Wirbel um Umsatzsteuer auf Herstellerabschlag

Krankenkassen fordern Verzichtserklärungen von Apotheken

Süsel - 11.12.2019, 10:15 Uhr

Einige Krankenkassen, darunter auch AOKen, fordern die Apotheken in ihren Schreiben auf, auf die Einrede der Verjährung zur Umsatzsteuer zu verzichten und bei ihren Finanzämtern Einspruch gegen Umsatzsteuerbescheide einzulegen. (s / Foto: imago images / Steinach)

Einige Krankenkassen, darunter auch AOKen, fordern die Apotheken in ihren Schreiben auf, auf die Einrede der Verjährung zur Umsatzsteuer zu verzichten und bei ihren Finanzämtern Einspruch gegen Umsatzsteuerbescheide einzulegen. (s / Foto: imago images / Steinach)


Viele Apotheken erhalten in diesen Tagen Post von Krankenkassen, die sie zur Mitwirkung in einer steuerlichen Angelegenheit auffordern. Die Einschätzungen der steuerlichen Sachlage sind widersprüchlich. Die Empfehlungen von verschiedenen Seiten unterscheiden sich. Zudem kann die Situation davon abhängen, inwieweit die Umsatzsteuerbescheide der jeweiligen Apotheke noch änderbar sind. Die kurzen Fristen vor dem Jahresablauf sorgen für zusätzlichen Druck.

Die Krankenkassen fordern die Apotheken in ihren Schreiben auf, auf die Einrede der Verjährung zur Umsatzsteuer zu verzichten und bei ihren Finanzämtern Einspruch gegen Umsatzsteuerbescheide einzulegen. Die ersten Schreiben kamen bereits im November von der IKK gesund plus und der AOK Sachsen-Anhalt. Kürzlich wurden ähnliche Schreiben der AOK Niedersachsen und der AOK Hessen bekannt. Bei der AOK Niedersachsen geht es um das Jahr 2015, bei der AOK Hessen um die Jahre 2014 und 2015. Da die Verjährung droht, setzen die Krankenkassen sehr knappe Fristen, die noch in dieser Woche enden.

Umsatzsteuer auf Herstellerabschlag

Dabei geht es um mögliche Umsatzsteuererstattungsansprüche der Krankenkassen wegen der Herstellerabschläge. Die Krankenkassen gehen davon aus, dass sich die von ihnen zu zahlende Umsatzsteuer auf den Verkaufspreis der Arzneimittel abzüglich des gesetzlichen Apothekenabschlags bezieht. Bei der Erstattung des Herstellerabschlags würde dagegen die Umsatzsteuer nicht berücksichtigt. Dahinter steht die Sichtweise, dass der Herstellerabschlag steuerlich als Entgelt eines Dritten betrachtet wird, das die Umsatzsteuer nicht mindert. Doch einzelne Urteile haben die Hoffnung der Krankenkassen genährt, dass sich diese Sicht ändern könnte.

Urteile motivieren Krankenkassen

So entschied der Europäische Gerichtshof im Dezember 2017, dass der Pharmahersteller Boehringer Ingelheim die steuerliche Bemessungsgrundlage seiner Lieferung an den Großhandel um den Herstellerrabatt mindern durfte, den Boehringer Ingelheim einer privaten Krankenversicherung gewährt hatte. Außerdem entschied das Finanzgericht Münster im März 2018 zugunsten einer Krankenkasse, dass beim innergemeinschaftlichen Erwerb von einer ausländischen Versandapotheke der Herstellerabschlag nicht in die umsatzsteuerliche Bemessungsgrundlage eingehen müsse. Allerdings stellt sich die Frage, ob dieses erstinstanzliche Urteil vor dem Bundesfinanzhof Bestand haben wird. Außerdem betrifft es einen grenzübergreifenden Sachverhalt. Damit ist zu fragen, ob diese Entscheidung in einem weiteren Verfahren auf Vorgänge im Inland übertragen wird. Dies ist nicht vorhersehbar, aber offenbar wollen einige Krankenkassen diesen Klageweg beschreiten.

Werden die Krankenkassen überhaupt belastet?

Verschiedene Beobachter schätzen die Aussichten der Krankenkassen unterschiedlich ein. Eine Position ist, dass der Herstellerabschlag als Entgelt eines Dritten die Umsatzsteuer nicht mindern dürfte. Doch hat die Steuerberatung Treuhand Hannover am Dienstag ein Informationsschreiben herausgegeben, das zu einem ganz anderen Ergebnis führt. Dabei verweist die Treuhand Hannover auf ein Schreiben der Oberfinanzdirektion Karlsruhe vom 13. August 2019 zu genau dieser Fragestellung. Demnach gehe die Forderung der Krankenkassen fehl, weil die Krankenkassen die Umsatzsteuer auf den Herstellerabschlag schon jetzt nicht tragen und damit gar nicht belastet würden. Die Entlastung finde bereits auf der Herstellerebene statt. Eine weitere Minderung an anderer Stelle sei daher nicht systemkonform. Dies unterscheide sich von der Vorgehensweise bei Auslandsbeteiligung, um die es im Fall beim Finanzgericht Münster ging.

