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Im baden-württembergischen Spiegelberg hat jetzt die erste „Ohne-Arzt-Praxis“ Deutschlands eröffnet. Das vom Bundeslandwirtschaftsministerium geförderte Projekt werde Schule machen, sind sich die Verantwortlichen sicher. Und auch ein E-Rezept hat man in Petto.
„Praxis ohne Arzt“ – in vielen ländlichen Gegenden ist das leider gar nicht so ungewöhnlich. Immer weniger Mediziner arbeiten als „Landarzt“, immer mehr ehemalige Praxisräume stehen spätestens dann leer, wenn der Arzt im Ort in den Ruhestand geht.
So war es auch im baden-württembergischen 2000-Einwohner-Ort Spiegelberg im Rems-Murr-Kreis, gelegen an der „Idyllischen Straße“. „2013 hat der Allgemeinmediziner hier seine Praxis aufgegeben“, sagt Uwe Bossert, Bürgermeister der Gemeinde mit zwölf Dörfern. Im gleichen Jahr habe die Apotheke geschlossen. „Und das, obwohl wir es noch geschafft haben, für zwei Jahre einen Mediziner zumindest in einer Nebenstellenregelung in die Praxis zu holen“, sagt Bossert. 2015 sei es aber auch damit vorbei gewesen. Seitdem habe man keinen Allgemeinmediziner mehr im Ort gehabt, sagt der Bürgermeister.
Eine ganze Weile habe er mit vielen Mitteln dafür gekämpft, wieder eine medizinische Versorgung vor Ort zu haben. „Arzt, Apotheke, Einzelhändler, das sind alles Dinge, um die man sich heutzutage als Bürgermeister auf dem Land auch noch kümmern muss“, sagt er. Seine Bemühungen um einen Arzt in der Gemeinde haben aber jetzt Früchte getragen.
Seit vergangener Woche befindet sich in Spiegelberg Deutschlands erste „Ohne Arzt Praxis“. So nennt der Anbieter TeleMedicon aus Heidelberg sein „Ländliches Fernbehandlungs- und Diagnostikzentrum“. In der ehemaligen Praxis wurde dies nun eingerichtet – und ist eigentlich nicht wirklich „ohne Arzt“.
Forschungsprojekt auf zwei Jahre angelegt
Der Mediziner ist in diesem Fall der Arzt Jens Steinat im rund zehn Kilometer entfernten Oppenweiler. Als Forschungsprojekt läuft die Praxis zunächst, die kommenden zwei Jahre wissenschaftlich begleitet und evaluiert und unterstützt von der Gemeinde Spiegelberg, die die Räume zur Verfügung stellt.
Steinat selbst will sich nicht mehr zu dem Thema äußern. „Mein ärztliches Engagement hat von meiner Seite aus ungewollt zu einem für mich nicht zu erwartendem medialen Interesse geführt. Ich möchte mich nun gerne ausschließlich meiner ärztlichen Arbeit widmen“, antwortet er schriftlich auf DAZ online-Anfrage. In seiner Internet-Präsenz erklärt er, dass es sich bei der Tele-Praxis in Spiegelberg nicht um eine Zweigpraxis von ihm handele und man den Betrieb starte, wenn alle rechtlichen Fragen geklärt seien. Er könne nur eingeschränkt ärztlich tätig werden aus berufsrechtlichen und kassenärztlichen Vorschriften heraus. Ferner werde er das Angebot auf die Projektzeit von zwei Jahren beschränken.
Tobias Gantner, Geschäftsführer von TeleMedicon, das zur PhilonMed GmbH gehört, und selbst Mediziner, hofft, dass dieses Engagement aber auch darüber hinaus anhält. „Das ist ein Pilotprojekt“, sagt er. In Zukunft werde man diese Telemedizin-Praxis sicherlich häufiger als Möglichkeit finden, die medizinische Versorgung auf dem Land sicherzustellen. Dabei sei das im Grunde kein ganz neues Konzept, was man verfolge. Nur die Technik sei mittlerweile viel weiter. In der ehemaligen DDR habe es ähnliche Praxen gegeben, in denen dann eine Schwester vor Ort war.
