- DAZ.online
- News
- Politik
- Ist Securpharm weitgehend...
Anfrage der Linksfraktion
Ist Securpharm weitgehend wirkungslos?
Seit dem 9. Februar 2019 ist in Deutschland das Fälschungsschutzsystem Securpharm aktiv. Zeitgleich sollten in der gesamten EU vergleichbare Systeme auf Basis der europäischen Fälschungsschutzrichtlinie umgesetzt werden. Ganz unumstritten war das Ganze nie: Viele EU-Staaten setzten es nicht mit der nötigen Disziplin um, in einigen Ländern ist es gar nicht aktiv. Und in den Apotheken entstand, auch angesichts technischer Störungen, die Frage: Wie viele Fälschungen hat Securpharm eigentlich schon aufgedeckt? Das wollte jetzt die Linksfraktion von der Bundesregierung wissen. Die Antwort: keine einzige. Außerdem sieht die Regierung keinen Grund, die Apotheker für ihren Mehraufwand durch Securpharm zu entschädigen.
Das EU-Fälschungsschutzssystem war vor dem 9. Februar 2019 in jahrelanger Arbeit von den Verbänden der Apotheker, Großhändler und Hersteller vorbereitet worden. Seitdem es aktiv ist, produzieren Hersteller nur noch Packungen mit individueller Seriennummer, einem Erstöffnungsschutz sowie einem eigenen Produktcode. Mit diesem Code kann jede Packung im System der legalen Lieferkette zurückverfolgt werden: Der Hersteller lädt den Produktcode in eine Datenbank, bei der Abgabe in der Apotheke müssen die Apotheker die Packung „ausscannen“, sodass das System die Packung offiziell als „korrekt abgegeben“ speichert. Illegal ins System eingebrachte Packungen sollen so sofort aufgespürt und entdeckt werden können. Securpharm-Angaben zufolge sind inzwischen mehr als eine Milliarde Packungen mit dem Schutzcode versehen worden, tagtäglich würden mehr sechs Millionen Packungen in Apotheken gescannt.
Doch das System war nie ganz unumstritten. Schon zu Beginn stellte DAZ.online in einer Recherche heraus, dass nur wenige EU-Staaten den Fälschungsschutz so rigide und pünktlich umgesetzt hatten wie die Bundesrepublik. In einigen Ländern startete das System als Modellprojekt. Großbritannien gab von vornherein an, dass sich ein Großteil der Apotheker wegen des EU-Austritts des Königreichs gar nicht beteilige. Und auch die Apotheker wiesen immer wieder auf den Mehraufwand hin, den sie durch die neuen Arbeitsabläufe unvergütet hinzubekommen haben – während die Mehrarbeit in den Niederlanden und Dänemark beispielsweise vergütet wird. Ein anderer Kritikpunkt: Italien und Griechenland sind derzeit noch gar nicht angeschlossen, weil es dort eigene Sicherheitssysteme gibt – obwohl aus beiden Ländern in der Vergangenheit immer wieder einzelne Fälschungen nach Deutschland kamen.
Mehr zum Thema
EU-Fälschungsschutz
Hollands und Dänemarks Apotheken können auf Kostenerstattung hoffen
BMG: Bisher keine Fälschungsfälle aufgedeckt
Mit einer ausführlichen Anfrage an die Bundesregierung hat die Linksfraktion nun ihren Finger in genau diese Wunden gelegt. Die Oppositionsfraktion wollte unter anderem wissen, wie viele Verdachtsfälle auf Fälschungen durch Securpharm inzwischen aufgedeckt wurden, wie viele davon durch technisch bedingte Fehalarme ausgelöst wurden und wie viele dieser Verdachtsfälle einen illegalen Vertriebsweg aufgedeckt haben. Die Antwort des Bundesgesundheitsministeriums dazu fällt knapp aus. In dem Papier, das DAZ.online exklusiv vorliegt, heißt es: „Nach Kenntnis der Bundesregierung wurden bisher für Arzneimittel keine Fälschungsfälle oder illegale Vertriebswege durch die Auslösung einer Alarmmeldung im nationalen Verifikationssystem aufgedeckt.“
BMG: Keine Notwendigkeit, Apotheker-Mehraufwände zu prüfen
Einige Male hat es in den vergangenen Monaten auch technische Probleme bei Securpharm gegeben. Die führten dann meist dazu, dass die Apotheker den Server nicht erreichen konnten, um die Packungen auszuscannen. Die Linksfraktion spricht auch Fehlalarme in ihrer Anfrage an. Dazu erklärt die Bundesregierung lediglich, dass die Überprüfung und Deaktivierung der Codes später durchgeführt werden soll, wenn die Probleme behoben seien.
