Interpharm-Vorschau

Kann man das Mikrobiom „reparieren“?

Stuttgart - 24.02.2020, 13:00 Uhr

Weiß man genug über das Mikrobiom, dass man es gegebenenfalls „reparieren“ kann, so nach dem Motto: Mikrobiom gesund, Mensch gesund? ( r / Foto: Animaflora PicsStock/stock.adobe.com)

Weiß man genug über das Mikrobiom, dass man es gegebenenfalls „reparieren“ kann, so nach dem Motto: Mikrobiom gesund, Mensch gesund? ( r / Foto: Animaflora PicsStock/stock.adobe.com)


Das Mikrobiom spielt eine wesentliche Rolle für die Gesundheit, darüber ist man sich einig. Doch ist man bereits so weit, dass man bei bestimmten Erkrankungen Kausalzusammenhänge herstellen und die Probleme sogar gezielt beheben kann? Wir haben bei Professor Martin Smollich nachgefragt, der auf der Interpharm in Berlin einen Vortrag zum Thema „Krank durch Dysbiose – Gesund durch Probiotika? Ein Blick auf die Studienlage“ hält.

DAZ.online: Um das Mikrobiom hat sich gefühlt in den letzten Jahren ein wahrer Hype entwickelt. Mit allen möglichen Zipperlein und auch ernsthaften Erkrankungen wird es in Zusammenhang gebracht. Ist man schon so weit, dass man sagen kann, bei bestimmten Erkrankungen besteht ein Kausalzusammenhang zwischen einem gestörten Mikrobiom und dem Auftreten bestimmter Erkrankungen? Und wenn ja, welche sind das?

Smollich: Fakt ist, dass die Mikrobiota im menschlichen Darm eine maßgebliche Rolle für unsere Gesundheit spielt. Wie wir seit einigen Jahren zunehmend wissen, gilt dies nicht nur für die Darm-Gesundheit, sondern die Mikrobiota beeinflusst unser Immunsystem, unser zentrales Nervensystem und den gesamten Stoffwechsel. Wie Studien an Einwanderern in westliche Staaten zeigen, führen unsere Lebensbedingungen zu einer sogenannten „Verwestlichung“ der Mikrobiota mit reduzierter Diversität. Dies ist möglicherweise eine Ursache zahlreicher Wohlstandskrankheiten. Die Zusammenhänge sind für verschiedene Krankheiten unterschiedlich plausibel.

Am 13. und 14. März 2020 findet in Berlin die Interpharm statt. Ein Themenblock des wissenschaftlichen Kongresses befasst sich mit dem Thema „Geheimnisvolle Mitbewohner – Praxiswissen rund ums Mikrobiom“.

Das volle Programm und weitere Informationen finden Sie hier.

DAZ.online: Ist es nicht teilweise auch ein Henne/Ei-Problem? Zum Beispiel bei Übergewicht, wo es ja offensichtlich Veränderungen im Mikrobiom gibt. Ist hier die veränderte Bakterienbesiedlung ursächlich, oder kann es nicht auch sein, dass jahrelange Fehlernährung die Besiedlung verändert?

Smollich: Inzwischen gibt es durch den Mikrobiom-Hype praktisch kaum eine Erkrankung, für die nicht irgendeine Korrelation mit Mikrobiom-Veränderungen gezeigt wurde. Dabei ist fast immer unklar, ob es sich um eine Korrelation oder Kausalität handelt. Ebenfalls muss man dabei beachten, dass auch sehr viele Arzneimittel zu Mikrobiom-Veränderungen führen. So können die häufig bei Menschen mit Depressionen beschriebenen Mikrobiom-Muster nicht nur eine Folge der Depression sein, sondern vielleicht eher eine Folge der langfristig eingenommenen Antidepressiva.

Aus Tierversuchen und humanen Zwillingsstudien gibt es jedoch auch Daten, die zumindest bei einigen Krankheiten auf einen möglicherweise kausalen Zusammenhang hindeuten. Dies gilt beispielsweise für das metabolische Syndrom, Adipositas, chronisch-entzündliche Erkrankungen oder Multiple Sklerose.

