Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz

Was bedeutet der neue Änderungsantrag für den Apothekenalltag?

11.02.2020, 10:15 Uhr

Dr. Thomas Müller-Bohn hat sich angesehen, wie sich die Änderungsvorschläge zum Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz auf den Alltag in der Apotheke auswirken könnten. (Foto: contrastwerkstatt / stock.adobe.com)

Dr. Thomas Müller-Bohn hat sich angesehen, wie sich die Änderungsvorschläge zum Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz auf den Alltag in der Apotheke auswirken könnten. (Foto: contrastwerkstatt / stock.adobe.com)


Apotheken sollen künftig auch Arzneimittel zu Preisen oberhalb des Festbetrags abgeben dürfen, wenn ein Rabattarzneimittel und seine Alternativen bis zum Festbetrag nicht verfügbar sind. So will es der jüngste Änderungsantrag zum Faire-Kassenwettbewerb-Gesetz (GKV-FKG). Dann würde auch kein Preisanker mehr greifen. Allerdings bleibt der Vorbehalt vertraglicher Detailregelungen. Ob damit eine gänzlich freie Auswahl unter den verfügbaren Arzneimitteln möglich wird, erscheint daher fraglich.

Die Lieferengpässe sind in der Politik angekommen und werden derzeit mit der Gesetzgebung zum GKV-FKG adressiert. Dabei geht es auch um die Auswahlmöglichkeiten der Apotheken bei Nichtverfügbarkeit von Rabattarzneimitteln. Der jüngste Änderungsantrag zum Gesetz, der in der vorigen Woche bekannt wurde, sieht dazu neue gesetzliche Vorgaben vor (siehe Meldung vom 6. 2. 2020). Damit würde eine erneute Änderung des Rahmenvertrags nötig. Was steht den Apotheken dabei bevor?

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Die 24-Stunden-Regel ist gestrichen

Keine 24-Stunden-Regel

In einer früheren Fassung des Änderungsantrags war geplant worden, dass die Apotheken 24 Stunden nach der Feststellung einer Nichtverfügbarkeit vom Rabattvertrag abweichen können sollten. Dies wäre gegenüber dem geltenden Rahmenvertrag ein massiver Rückschritt gewesen. Denn schon jetzt können sofort Ersatzpräparate ausgewählt werden, wenn ein Produkt nicht verfügbar ist. Dies ist derzeit gemäß Rahmenvertrag erfüllt, „wenn es innerhalb angemessener Zeit nicht beschafft werden kann“. Insofern war die Idee für die 24-Stunden-Regel unverständlich und hatte für massive Irritationen bei den Apothekern gesorgt. Doch dieser Plan ist im jüngsten Änderungsantrag nicht mehr enthalten. Statt der 24-Stunden-Frist heißt es im neuesten Änderungsvorschlag, bei Nichtverfügbarkeit seien die Apotheken „unmittelbar zur Abgabe eines lieferbaren wirkstoffgleichen Arzneimittels (…) berechtigt.“ In der Begründung findet sich dieselbe Definition der Nichtverfügbarkeit wie im geltenden Rahmenvertrag.

Krankenkassen sollen nötigenfalls Mehrkosten tragen

Statt einer neuen Erschwernis enthält der jüngste Plan zumindest eine bemerkenswerte Erleichterung für Patienten und Apotheken gegenüber der jetzigen Situation: Wenn ein Rabattarzneimittel und etwaige Alternativen zum Festbetrag nicht verfügbar sind, sollen auch Produkte mit höheren Preisen abgegeben werden können und die Krankenkassen sollen dann die Mehrkosten übernehmen. Demnach hat der Umgang mit Lieferengpässen bei der Politik nun einen so hohen Stellenwert, dass sogar die sonst nahezu unumstößlichen Festbeträge nicht mehr als Dogma betrachtet werden. Da sich der neue Absatz 4c zum § 129 SGB V allerdings nur auf Rabattarzneimittel bezieht, dürfte diese Neuerung jedoch nur für diese gelten, aber nicht für Wirkstoffe mit Festbetrag, aber ohne Rabattvertrag.

Kein Preisanker bei Nichtverfügbarkeit

Aus der geplanten Neuregelung lässt sich ableiten, dass dann erst recht ein Preisanker unterhalb des Festbetrags kein Hindernis für die Arzneimittelauswahl sein dürfte. Denn wenn ein Preisanker gelten würde, käme ein Überschreiten des höheren Festbetrags gar nicht in Frage. Im vorgeschlagenen Gesetzestext wird der Begriff „Preisanker“ nicht erwähnt. Doch in der Begründung zum jüngsten Änderungsantrag heißt es dazu:

„Ein „gesetzlicher Preisanker“ erscheint im Hinblick auf die bestehende Versorgungssituation nach dem Rahmenvertrag über die Arzneimittelversorgung nach § 129 Absatz 2 nicht zielführend. Damit ist im Einzelfall weiterhin die Abgabe eines teureren als des verordneten Arzneimittels zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung möglich.“

