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In Bayern leidet das Apothekenpersonal sogar im Backoffice unter dem Joch der Masken. In Baden-Württemberg, in Niedersachsen und anderswo atmet man freier hinterm plexiglasgeschützten HV – ohne Maske. Warum ist das so? Es ist die Willkür und Macht der föderativen Struktur. Und es wird auch nach Corona keine Vereinheitlichung der Gesundheitssysteme in Europa geben, sagt unsere Kanzlerin. Wir fragen: Warum dürfen wir dann unser Arzneipreissystem nicht selber regeln? Und noch was Neues zur Händedesinfektion: 2 x 3 ml für 2 x 30 s heißt die neue Zauberformel, also viermal Happy-Birthday singen. Alles klar?
11. Mai 2020
„Vorrangiges Ziel der Zusammenarbeit ist es, die Vor-Ort-Apotheken zu stärken.“ Mein liebes Tagebuch, das klingt immer wieder gut. Wirklich. Was für ein wunderbares Ziel, da geht uns Apothekers doch jedesmal das Herz auf und lässt uns aufhorchen. Jetzt verkündet diesen Satz eine weitere Kooperation von Unternehmen, die sich das auf ihre Fahnen geschrieben haben: der Pharmahandel Phoenix, sein Dienstleister ADG, der eh zur Phoenixgruppe gehört, und das Apotheken-Rechenzentrum ARZ HaanAG. Wie schön nun, mein liebes Tagebuch, dass auch alle Phoenix-Apotheken auf eine gute Zusammenarbeit zur Stärkung der Vor-Ort-Apotheken hoffen können. Großhandel, Warenwirtschaft und Rechenzentrum in einem Team. Ähnlich oder leicht modifizierte Zusammenarbeiten mit dem Ziel der Vor-Ort-Apothekenstärkung kennen wir schon seit einiger Zeit, beispielsweise vom Zukunftspakt, bei dem die Großhandlungen Noweda und Pharma privat, der Automatenhersteller Apostore, das Medienhaus Burda und das Onlineportal Netdoktor sowie das Softwarehaus Pharmatechnik und der Digitaldienstleister apotheken.de zusammenarbeiten. Dann gibt es da auch noch die Pro AvO-Initiative, die auch die Apotheken vor Ort stärken wollen: Hier sitzen die Großhändler Gehe und Sanacorp in einem Boot, außerdem der Apothekendienstleister Noventi (mit dem Softwarehaus Awinta und dem Rechenzentrum VSA) sowie der Automatenhersteller BD Rowa und das Medienhaus Wort&Bild Verlag. Ganz frisch: Die Apothekenkooperation Avie ist nun auch bei Pro AvO dabei. Und es verdichten sich Hinweise, dass das Portal schon bald vorgestellt werden könnte. Na denn. Mein liebes Tagebuch, da sollte es nun in Deutschland wirklich keine Vor-Ort-Apotheke mehr geben, die nicht von irgendeinem Pakt, von einer Kooperation, von einer Initiative profitieren könnte. Da sollte eigentlich nichts mehr schiefgehen, die Digitalisierung und das E-Rezept können kommen. Und der drohende Versandhandel? Äh, welcher Versandhandel?
Händedesinfektion und die Mittel – wer bis vor Corona noch glaubte, dass man solche Mittel aus einem simplen Gemisch von Alkohol und Wasser erhält und sich dieses Gemisch dann mal eben kurz über die Hände schüttet, muss in Corona-Zeiten und für die Zeit post coronam dazu lernen. Spätestens als es uns Apothekers offiziell erlaubt wurde, im Rahmen der Corona-Pandemie Rezepturen für Händedesinfektionsmittel nach WHO oder Standardzulassungen herzustellen, wird es uns wieder gegenwärtig, dass es da doch das eine oder andere zu beachten gilt. Es gibt unterschiedliche Rezepturen, es gibt die Herstellung als Biozid und als Arzneimittel. Und dann sollten wir die Anwender auch noch aufklären über die richtige Anwendung, vor allem über die EWZ, also, die Einwirkzeit. Und da, so sagt das RKI, sollte bei der Anwendung der WHO-Rezepturen beachtet werden: Eine Händedesinfektion mit 3 ml für 30 s reicht nicht. Die neue Vorgabe läuft auf eine zweifache Anwendung hinaus: 2 x 3ml für 2 x 30 s. Mein liebes Tagebuch, oh Gott, das bedeutet: Viermal Happy Birthday singen!
