Sozialgericht Nordhausen

Null-Retax: Apotheke hat Anspruch auf ermessensfehlerfreie Kassen-Entscheidung

Berlin - 19.05.2020, 12:00 Uhr

Ein fehlendes „A“ auf dem BtM-Rezept, wo es eigentlich nötig wäre, kann nach wie vor zur Null-Retaxation führen. (Klaus Eppele / stock.adobe.com)

Ein fehlendes „A“ auf dem BtM-Rezept, wo es eigentlich nötig wäre, kann nach wie vor zur Null-Retaxation führen. (Klaus Eppele / stock.adobe.com)


... aber die Kasse kann im Einzelfall dennoch entscheiden, die Apotheke zu vergüten

Bleibt also der Hilfsantrag auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung – schließlich kann der Vergütungsanspruch der Apotheke auch entstehen, wenn die Krankenkasse im Einzelfall entscheidet, die Apotheke trotz eines Formfehlers ganz oder teilweise zu vergüten (§ 3 Abs. 1 Satz 2, 3. Spiegelstrich des Rahmenvertrags i.d.F. von 2016, jetzt geregelt in § 6 Absatz 1 c) Rahmenvertrag – Stand 1. Januar 2019). Diese Regelung des Rahmenvertrags erkläre zwar nicht ausdrücklich, in welcher Form und in welchen Fällen eine solche Einzelfallentscheidung zu erfolgen habe oder erfolgen könne. Doch das Gericht legt die Regelung nach ihrer Entstehungsgeschichte und ihrem Sinn und Zweck aus: Demnach hat eine Apotheke – zumindest auf entsprechenden Antrag – einen vertraglichen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Einzelfallentscheidung der Krankenkasse. Denn im Hinblick auf die bislang strenge Rechtsprechung der Sozialgerichte bis zum Jahr 2016 sollte diese Regelung im Rahmenvertrag nach dem Willen von DAV und GKV-Spitzenverband Krankenkassen die Möglichkeit eröffnen, im Einzelfall von einer Beanstandung abzusehen, obwohl sie dazu gemäß vertraglicher Vorgaben berechtigt wären.

Willkürliche Retax-Entscheidungen nicht gewollt

Würde man die Regelung anders verstehen, könnten Kassen ohne Überprüfungsmöglichkeit durch die Gerichte nahezu willkürlich entscheiden, ob sie von einer Retaxierung ganz oder teilweise Abstand nehmen. Das könne von den Vertragsparteien „kaum so gewollt gewesen sein“ und würde letztlich auch zu einem Leerlaufen und damit zu einer Sinnentfremdung der besagten Vorschrift führen, so das Gericht.

Im vorliegenden Fall sieht das Gericht einen „eindeutigen Ermessensfehler in Form eines sogenannten Ermessensnichtgebrauchs“. Zwar sei einzuräumen, dass kein unbedeutender formaler Fehler im Sinne des Rahmenvertrags vorgelegen habe, sondern ein bedeutender Verstoß gegen die Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung. Trotzdem: Damit sei das Ermessen der Kasse nicht auf Null reduziert gewesen. Der Verweis der Kasse, es handele sich nicht um einen unbedeutenden, die Arzneimittelsicherheit und die Wirtschaftlichkeit der Versorgung nicht wesentlich tangierenden Formfehler, reicht damit nicht.

Wenn die Kasse nun die geforderte Ermessensentscheidung treffe, muss sie laut Gericht jedenfalls berücksichtigen, dass die betroffene Patientin seit 2013 durchgängig – nach dem eindeutig bestätigten Willen der verordnenden Ärztin unter Überschreitung der Höchstmenge mit Palexia® – versorgt werden sollte und durch die Klägerin auch versorgt worden ist. Das gleiche gelte für den Umstand, dass trotz pflichtwidriger Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt hinsichtlich des „A“ der Kasse kein wirtschaftlicher Schaden entstanden ist und keine unsachgemäße oder falsche Behandlung der Patientin erfolgte.

Nun bleibt abzuwarten, wie die erneute Entscheidung der Kasse für die Apothekerin ausgeht. 

Urteil des Sozialgerichts Nordhausen vom 25. Februar 2020, Az.: S 6 KR 251/18



Kirsten Sucker-Sket (ks), Redakteurin Hauptstadtbüro
ksucker@daz.online


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4 Kommentare

Das A

von Sven Larisch am 25.05.2020 um 7:43 Uhr

Schön wenn Ärzte, die BTM verordnen das "A" einfach mit drauf drucken. Hiermit zeigen Sie auch die Überflüssigkeit, da ich z.B. als Apotheke nicht sehen kann, ob ein Patient innerhalb von 30 Tagen die Höchstmenge überschritten hat, außer er hat eine Kundenkarte. Woher soll ich als Apotheke also wissen ob nicht schon eine weitere Packung mit dem gleichen Wirkstoff verordnet wurde und statt bei mir bei einer anderen Apotheke eingereicht wurde? Berücksichtigt das die Krankenkasse? Es gibt noch ein paar dieser und ähnlicher Fragen, aber die spare ich mir.
Und ja- wir als Apotheker sind verpflichtet zu Prüfen. Verordnungsfehler des Arztes, der oft keine Ahnung ha, wie er seine ifab-Liste(Lauer-Taxe) richtig nutzen kann. Diese zeigt nämlich auch schon(bei Aktualisierung) Preise, AV oder nicht und Vertragspartner.

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A

von Dr. Schweikert-Wehner am 19.05.2020 um 14:23 Uhr

Ist eine Abgabe einer größeren Menge als dsie in der BTMVV steht ohne A nicht ein Verstoß gegen das BTMG, mit eventuellen Folgen?

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Retax

von Conny am 19.05.2020 um 12:13 Uhr

Telefonieren Sie mal Freitagsnachmittiags mit der geballten Inkompetenz einer Krankenkasse. AOK : Angestelle ohne Kompetenz

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Willkür oder Betrug?

von Thomas Eper am 19.05.2020 um 12:03 Uhr

Es ist schon eine Zumutung, wenn Apotheken die Versäumnisse der Ärzte bezahlen müssen.
Kein Arzt muss was zahlen, wenn ich die Rezepte fehlerhaft bedrucke. Umgekehrt scheint das problemlos zu funktionieren.
Dann sind wir noch der Willkür der Kassen schutzlos ausgeliefert.
Erschwerend kommt hinzu, dass laut Statistiken der LAV BW ca. 70 % der Retaxe nicht gerechtfertigt sind.
Eigentlich ein Skandal und ein unerträglicher Zustand.

Sieht jemand von unserer Standesvertretung und/oder Politik Handlungsbedarf?

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