Medizinische Fachangestellte kümmert sich um alles, wofür kein Arzt notwendig ist
In Spiegelberg und bald auch in Zweiflingen im Hohelohekreis sind in der Praxis an bestimmten Tagen in der Woche medizinische Fachangestellte, die sich um all das kümmern, wofür nicht unbedingt ein Arzt benötigt wird. Blutdruckmessen, Blutzuckerwert bestimmen, Verbände wechseln und einiges mehr. Wo dann ein Arzt benötigt wird, schaltet sich dieser von seiner zehn Kilometer entfernten Praxis in Oppenweiler per Videoschalte dazu.
Unterstützt wird das durch modernste Telemedizinische Diagnosetechnik wie ein Stethoskop, das seine Signale an den Arzt fern überträgt, die Übermittlung von EKG-Daten und allem weiteren, was sich elektronisch und digital erfassen und übertragen lässt. Bislang gilt allerdings, dass der Arzt nur die Patienten fernbehandeln darf, die er bereits mindestens einmal persönlich gesehen und untersucht hat. Da aber ohnehin viele Spiegelberger bei ihm in Behandlung seien, sei das kein Problem, so Steinat.
Gantner: Facharzt sofort zuschalten
Gantner wiederum sieht für das Modell in Zukunft, dass mehrere Mediziner sich beteiligen und spezifisch zuschaltbar sind. „Dann könnte man auch etwa ohne Überweisung sofort einen Facharzt zuschalten, wenn ein bestimmtes Krankheitsbild gefunden wird“, sagt er.
Aktuell mache man keinen Gewinn mit dem Projekt. „Ich und meine Mitarbeiter stammen selbst vom Land und kennen einfach das Problem. Die „Ohne-Arzt-Praxis“ ist sicherlich eine Möglichkeit, die medizinische Versorgung auf dem Land sicherzustellen“, sagt er. Wenn alle Rahmenbedingungen für die Telemedizin künftig geregelt seien, könne er sich eine Art Franchise-Modell vorstellen.
Ein Problem das man gerade erst gelöst habe, sei das der Haftpflicht. Da die medizinischen Fachangestellten nicht bei einem Arzt, sondern beim Betreiber der Praxis, dem Unternehmen TeleMedicon beschäftigt seien, habe man noch klären müssen, wie eine Haftpflichtversicherung abgeschlossen werden sollte. „Das sind ganz neue rechtliche Umstände, die noch zu klären waren“, sagt er. Das sei nun aber behoben.
E-Rezept als funktionierende technische Möglichkeit
Was die technischen Möglichkeiten anbelangt, sei man allerdings bereits viel weiter. Neben den telemedizinischen Möglichkeiten habe man auch eine funktionierende Lösung zum Thema E-Rezept parat, sagt Gantner. „Das funktioniert ganz einfach etwa mit einem Smartphone. Es kann ja nicht sein, dass man in Zukunft Patienten aus der Ferne untersucht, die dann aber für das Rezept doch noch zum Arzt fahren müssen“, sagt er.
Man sei im Rahmen des Forschungsprojekts im Gespräch mit Apothekern aus der Umgebung, um auch diese Möglichkeit testweise auszuprobieren. Bürgermeister Bossert ist nun jedenfalls erleichtert, dass man zumindest für einige Tage ab demnächst gewissermaßen einen Allgemeinmediziner im Ort habe. Ähnlich denkt man wohl beim Bundesministerium für Landwirtschaft und Ernährung. Dieses fördert die beiden Projekte in Spiegelberg und Zweiflingen.
1 Kommentar
Telemedizin
von Roland Mückschel am 07.11.2019 um 10:33 Uhr
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