12. Mai 2020
Die alte Erkenntnis, dass sich bei einem Missstand erst etwas bewegt, wenn man ihn am eigenen Leib verspürt, zeigt sich auch beim Thema Lieferengpässe. So machte es die Corona-Krise deutlicher denn je: Bei der Herstellung wichtiger Arzneistoffe, bei der Produktion unserer Arzneimittel sind wir viel zu stark abhängig von asiatischen Ländern. Berufs- und Gesundheitspolitiker haben es schon seit langem gefordert: Die Produktion von wichtigen Arzneimitteln muss unbedingt zurück nach Europa geholt werden. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn will dieses Thema zu einem Schwerpunkt der deutschen EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020 machen. Endlich, mein liebes Tagebuch, die durch die Rabattverträge getriggerte Produktion von Arzneimitteln in Indien und China macht uns abhängig, zu abhängig. Kann sein, dass die Produktion in Europa, in Deutschland ein paar Cent teurer wird, aber das sollte uns eine sichere Versorgung wert sein. Unsere Krankenkassen werden das schlucken müssen.
13. Mai 2020
Interessant, was die Corona-Krise so zum Vorschein bringt. Bei einer Regierungsbefragung im Bundestag hat Bundeskanzlerin Angela Merkel zum Thema Gesundheitspolitik festgestellt, dass es auch nach der Corona-Krise keine Vereinheitlichung der Gesundheitssysteme in Europa geben soll. Ach, das hören wir doch gerne. Aber, mein liebes Tagebuch, wir wissen es besser: Dieses Dogma gilt nicht, sobald wirtschaftliche Aspekte mit ins Spiel kommen. Konkret, wenn es um die Preise von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln geht. Dann zählt nur eins: der gemeinsame Binnenmarkt. Und da soll wohl vereinheitlicht werden, was nur geht. Das Credo der EU-Kommission ist nach wie vor, dass sich EU-Versender laut EuGH-Urteil von 2016 nicht an die festen Rx-Preise in Deutschland halten müssen. Irgendwann, vielleicht schon in der nächsten Corona-Krise oder während einer anderen Viruswelle, wird man feststellen, dass man mit solchen Entscheidungen unser Gesundheitssystem ein Stück weit kaputt gemacht hat.
Gesundheitspolitik ist nicht Europa-Politik. Und Gesundheitspolitik ist bei uns auch nicht immer Bundespolitik, sondern bei vielen Entscheidungen Landespolitik. Aktuelles Beispiel ist die Maskenpflicht fürs Apothekenpersonal. Da fährt die bayerische Landesregierung einen knallharten Kurs: Trotz Plexiglasscheiben vor den HV-Tischen müssen die Apothekenmitarbeiter im Freistaat einen Mund-Nasen-Schutz tragen. Sogar im Backoffice! Mein liebes Tagebuch, wer so einen Schutz schon mal einen Tag lang tragen musste, weiß, was das bedeutet. Mit der Zeit wird das gute Stück immer feuchter, die Atmung fällt schwer und eine verständliche Beratung der Kunden ist mit den Dingern nicht möglich. Zwei Apothekerinnen und ein Apotheker machen sich mit einem offenen Brief an die Bayerische Landesapothekerkammer und an Ministerpräsident Markus Söder für eine Lockerung dieser Vorschriften stark. Die Kammer kann derzeit allerdings nur nachvollziehen, dass die Maskenpflicht im Backoffice nicht verhältnismäßig sei, in den anderen Punkten beruft sie sich auf die in Bayern geltenden Bestimmungen. Mein liebes Tagebuch, es ist eine der seltsamen Blüten unseres Föderalismus, dass die Viren- und Infektionsgefahr in Apotheken in Bayern anders beurteilt wird als in Baden-Württemberg oder Niedersachsen. Vielleicht sollten da doch mal rationale und vor allem wissenschaftlich begründbare Vorgaben für alle Bundesländer gelten.
