DAZ-Jahresrückblick

Die zehn lästigsten Lieferengpässe des Jahres

27.12.2019, 17:45 Uhr

Die massiven Lieferengpässe ließen Apotheker und Patienten oft ratlos zurück. (Foto: Nestor/stoc.adobe.com)

Die massiven Lieferengpässe ließen Apotheker und Patienten oft ratlos zurück. (Foto: Nestor/stoc.adobe.com)


Oxytocin, Ibuprofen, Valsartan und Venlafaxin

Platz 4: Oxytocin

Das Hormon Oxytocin hätte nach Meinung der Krankenhausapotheker sicher den Sprung auf das Siegertreppchen der lästigsten Lieferengpässe 2019 verdient. Im Kreißsaal ist es ein Notfallarzneimittel, da es zur Behandlung der peripartalen Blutung, einer lebensbedrohlichen Komplikation der Geburt und häufigste Ursache für den maternalen Tod, quasi unabdingbar ist. Anfang des Jahres befanden sich fast alle Präparate auf der Engpassliste des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM). Grund waren Lieferprobleme beim Marktführer Rotexmedica. Das Bundesgesundheitsministerium folgte der Bitte der Krankenhausapotheker, den Versorgungsmangel festzustellen. Unter anderem war es nun möglich, Chargen entsprechender Arzneimittel von Hexal freizugeben, die zuvor wegen des Fehlens einer aktuellen Packungsbeilage und der neu vorgeschriebenen Sicherheitsmerkmale nicht auf den Markt konnten. Kurze Zeit später wurde wieder Entwarnung gegeben [DAZ 21, S. 14].

Platz 3: Ibuprofen

Patienten erklären zu müssen, warum ein „Allerwelts-Arzneimittel“ wie Ibuprofen nicht lieferbar ist, bereitete Apothekern Kopfzerbrechen. Vor allem die Stärken 600 mg und 800 mg fehlten seit Jahresmitte gleich bei mehreren Herstellern . Retardtabletten entwickelten Goldstaub-Charakter. Doch auch der OTC-Blockbuster Dolormin wirkte nicht mehr schnell gegen Schmerzen: Der Engpass dauerte über mehrere Monate bis weit in den Herbst an. Wie kann es trotz mehrerer Produktionsstätten immer wieder zu Problemen bei Ibuprofen kommen? In diesem Jahr war das Wetter schuld. Viele kleine Wirkstoff-Produzenten haben ihre Anlagen durch die gestiegenen Umweltauflagen mittlerweile geschlossen und lassen in Großanlagen produzieren. Eine davon steht in den Vereinigten Staaten von Amerika, die besonders häufig von Hurrikans heimgesucht werden.

Platz 2: Valsartan

Von dem Nitrosamin-Skandal konnten sich Valsartan und seine Verwandten noch immer nicht erholen. Wir erinnern uns: Die Apothekerschaft erfuhr von den „krebserregenden Blutdrucksenkern“ zuerst aus der Laienpresse oder von aufgebrachten Patienten. Ab Sommer 2018 führten die Ver­unreinigungen N-Nitrosodimethylamin (NDMA) und Diethylnitrosamin (NDEA), die durch einen veränderten Herstellungsprozess hineingelangten, zu weltweiten Sartan-Rückrufen. Da der Hersteller TAD Pharma nicht beim chinesischen Hersteller Zhejiang Huahai Pharmaceutical produzierte, behielt er seine weiße Weste an und bediente den Markt mit seinen Präparaten Valsacor® und Valsacor comp.® über mehrere Monate fast im Alleingang (ca. 87 Prozent des Gesamtmarktvolumens). Ende April versiegte auch diese Quelle. Inzwischen sorgen Sartan-Verordnungen nicht mehr für Schweißausbrüche, denn auch einige andere Hersteller melden wieder grüne Haken. Doch nur nicht zu früh gefreut: Im Laufe der Zeit kamen nicht nur weitere Nitros­amine als Verunreinigungen hinzu, sondern auch art­fremde Arzneimittel (z. B. Ranitidin) – Rückrufe inklusive. Zum Weiterlesen: siehe nachfolgenden Artikel „Die Spitze des Eisbergs“.