Dann geht es um den Mehraufwand in Klinikapotheken. Die Linksfraktion fragt, ob die Klinikapotheken nicht auch ein anderes, „weniger fehleranfälliges“ System benutzen könnten – schließlich bestellten sie direkt bei den Herstellern. Laut BMG sind allerdings keine Ausnahmen für Kliniken vorgesehen. Die „warenbegleitende Datenlieferung sowie die Aggregation“ seien als technische Möglichkeiten identifiziert worden, mit denen die Prozesse in Klinikapotheken vereinfacht werden könnten.
Auch der Mehraufwand in den Vor-Ort-Apotheken ist Thema. Die Linke will zunächst wissen, wie hoch die Aufbaukosten des Fälschungsschutzsystems waren und wie groß die Belastung für die Apotheker(-verbände) war. Außerdem interessiert sie sich dafür, ob die Bundesregierung Kenntnis darüber hat, dass die Apotheker etwa durch Wartezeiten beim Scannen „weitere Belastungen“ haben und ob diese ausgeglichen werden sollten. Doch die Bundesregierung blockt hier klar ab. Einerseits liegen ihr keine Informationen zu „Kosten und Belastungen“ der Apotheker vor. Und dann heißt es wörtlich:
Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Verifizierung und Ausbuchung der abzugebenden Arzneimittelpackungen inzwischen als Routineprozess in den öffentlichen Apotheken etabliert ist und grundsätzlich funktioniert. Für eine genauere Erhebung der damit verbundenen Belastungen im Apothekenalltag sieht die Bundesregierung derzeit keine Notwendigkeit.“
Wäre Lunapharm verhinderbar gewesen?
Schließlich erkundigt sich die Linksfraktion auch nach dem Lunapharm-Skandal und will wissen, ob der Skandal durch Securpharm verhinderbar gewesen wäre. Das BMG antwortet, dass das System in der Lage sei, Verdachtsfälle aufzuzeigen, wenn die individuellen Erkennungsmerkmale oder die Umhüllung manipuliert wurden. Auf die Frage, ob derzeit Verbesserungen am Securpharm-System anvisiert sind, antwortet das BMG ausweichend: Das nationale Schutzsystem erfülle alle Anforderungen der dazu gehörigen EU-Richtlinie. Mögliche Änderungen an dieser Richtlinie und an den Delegierten Verordnungen würden durch die EU-Kommission initiiert.
Gabelmann (Linke) ist ernüchtert
Sylvia Gabelmann, Apothekerin und in der Linksfraktion für alle Arzneimittelthemen zuständig, zieht ein ernüchterndes Fazit nach der Lektüre der BMG-Antwort. Gabelmann wörtlich:
Das Securpharm-System, das deutsche Patientinnen und Patienten vor gefälschten Arzneimitteln schützen soll, ist offenbar weitgehend untauglich. Es deckt keine wirklichen Fälschungen auf, kostet aber viel Geld und löst eine riesige Anzahl an Fehlalarmen aus. Doch die Bundesregierung gibt sich weitgehend ahnungslos und gibt auf die relevanten Fragen keine erhellende Auskunft.
Täglich werden durch das System, das gefälschte Arzneimittellieferungen aufdecken soll, über 25.000 Fehlalarme ausgelöst. Im Durchschnitt ist somit jede Apotheke mindestens einmal pro Tag betroffen. Dabei wurde jedoch keine einzige wirkliche Fälschung aufgedeckt. Die Zahl der Verdachtsfälle, die auch ohne das System aufgedeckt wurden, hat sich im Jahr 1 nach Securpharm-Einführung nicht verändert - das teure System hatte darauf anscheinend keinerlei Auswirkung.
