Nutzenbewertung

IQWiG sieht keinen Zusatznutzen für Xarelto-Antidot

06.12.2019, 15:14 Uhr

Bei intrakraniellen Blutungen wird Andexanet alfa derzeit im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie getestet. Davon erhofft man sich weitere Erkenntnisse. (Foto: SOPONE / stock.adobe.com)

Bei intrakraniellen Blutungen wird Andexanet alfa derzeit im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie getestet. Davon erhofft man sich weitere Erkenntnisse. (Foto: SOPONE / stock.adobe.com)


Im April hat die Europäische Kommission die Zulassung für Andexanet alfa erteilt, einem Antidot für die Faktor-Xa-Inhibitoren Rivaroxaban (Xarelto) und Apixaban (Eliquis). Es kann zum Einsatz kommen, wenn aufgrund lebensbedrohlicher oder nicht beherrschbarer Blutungen eine Aufhebung der Antikoagulation erforderlich ist. Das IQWiG sieht allerdings keinen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie.

Dabigatran (Pradaxa®), Rivaroxaban (Xarelto®), Edoxaban (Lixiana®) und Apixaban (Eliquis®) zählen zu den nicht-Vitamin-K-antagonistischen oralen Antikoagulanzien (NOAK), die auch als direkte orale Antikoagulanzien (DOAK) bezeichnet werden. Bis 2015 gab es kein spezifisches, zugelassenes Antidot, das man bei bedrohlichen Blutungen hätte einsetzen können. Für Dabigatran wurde 2015 schließlich das erste Antidot in Europa zugelassen: Idarucizumab. Für die anderen NOAK musste weiterhin im Notfall auf Gerinnungsfaktoren-Konzentrate zurückgegriffen werden, um die Gerinnung wiederherzustellen.

Zulassung unter Auflagen

Mittlerweile – seit April dieses Jahres – ist auch für Rivaroxaban und Apixaban ein spezifisches Antidot zugelassen: Andexanet alfa (Ondexxya™). Die Europäische Kommission hat die Zulassung allerdings nur unter Auflagen erteilt, weil die eingereichten Daten für eine normale Zulassung nicht ausreichten. Da Ondexxya™ aber nach Ansicht der EMA in der EU eine therapeutische Lücke („unmet medical needs“) füllt, konnte die EMA eine „bedingte“ Zulassungsempfehlung aussprechen. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Zulassung im Interesse der öffentlichen Gesundheit erfolgt, weil der Nutzen der sofortigen Verfügbarkeit des Arzneimittels das Risiko überwiegt, welches dadurch gegeben ist, dass noch nicht alle üblichen Daten verfügbar sind. Der Zulassungsinhaber ist aber verpflichtet, eine Reihe von Post-Autorisierungsstudien durchzuführen. So sollen sowohl Sicherheit als auch Wirksamkeit innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums weiter untersucht werden.

Nun hat sich das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) Andexanet alfa im Rahmen der frühen Nutzenbewertung vorgenommen und den Zusatznutzen von Andexanet alfa im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie bewertet. Die zweckmäßige Vergleichstherapie ist diesem Fall eine optimierte Standardtherapie der lebensbedrohlichen oder nicht beherrschbaren Blutungen, sie kann zum Beispiel Blutprodukte, Flüssigkeitssubstitution, Plasmaexpander oder Prothrombinkonzentrate umfassen.

Was bemängelt das IQWiG?

Dabei kommt das IQWiG zu dem Schluss, dass die derzeit verfügbaren Daten nicht geeignet sind, um einen Zusatznutzen von Andexanet alfa gegenüber einer optimierten Standardtherapie zu belegen. Eine direkte Vergleichsstudie gibt es nicht und die vom Hersteller zum Vergleich herangezogenen 18 prospektiven und retrospektiven Beobachtungsstudien eignen sich nach Ansicht des IQWiG nicht. Allerdings verweist das IQWiG auf eine in diesem Jahr gestartete Studie, die zu den Auflagen der EMA zur bedingten Zulassung gehört. Sie soll eine Behandlung mit Andexanet alfa mit der derzeit üblichen Standardversorgung vergleichen bei Patienten, die mit einen direkten FXa-Inhibitor behandelt werden und intrakranielle Blutungen erleiden. 2023 wird sie voraussichtlich abgeschlossen sein. 

Somit lautet das Fazit, dass ein Zusatznutzen für Andexanet alfa derzeit nicht belegt ist. Die Einschätzung des IQWiG stimmt damit nicht mit der Einschätzung des Herstellers überein, der einen Hinweis auf einen nicht quantifizierbaren Zusatznutzen ableitet. Die abschließende Bewertung des Zusatznutzens obliegt dem Gemeinsamen Bundesausschuss. Die Bewertung des IQWiG fließt in seinen Beschluss mit ein.

So wirkt Andexanet alfa 

Andexanet alfa ist eine rekombinante Form des humanen FXa Proteins. Das Serin im aktiven Zentrum wurde durch Alanin ersetzt, somit fehlt ihm die enzymatische Aktivität von FXa. Ferner wurde die γ-Carboxyglutaminsäure (Gla)-Domäne entfernt. Auf diese Weise wurden dem Protein sämtliche antikoagulatorische Wirkungen entzogen. Andexanet alfa kann die Wirkung der FXa-Inhibitoren spezifisch inhibieren, sodass sie für die Entfaltung ihrer antikoagulatorischen Wirkungen nicht mehr zur Verfügung stehen. Man geht davon aus, dass der primäre Wirkmechanismus in der Bindung des FXa-Inhibitors besteht. Unter Umständen spielt auch die Hemmung der Aktivität des Gewebefaktor-Pathway-Inhibitors (tissue factor pathway inhibitor, TFPI) über die Bindung an den TFPI einen eine kleine Rolle bei der Gesamtwirkung. Das Zusammenspiel ist aber noch nicht vollständig erforscht.



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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