14. Mai 2020
Corona macht’s möglich. Im Eiltempo ist es verabschiedet, das zweite Bevölkerungsschutzgesetz. Der öffentliche Gesundheitsdienst wird gestärkt und es wird mehr Testungen auf das Corona-Virus geben – auch symptomunabhängig soll getestet werden können. Pflegekräfte sollen einen Bonus erhalten und pflegende Angehörige besser unterstützt werden. Und besonders bemerkenswert: Das Bundesgesundheitsministerium zeigt ein Herz für Pharmaziestudierende. Das Ministerium folgt einer Forderung der ABDA, die sich für eine Flexibilisierung des Pharmaziestudiums in diesen Krisenzeiten stark gemacht hat. Flexibilisierung bedeutet, dass das Bundesgesundheitsministerium ermächtigt wird, abweichend von der Approbationsordnung für Apotheker Zeitpunkte und Anforderungen hinsichtlich der Prüfung in der praktischen Ausbildung und der Famulatur festzulegen und alternative Lehrformate vorzusehen. Mein liebes Tagebuch, das ist gut so. Mit einer Flexibilisierung der Ausbildungsvorgaben lassen sich die Corona-Jahrgänge gut zu Ende bringen.
15. Mai 2020
Wir erinnern uns: Im Zuge der Beratungen zum Patientendaten-Schutzgesetz hat sich der Bundesrat unlängst dafür stark gemacht, bei E-Rezepten das Zuweisungsverbot zu öffnen. Die Länder wollen dem Versorgungsalltag angepasste Ausnahmen zulassen. Was aus unserer Sicht der Vor-Ort-Apothekers natürlich ein No-Go ist. Zum einen lassen sich Besonderheiten des Versorgungsalltags meist auf einfache Weise lösen, ohne dass dafür das Zuweisungsverbot aufgeweicht werden muss. Beispielsweise kann man Versicherten, die ein E-Rezept nicht empfangen können, auch ein Papierrezept ausstellen. Der Bundesrat beharrt jedoch darauf, dass ein Versicherter beispielsweise dem Arzt eine schriftliche Einwilligung erteilen kann, in Ausnahmesituationen Rezepte an eine Stammapotheke zu übermitteln. Außerdem will der Bundesrat, dass der Versicherte ein Wahlrecht hat zwischen E- und Papierrezept, sonst ergäbe sich daraus ein Smartphone-Zwang. Na, mein liebes Tagebuch, es muss doch nicht unbedingt ein Wahlrecht sein. Gibt’s da nicht noch die Lösung, einen QR-Code auszudrucken für all diejenigen, die kein Smartphone haben? Selbst Gehe-Chef Peter Schreiner meldet sich zu Wort: „Die Patienten sollen zu jeder Zeit an jeder Stelle selbst entscheiden, in welcher Apotheke sie ihr E-Rezept einlösen wollen.“ Von einer Steuerung der Rezepte an Leistungserbringer hält er nichts. Und Schreiner warnt davor, dass Ausnahmen das Risikopotenzial bergen, am Ende zur Regel zu werden. So ist es, mein liebes Tagebuch. Hoffen wir, das sich die Bundesregierung von den Einwänden der Länderkammer nicht leiten lässt. Die Bundesregierung muss der Stellungnahme nicht folgen, das Gesetz ist nicht zustimmungspflichtig.
