.“
Kommentierung: Wie genau der Versandhandel die flächendeckende Versorgung retten soll, erklären die AOK-Expertinnen nicht. Aber die Aussage, dass sich die Apotheker Diskussionen rund um die Weiterentwicklungen der Apotheke versperren, ist erneut falsch. Die Apothekerschaft entwickelt gerade gemeinsam mit den anderen Akteuren der Gematik das E-Rezept und will es in Baden-Württemberg testen. Gemeinsam mit den Herstellern und den Großhändlern haben die Apotheker das EU-Fälschungsschutzsystem (hierzulande: Securpharm) auf die Beine gestellt, während andere Länder von einer flächendeckenden Umsetzung noch träumen. Und übrigens: Gemeinsam mit einer AOK und den Ärzten haben die Apotheker ein innovatives Arzneimittelprojekt bereits umgesetzt (ARMIN), bei dem Ärzte und Apotheker digital zur Medikation ihrer Patienten kommunizieren.
Dass sich die von der AOK vorgeschlagene „Weiterentwicklung“ nicht mit den Ideen der Apotheker deckt, sollte Richard/Beckmann eigentlich wenig überraschen: Denn welcher Berufsstand würde sich schon für seine eigene Abschaffung ins Zeug legen?
Filialen vertreiben Einzelapotheken?
Auch eine Ausdehnung des Mehrbesitzverbotes auf mehr als vier Filialen lehnt die ABDA ab. Obwohl seit Jahren immer mehr Einzelapotheken von Filialapotheken mit Angestellten verdrängt werden. Offensichtlich sind Apotheken-Ketten attraktiv.“
Kommentierung: Ziemlich dreist ist es, Apothekenketten mit Filialapotheken gleichzusetzen. Es gibt einen Unterschied zwischen einem Apotheker, der die Vorgänge in (bis zu) vier Apotheken überschaut und einem Konzern, der die Verkäufe in möglicherweise Tausenden Einzelapotheken kontrolliert. Im Übrigen ist die Aussage, dass Filialen Einzelapotheken „verdrängen“ ebenso dreist – Fakten dazu legt die AOK nicht vor. In vielen Fällen ist es genau umgekehrt: Einzelapotheken schließen aus wirtschaftlichen Gründen und können von einem anderen Apotheker im Umkreis „gerettet“ werden, indem sie in den Verbund eingegliedert werden.
Es ist bezeichnend, dass auch nach jahrelangem Beratungsprozess keine Konzepte für neue sinnvolle Aufgabengebiete vorliegen. (…) Nicht beantwortet wird schließlich die Frage, wer angesichts der Nachwuchsprobleme bei den Apothekern diese Aufgaben übernehmen soll."
Kommentierung: Nichtsdestotrotz liegen Richard/Beckmann zumindest an einer Stelle auch richtig. Es ist wirklich traurig, dass es jetzt die Bundesregierung ist, die bei den pharmazeutischen Dienstleistungen den ersten Schritt macht. Eigentlich hätten es die Apotheker sein müssen, die konkrete Leistungen mit einem konkreten „Preis“ zuerst vorschlagen. Doch die ABDA hat bislang zumindest in der Öffentlichkeit keine solchen konkreten Leistungen präsentiert. Offenbar herrscht innerhalb der Apothekerschaft Uneinigkeit darüber, welche Leistungen jede Apotheke erbringen kann. Die Standesvertretung hat zwar eine Arbeitsgruppe gegründet, aber ob diese bereits Ergebnisse vorgelegt hat, ist unbekannt. Ebenso haben Richard/Beckmann recht, wenn sie die Frage nach dem Personal stellen: Kann es sich wirklich jede Apotheke personal- und zeittechnisch erlauben, neue Dienstleistungen zu erbringen? Oder ist die Personallage nicht in vielen Apotheken ohnehin schon so angespannt, dass neue Services gar nicht überall angeboten werden können?
Fazit: Es ist schade, dass sich die beiden hoch erfahrenen und belesenen AOK-Mitarbeiterinnen bei ihrer eigenen kleinen Apothekenreform nicht wenigstens an die Fakten gehalten haben. Ebenso schade ist es, dass sich ein Verband, der von Körperschaften öffentlichen Rechts finanziert wird, im Apothekenmarkt für einen ausländischen Wettbewerber stark macht, statt den heimischen Apotheken als Versorgungspartnern den Rücken zu stärken. Außerdem stoßen gerade in diesen Monaten von der AOK geäußerte Wünsche nach Systemumstellungen bitter auf. Denn sind es nicht gerade die AOKen, die mit aller Macht ein Gesetz vermeiden wollten, mit dem Jens Spahn möglicherweise gerade den Ortskrankenkassen einen Nachteil eingebracht hätte?
2 Kommentare
AOK möchte Vor-Ort-Privat-Patienten haben ?
von Alfons Neumann am 29.10.2019 um 2:38 Uhr
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Kundenzeitschrift
von Brunsmann am 28.10.2019 um 18:53 Uhr
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