Platz 1: Venlafaxin

Das Antidepressivum ist amtierender König im Dschungel der Liefereng­pässe, nicht zuletzt, weil auch die Aussicht auf das neue Jahr trübe ist. Seit Juli ist Venlafaxin in zahlreichen Stärken (37,5 mg, 75 mg, 150 mg) nicht lieferbar, in jeglicher Darreichungsform (schnellfreisetzende Tablette oder Retardform). Patienten telefonieren verzweifelt alle Apotheken im Umkreis ab, Arztpraxen erkundigen sich nach der Lieferfähigkeit, bevor sie ein Rezept ausstellen. Einzig Originalhersteller Pfizer hat sein Trevilor® noch vorrätig, doch müssen die Patienten die Mehrkosten im dreistelligen Bereich (beispielsweise bei Trevilor® retard 75 mg, 100 Retardkapseln: circa 150 Euro) aus eigener Tasche zahlen. Die Krankenkassen wollen dafür jedenfalls nicht pauschal aufkommen. Die Überbrückung mit Alternativen ist schwierig. Rein theoretisch soll Duloxetin Venlafaxin am ähnlichsten sein, beide Wirkstoffe gehören zur Klasse der Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren (SNRI), erklärte die Medizinabteilung bei Teva auf Nachfrage. Selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) fehlt ein Teil der Wirkung, Trizyklika haben mehr Nebenwirkungen. Oft haben die Patienten einen langen Leidensweg hinter sich, bis sie einen geeigneten Wirkstoff gefunden haben. Eine Umstellung birgt Risiken. Die Dosis von Venlafaxin sollte auf jeden Fall schrittweise reduziert werden, um Absetzerscheinungen zu vermeiden – eine äußerst deprimierende Situation, wenn die Schubladen leer sind …



Rika Rausch, Apothekerin
redaktion@daz.online


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3 Kommentare

Austauschmedikamente

von Fuss am 30.12.2019 um 14:28 Uhr

!0 mg Wirkstoff sagt noch nichts über seine Partikelgröße(Korngröße) aus.
Z.B 0,0004 mg Korngröße 20 % Wirksamkeit, aber
0,000004 mg Korngröße hat 90 % Wirksamkeit am Erfolgorgan. So hat es mir mal ein Sachverständiger erklärt. Daher ein Preisunterschied, weil es bei der noch kleineren Korngröße ein Patent ins Spiel kommt.
Meine Frage: bei den Generika wird auch dieser Aspekt diskutiert?

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Antidepressiva

von Bernd Jas am 28.12.2019 um 10:06 Uhr

Wir haben gestern nach Doxepin xy mg gesucht und sind nur bei einer Stärke und Packungsgröße von Aponal fündig geworden.
Mit dem Wissen und der Kenntnis um die Lieferengpässe angesichts der Absetzproblematik von Antidepressiva, bekommt man schon bei der Verordnung (hier die Arztpraxis) oder der Abgabe (hier die Apotheke) Depressionen.
Hier sind wir die als Deppen gehaltenen Sklaven, die, die Lösungen finden MÜSSEN.

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AW: Antidepressiva

von Patrick Mages am 29.12.2019 um 5:48 Uhr

Bei der Lösung der Problematik gilt es mit Kompetenz zu antworten. Natürlich legt uns die Politik strenge Fesseln an, sodass die Endverantwortung doch wieder beim Arzt liegt. Aber auch ich habe Therapieideen ausgesprochen, über die der Patient dann natürlich mit dem Arzt zu sprechen hat, sofern das Problem durch reine Logistik nicht zu lösen ist. Der Umstieg auf andere Wirkstoffe muss ja fast in Betracht gezogen werden, da nach hoher Dosierung innerhalb der Therapie ein völliges Ausbleiben einer Einnahme zu klinikbedürftigen Symptomen führt. Dass Lieferengpässe wiederum einen Einfluss auf die Therapiegestaltung haben ist jedoch ein Umstand sondergleichen und lässt selbst mich ohne Worte zurück.

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