Langsam, ganz langsam wird’s ernst. Alle unsere Apotheken müssen bis 30. September 2020 an die Telematikinfrastruktur angeschlossen sein. Das ist notwendig, um dann auf elektronische Patientenakten, Medikationspläne und Verordnungen zugreifen zu können. Vier Dinge sind’s, die man zum Anschluss an die Datenautobahn braucht: Kartenlesegeräte, einen E-Health-Konnektor sowie elektronische Heilberufsausweise (HBA) und Institutionskarten (SMC-B). Die Karten kann man in einigen Regionen schon jetzt bei den Kammern beantragen. Was die Kosten für die gesamte digitale Aufrüstung betrifft, so haben sich mittlerweile der Deutsche Apothekerverband (DAV) und der GKV-Spitzenverband über die Erstattungsfragen geeinigt. Die neue Vereinbarung regelt laut der aktuellen Mitteilung der ABDA die Erstattung der Kosten, die dem Apothekeninhaber durch die Einführung und den Betrieb der TI entstehen. Die konkreten Pauschalen hat die ABDA noch nicht rausgelassen, auch nicht, wie man dann die Kosten abrechnen kann. Die Abwicklung der Kostenerstattung soll dann wohl über den Nacht- und Notdienstfonds des DAV erfolgen. Die Apotheken könnten schon mal die notwendige Hardware bestellen, meint die ABDA. Nun ja, gemach, gemach, sagen sich wohl rund 60 Prozent aller Apothekeninhaberinnen und -inhaber. Sie wissen ums Trostpflaster: Bei uns Apothekers sind keine Sanktionen vorgesehen, wenn wir nicht alle pünktlich am 1. Oktober 2020 auf die Datenautobahn fahren können.
25 Kommentare
Dr. Diefenbach
von Karl Friedrich Müller am 18.05.2020 um 8:32 Uhr
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Arbeitsschutz im Backoffice
von Bettina Burschil am 17.05.2020 um 16:32 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 12 Antworten
AW: Arbeitsschutz im Backoffice ... ist die Frage erlaubt ...
von Christian Timme am 17.05.2020 um 19:42 Uhr
AW: Arbeitsschmutz im Blackoffice
von Bernd jas am 17.05.2020 um 21:06 Uhr
AW: Arbeitsschutz im Backoffice
von Michael Reinhold am 17.05.2020 um 22:11 Uhr
AW: Arbeitsschmutz im Blackoffice
von Bernd Jas am 17.05.2020 um 22:43 Uhr
AW: Arbeitsschutz im Backoffice
von Michael Reinhold am 18.05.2020 um 0:47 Uhr
AW: Arbeitsschutz im Backoffice
von Anita Peter am 18.05.2020 um 6:24 Uhr
AW: Arbeitsschutz im Backoffice ...
von Christian Timme am 18.05.2020 um 7:00 Uhr
AW: Arbeitsschutz im Backoffice
von Karl Friedrich Müller am 18.05.2020 um 7:12 Uhr
AW: Arbeitsschutz im Backoffice
von Dr.Diefenbach am 18.05.2020 um 7:43 Uhr
AW: Arbeitsschutz im Backoffice... Hardliner LAK Bayern...
von Christian Timme am 18.05.2020 um 8:00 Uhr
AW: Keine Beleidigungen und kein Zynismus; sorry.
von Bernd Jas am 18.05.2020 um 8:55 Uhr
AW: Arbeitsschutz im Backoffice
von Michael Reinhold am 18.05.2020 um 16:11 Uhr
Aluhut
von Uwe Hüsgen am 17.05.2020 um 14:04 Uhr
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AW: Aluhut
von Thomas Beck am 17.05.2020 um 15:45 Uhr
AW: Aluhut ... vom VT zum VP (Verschwörungsprofi) ist ein langer Weg ...
von Christian Timme am 17.05.2020 um 19:04 Uhr
Aluhut
von Karl Friedrich Müller am 17.05.2020 um 11:40 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 2 Antworten
AW: Aluhut
von Karl Friedrich Müller am 17.05.2020 um 11:47 Uhr
AW: Aluhut und weitere Abschirmmaßnahmen
von Bernd Jas am 17.05.2020 um 13:45 Uhr
Ermessenssache oder Wie wir unseren Nasenring versteckten
von Bernd Jas am 17.05.2020 um 11:24 Uhr
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Ein Lied, zwei, drei, vier...
von Bermd Jas am 17.05.2020 um 9:26 Uhr
» Auf diesen Kommentar antworten | 1 Antwort
AW: Ein Lied, zwei, drei, vier ... knister ... knister ...
von Christian Timme am 17.05.2020 um 9:33 Uhr
Sehr geehrter Herr Ministerpräsident ...
von Christian Timme am 17.05.2020 um 9:24 Uhr
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