Ich kritisiere, dass dieses System anscheinend vor allem in den Apotheken eine zusätzliche Belastung und zusätzliche Kosten darstellt, aber die Patientinnen und Patienten offenbar nichts davon haben. Hier müsste also zumindest intensiv nachgebessert werden, doch die Bundesregierung will davon nichts wissen.
Ebenso kann oder will das Bundesgesundheitsministerium keinerlei Angaben zu den nicht unerheblichen Kosten für Securpharm machen. Diese Kosten muss am Ende wohl die Versichertengemeinschaft tragen, denn es ist auszugehen, dass die Ausgaben für Securpharm von den Arzneimittelherstellern bei der Festsetzung der Arzneimittelpreise eingerechnet werden. Die Bertelsmann-Tochter Arvato und die Telekom stehen allerdings als Nutznießer fest; ihnen beschert das System einen zusätzlichen fetten Auftrag.
Wer die Bevölkerung wirklich gut vor gefährlichen Fälschungen schützen will, muss vor allem für eine sichere und übersichtliche Handelskette sorgen. Wir brauchen weder viele Zwischenhändler noch Arzneimittelvermittler. Wir brauchen keine Parallelimporte und schon gar keine gesetzliche Förderung dafür. Wir brauchen keinen Versandhandel aus dem Ausland, wo die Lieferketten nicht mehr zu überwachen sind. Stattdessen brauchen wir klare gemeinwohlorientierte und unterfütterte Sicherstellungsaufträge für alle Stufen der Handelskette. Und nicht zuletzt muss eine funktionierende Überwachung her, die Verstöße zuverlässig ermitteln und ahnden kann. Ein guter Fälschungsschutz kann eine sichere Handelskette sinnvoll ergänzen. Securpharm tut das in seiner jetzigen Ausgestaltung offenbar nicht.“
Zur Erklärung: Der Betreibergesellschaft Securpharm zufolge ist das Unternehmen ACS PharmaProtect GmbH der Betreiber des Datenbanksystems für die pharmazeutische Industrie. ACS ist zuständig für die vertragliche und technische Anbindung pharmazeutischer Unternehmen, deren Produkte im deutschen Markt von der Fälschungsschutzrichtlinie betroffen sind. Technischer Dienstleister des Datenbanksystems ist Arvato Systems.
Betreiber des Apothekensystems ist die ABDA-Tochter NGDA (Netzgesellschaft Deutscher Apotheker). Die NGDA ist zuständig für die vertragliche und technische Anbindung der Arzneimittel-abgebenden Stellen. Technischer Dienstleister des Apothekensystems ist die Telekom.
14 Kommentare
Securpharm ist nicht wirkungslos !!
von ratatosk am 20.04.2020 um 15:13 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Tracking
von kk am 20.04.2020 um 10:43 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Securpharm
von Scarabäus am 19.04.2020 um 10:15 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten
AW: U-Boot
von Holger am 19.04.2020 um 15:56 Uhr
AW: Securpharm
von kk am 20.04.2020 um 13:33 Uhr
Securpharm
von Jörg Wilms am 18.04.2020 um 16:37 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
ja
von Karl Friedrich Müller am 18.04.2020 um 10:26 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Kosten-Nutzen
von Dr.Diefenbach am 18.04.2020 um 9:55 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Inkompetenz
von ratatosk am 17.04.2020 um 22:52 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
DANKE !
von Dr. Ralf Schabik am 17.04.2020 um 21:24 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Ist Securpharm eine zu entlohnende Leistung?
von Heiko Barz am 17.04.2020 um 20:14 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
Securefalse ... input is output
von Christian Timme am 17.04.2020 um 19:38 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 0 Antworten
BMG
von Roland Mückschel am 17.04.2020 um 15:13 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: BMG
von Anita Peter am 18.04.2020 um 6:29 Uhr
Das Kommentieren ist aktuell nicht möglich.