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Estland
Apothekenketten organisieren Generalstreik wegen Apothekenreform
„Keine Wärme, sondern reine Geschäftstüchtigkeit“
Die estnische Tagespresse überschlägt sich förmlich mit Kritik an diesem neuerlichen Winkelzug. Die Zeitung „Eesti Päevaleht“ (EPL) schreibt, es sei kaum zu glauben, dass eine repräsentative Körperschaft wie das Riigikogu (Parlament) als Erfüllungsgehilfe für Großunternehmen angesehen werde. „Diese Art der energischen Demonstration von Geschäftsleuten ist eine böse, arrogante Erpressung, die nur den Kampf schwächt, aber hoffentlich die Augen derer öffnet, die noch nicht herausgefunden haben, welches Spiel da gespielt wird", heißt es dort. Die Tageszeitung „Õhtuleht“ stellt fest, dass die Maßnahme der Schließung von Apotheken im ganzen Land deutlich machte, was Apothekenketten bzw. deren Eigentümer wirklich von ihren Kunden halten. „Es gibt dort keine Wärme oder Kundenfreundlichkeit, sondern reine Geschäftstüchtigkeit, wenn auch hoffentlich nicht über jedermanns Leiche", pointiert die Tageszeitung.
Wasser auf die Mühlen der Politik
Ein Leitartikel in „Postimees“ äußert sich vorsichtiger und behauptet, die öffentliche Meinung zur Schließung von Apotheken sei nicht einheitlich. Dennoch räumt die Zeitung ein, dass das Verhalten der Ketten dem Engagement des Staates für die Trennung der Segmente Arzneimittelgroßhandel und Apotheken paradoxerweise nur noch mehr Nachdruck verleihe. Die drei großen Akteure im Apothekenmarkt vereinten eben eine sehr große Macht auf sich und der Missbrauch dieser Macht habe erhebliche Auswirkungen, was am Beispiel des Streiks deutlich geworden sei. Die „Geiselnahme des Apothekendienstes“ unterstreiche weiter, dass die Berufsethik des Apothekers ein wesentlicher Bestandteil des Apothekengeschäfts sei.
„Noch nie so etwas Zynisches gesehen“
Sozialminister Tanel Kiik sagte in einer Pressekonferenz, dass er in seiner gesamten politischen Laufbahn noch nie etwas so Zynisches gesehen habe. Es sei ein „sehr bedauerlicher Tag“. Für den Minister ist ein möglicher Rückgang der Apothekenzahl kein Argument gegen die Reform. „Heute haben wir 500 Apotheken“, rechnet Kiik vor. Wenn wir 1000 hätten, wäre der Markt dann doppelt so gut? Und wenn wir 4000 hätten acht Mal so gut?“ Er hält die Apothekenzahl für sich allein betrachtet nicht für einen ausreichenden Indikator, anhand dessen die ausreichende Verfügbarkeit von Arzneimitteln ermessen ließe. Sein Ministerium schätze, dass der tatsächliche Bedarf für die Größe Estlands bei 300 bis 400 Apotheken liege.
Der Sozialminister hat eigene Ideen
Kiik hat dem Vorsitzenden des Sozialausschusses des Parlaments seinerseits Vorschläge zur Verbesserung der Apothekenreform unterbreitet. Um die drohende Versorgungskrise zu abzuwenden, könnte er sich eine schrittweise Umsetzung der Reformteile im ganzen Land vorstellen. Hiernach könnten zunächst in den größeren Städten Estlands Tallinn, Tartu, Pärnu, Rakvere und Jõhvi ab April nächsten Jahres alle nicht konformen Filialapotheken geschlossen werden. Dort soll es ohnehin ein Überangebot an Apotheken gaben. Das Ministerium empfiehlt außerdem, die Besitzverpflichtung so zu ändern, dass ein Apothekeneigentum auf mehrere Apotheker aufgeteilt werden kann, wobei die Apotheker einen Anteil von mindestens achtzig Prozent halten müssen.
Wie sich der nächste Akt im estnischen „Apothekendrama“ gestalten wird, bleibt offen.
2 Kommentare
Ein echtes Lehrbeispiel
von ratatosk am 19.12.2019 um 18:32 Uhr
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Streik in Estland
von Roland Mückschel am 19.12.2019 um 18:01 Uhr
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