„Anhand von Stuhlanalysen bestimmte Probiotika zu empfehlen, ist unseriös“

DAZ.online: Weiß man genug über das Mikrobiom, dass man es gegebenenfalls „reparieren“ kann, so nach dem Motto: Mikrobiom gesund, Mensch gesund? Und wenn ja, bei welchen Erkrankungen geht das?

Smollich: Aktuell wissen wir noch überhaupt nicht, wie ein „normales“ oder „gesundes“ Mikrobiom aussehen sollte. Insofern ist es auch unseriös, anhand von Stuhlanalysen bestimmte Probiotika zu empfehlen oder die Mikrobiota anderweitig vermeintlich gezielt modulieren zu wollen. Daneben gibt es den eher unspezifischen Ansatz, dass man die Mikrobiota von Gesunden im Rahmen des sogenannten Stuhltransfers auf Kranke überträgt, beispielsweise über Sonden oder Einläufe. Zur Zeit wird das zum Beispiel als Reservetherapie bei Clostridioides-difficile-Infektionen genutzt. Dieser Ansatz ist allerdings nicht nur für viele Patienten gewöhnungsbedürftig, sondern birgt auch erhebliche Risiken. Völlig unklar sind auch die mittelfristigen gesundheitlichen Konsequenzen und die Zusammensetzung eines optimalen „Spender-Stuhls“.

DAZ.online: Geht das auch weniger „eklig“?

Smollich: Weniger „eklig“ wäre es natürlich, die Mikrobiota durch Präbiotika, Probiota oder auch Postbiotika zu modulieren. Bei Letzteren handelt es sich um Metabolite der Darmbakterien, die für die physiologischen Wirkungen verantwortlich sind. Aber auch hier gilt: Wir wissen nicht, welcher Patient von welchem Supplement profitieren würde, da das Ansprechen hochindividuell ist und nicht vorhergesagt werden kann.

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DAZ.online: Gibt es auch Zusammenhänge mit der Arzneimitteltherapie?

Smollich: Hier gibt es ganz aktuelle Daten aus der Forschung. Zum einen wissen wir, dass nicht nur Antibiotika, sondern rund ein Drittel aller Medikamente die Mikrobiota modulieren und teilweise antibiotische Effekte haben. Das gilt beispielsweise auch für ansonsten unverdächtige Substanzklassen wie Betablocker, Analgetika oder Psychopharmaka. Möglicherweise werden unerwünschte Wirkungen durch die Mikrobiota vermittelt. Auch an der Tatsache, dass manche Patienten auf eine Arzneimitteltherapie ansprechen und andere nicht, könnte die Mikrobiota beteiligt sein. Besonders spannend ist es in der Onkologie, wo vor allem bei den neuen Checkpointinhibitoren Mikrobiota-Interaktionen untersucht werden, die über Response beziehungsweise Non-Response entscheiden könnten.

DAZ.online: Was erwartet die Kongressbesucher beim Vortrag auf der Interpharm?

Smollich: Im Rahmen des Vortrags werde ich den Fokus auf die anstehenden Innovationen legen. Das Mikrobiom stellt ein vollkommen neues Target für Arzneimittel und Nahrungsergänzungsmittel dar. Was erwartet uns an neuen Produkten, was sind die wissenschaftlichen Grundlagen dafür, und vor allem: Können diese Produkte halten, was sie versprechen?

Geheimnisvolle Mitbewohner – Praxiswissen rund ums Mikrobiom

Krank durch Dysbiose – Gesund durch Probiotika? Ein Blick auf die Studienlage

Professor Martin Smollich

Freitag 13. März 2020, 10:00 Uhr; Wissenschaftlicher Kongress Interpharm



Julia Borsch, Apothekerin, Chefredakteurin DAZ
jborsch@daz.online


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