Aufforderungen an Apotheken

Doch einige Krankenkassen sind offenbar entschlossen, das Thema voranzutreiben. Dabei wollen sie sich auf den Fall vorbereiten, dass ihre Klagen erfolgreich ausgehen. Mit den jüngsten Schreiben an die Apotheken wollen sie erreichen, im Erfolgsfall für einen möglichst langen Zeitraum die Umsatzsteuer rückwirkend erstattet zu bekommen. Sie befürchten, dass ihre Ansprüche verjähren. Die Krankenkassen wollen die Apotheken dazu bewegen, auf die Einrede der Verjährung für 2015 und teilweise auch für 2014 zu verzichten. Die Apotheken sollen sich außerdem verpflichten zu verhindern, dass die Umsatzsteuerbescheide unanfechtbar werden. Die Idee dahinter ist, dass die Apotheken die nachträglich an die Krankenkassen zu erstattende Umsatzsteuer wiederum beim Finanzamt geltend machen können, indem sie die Umsatzsteuerbescheide ändern lassen, sofern die Krankenkassen ein für sie günstiges Urteil erwirken. Letztlich sollen also nicht die Apotheken, sondern die Finanzämter belastet werden.

Unterschreiben oder nicht?

Doch wie sollen sich die Apotheker verhalten? Die Reaktionen von Apothekerverbänden und Steuerberatern lassen kein klares Ergebnis erkennen. Verschiedene Steuerberater äußern sich unterschiedlich. Eine Position ist, dass gegen solche Umsatzsteuerbescheide keine Einsprüche eingelegt werden könnten. Möglich seien nur Anträge auf Änderung, wenn sich die Bemessungsgrundlage ändert, falls ein Urteil zugunsten der Krankenkassen ergeht.

Die Treuhand Hannover reagiert dagegen wesentlich entspannter. Sie merkt in ihrem Schreiben vom Dienstag an, „dass mit der Unterzeichnung der Verzichtserklärung nicht unmittelbar eine Verpflichtung begründet wird“. Doch eine Verzichtserklärung wende zunächst eine fristwahrende Klage der Krankenkassen ab. Weiter erklärt die Treuhand Hannover: „Bei Erklärung des Verzichts bietet es sich an, die Erklärung auf die änderbaren Steuerfestsetzungen 2015 zu beschränken“. In Zweifelsfällen solle ein Rechtsanwalt konsultiert werden. Eine Wirkung entfalte die Erklärung nur, „wenn die Krankenkassen einen Anspruch aus der Änderung der Steuerfestsetzung geltend machen können“. Aus den weiteren Ausführungen ergibt sich dann indirekt, dass die Treuhand Hannover dies eher nicht erwartet (siehe oben).

Individuelle Unterschiede

Neben diesen grundsätzlichen Empfehlungen sind offenbar auch individuelle Unterschiede zu beachten. So kursiert auch der Ratschlag zu prüfen, ob der Anspruch der Krankenkasse gegen die Apotheke für den betreffenden Zeitraum möglicherweise schon jetzt verjährt ist und ob der Umsatzsteuerbescheid derzeit überhaupt noch änderbar ist. Dies kann individuell unterschiedlich sein. Wenn beispielsweise eine Betriebsprüfung für den betreffenden Zeitraum abgeschlossen wurde, dürfte der Bescheid unanfechtbar sein.

Mögliche Klagen gegen Apotheken

Natürlich stellt sich auch die Frage, was geschieht, wenn eine Apotheke keine Verzichtserklärung abgibt. Für diesen Fall heißt es beispielsweise in einem Schreiben der AOK Hessen, die Krankenkasse behalte sich die „Prüfung weiterer Maßnahmen zur Verjährungshemmung“ vor, „insbesondere Klageerhebung“. Bisher ist nicht bekannt, ob irgendeine Krankenkasse in dieser Angelegenheit bereits eine Klage erhoben hat. 

Für den ungünstigsten Fall fürchten einige Beobachter, dass bei einer solchen Klage ein Anspruch gegen eine Apotheke entstehen könnte, wenn der Umsatzsteuerbescheid für den fraglichen Zeitraum nicht mehr änderbar ist. Dann bestünde die Gefahr, dass die Apotheke auf dem Schaden sitzenbliebe. So ergibt sich eine äußerst komplexe Entscheidungssituation.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Unfähige Regierung

von ratatosk am 11.12.2019 um 18:51 Uhr

Solcher Unsinn entsteht nur dadurch, da unsere Regierung nicht mehr in der Lage ist, ein Gesetz korrekt zu erlassen. Es kommt immer wieder zu dramatischen Unsetzungsproblemen durch diese Unfähigkeit. Die Kassen können entspannt sein, da sie immer gewinnen und die Politik immer die innländischen Apotheken betrügt, indem sie diese im Zweifelsfall auf dem Schaden sitzen läßt. In D könnte nur noch eine Regierung aus Fachleuten statt dieser Laiendarstellertruppe eine Wende bringen, da es ja in allen Bereichen so groteske Probleme gibt, nur die Namen der Gesetzte werde blumiger und schäbiger !

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"begrenzte" MWSt

von Dr. Dietmar Roth, Rottenburg am 11.12.2019 um 17:32 Uhr

Beim innergemeinschaftlichen Arzneimittel-Erwerb von ausländischen Versandhändlern durch die Versicherungen fliesst gar keine MWSt. Deshalb gibt es da auch nichts zu berücksichtigen. Der deutsche Fiskus geht bei dieser Geschäftsform leer aus. Habe ich das so richtig verstanden?

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!

von Anita Peter am 11.12.2019 um 10:43 Uhr

Alle Aussenstehende mit ein wenig BWL Kenntnissen, können nur staunen und den Kopf schütteln.
Wir machen bei Zuzahlungen und HSA konsteloses (!!) Inkasso für die GKV. Und haben aber bei Zahlunsausfall ( zB. Axios oder Kunde zahlt Zuzahlung nicht ) das komplette Haftungsrisiko(!!).
Welches Inkassobüro kauft Forderungen zu 100% der Forderungssumme ab?
Wie lange wollen wir uns noch auf der Nase rumtanzen lassen?
Gerne Inkasso für die GKV, aber dann wie im realen Leben auch. Durch das Risiko gibts einen 30% Abschlag auf die Forderungssumme.

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