Demnach will der Gesetzgeber keinen „gesetzlichen“ Preisanker einführen, aber dieser Wortlaut schließt einen „vertraglichen“ Preisanker nicht aus. Dies alles darf nicht als generelle Abkehr vom Preisanker gedeutet werden. Denn es geht hier nur um die Nichtverfügbarkeit von Rabattarzneimitteln, nicht um andere Anwendungen des Preisankers. Die obige Begründung erkennt auch an, dass die Abweichung vom Preisanker keine Neuigkeit ist. Es solle „weiterhin“ die Abgabe eines teureren Arzneimittels möglich sein. Das bezieht sich vermutlich auf die Klarstellung des GKV-Spitzenverbandes vom Oktober 2019. Damals hatte der GKV-Spitzenverband in einem Brief erklärt, dass bei Lieferengpässen das nächstteurere Arzneimittel ohne Rücksprache mit dem Arzt, aber mit Dokumentation der Apotheke abgegeben werden darf (siehe Meldung vom 24. 10. 2019).

Rahmenvertrag muss angepasst und beachtet werden

Von einer Abfragekaskade wie im geltenden Rahmenvertrag ist im jüngsten Änderungsantrag keine Rede. Doch der geplante Gesetzestext bestimmt, „das Nähere“ sei im Rahmenvertrag „festzulegen“. Demnach müssten die Vertragspartner sich aufgrund der neuen gesetzlichen Grundlage auf neue vertragliche Gestaltungen verständigen. Auf Anfrage von DAZ.online erklärte der GKV-Spitzenverband zum jüngsten Änderungsantrag:

„Wenn die Änderungen im GKV-FKG so kommen, werden wir uns mit den Apothekern über die Ausgestaltung unterhalten und den Rahmenvertrag anpassen. Praktische Entfaltung können neue Maßnahmen natürlich erst entwickeln, wenn das Verfahren geklärt ist. Idealerweise gibt der Gesetzgeber dafür eine Frist mit, die die Abstimmungszeit zwischen Apotheken- und Kassenseite berücksichtigt; sofort mit Inkrafttreten des Gesetzes ist das sicherlich nicht machbar.“

Was bei den vertraglichen Vereinbarungen herauskommen wird, bleibt Spekulation. Doch ist der Wille des Gesetzgebers erkennbar, die Versorgung bei Lieferengpässen zu erleichtern. Demzufolge sollte eine Vereinfachung gegenüber der bisherigen Abfragekaskade zum jeweils nächstteureren Produkt erwartet werden. Die Stellungnahme des GKV-Spitzenverbandes zeigt außerdem, dass Unsicherheiten drohen, wenn das Gesetz wirksam wird, bevor der Rahmenvertrag angepasst werden kann.

Viele praxisrelevante Fälle weiterhin unbeachtet

Wenn die Vertragsverhandlungen für die Apotheker ungünstig ausgehen, könnten sich die künftigen Erleichterungen weitgehend auf die mögliche Überschreitung des Festbetrags beschränken. Dies betrifft eher wenige Fälle. Dagegen werden andere Problemkonstellationen des Alltags im jüngsten Änderungsantrag weiterhin überhaupt nicht adressiert. So ist beispielsweise keine Abweichung von den Regeln für die abzugebende Packungsgröße vorgesehen, wenn nur einzelne Packungsgrößen nicht verfügbar sind. Auch das Ausweichen auf andere Konzentrationen des Wirkstoffes wird nicht erwähnt. Für solche kreativen Ansätze ist das System weiterhin viel zu starr. In allen diesen Fällen werden weiterhin neue Rezepte erforderlich sein und diese Fälle werden auch künftig in den einschlägigen Statistiken nicht als Lieferschwierigkeiten erscheinen. Damit wird weiterhin schwer zu erkennen sein, wie häufig Lieferengpässe bei Rabattvertragsarzneimitteln sind.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Faire - Kassenwettbewerb - Gesetz was für eine Begriffsverwirrung!

von Heiko Barz am 12.02.2020 um 11:58 Uhr

Die Komplexität dieser „neuen Sichtweise“ bei der AM-Ausgabe speziell bei Versorgungsengpässen wird erst so richtig im letzten Absatz deutlich. Bei so vielen zwischen den Zeilen markant sichtbaren Fallstricken, die unmittelbar Regresse nach sich ziehen werden, sollten wir uns doch in Geduld üben, Endergebnisse abzuwarten.
Immer wieder müssen die KKassen bei deren „Besprechungen“ über AM-Versorgungssituationen mit den Apothekern verstärkt darauf hingewiesen werden, dass Alles zum Wohl ihrer Vertragspartner nämlich der Patienten geschieht, die unverzüglich zu versorgen sind.
Ich glaube, hier versuchen die KKassen ganz offensichtlich wiedermal die Horizonte für ihren Eigennutz zu verschieben.

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