Gilead beantragt EMA-Zulassung

Remdesivir bald in Europa?

Stuttgart - 09.06.2020, 13:30 Uhr

Nach Zulassungen in den USA und in Japan hat Gilead auch in Europa die Zulassung für Remdesivir bei COVID-19 beantragt. (m / Foto: felipecaparros / stock.adobe.com)

Nach Zulassungen in den USA und in Japan hat Gilead auch in Europa die Zulassung für Remdesivir bei COVID-19 beantragt. (m / Foto: felipecaparros / stock.adobe.com)


Gilead hat nun auch bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur EMA die Zulassung für Remdesivir eingereicht. Der RNA-Polymerasehemmer war das erste zugelassene Arzneimittel bei COVID-19, in den Vereinigten Staaten und Japan ist Remdesivir bereits seit Mai im Rahmen von Notfallgenehmigungen verfügbar. Allerdings: Die Datenlage von Remdesivir bei Coronapatienten ist nicht einheitlich.

Der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) liegt nun ein Zulassungsantrag für Remdesivir bei COVID-19 vor. Allerdings beschäftigt sich die EMA schon länger mit dem Virostatikum: Bereits am 30. April hatte der Ausschuss für Humanarzneimittel (CHMP) der EMA ein Rolling-Review-Verfahren, eine fortlaufende Überprüfung von Remdesivir zur Behandlung von COVID-19-Patienten, eingeleitet. Dieses war am 15. Mai abgeschlossen und ermöglicht jetzt eine rasche Bewertung des Virostatikums. 

Rolling Review

Das Rolling-Review-Verfahren (fortlaufende oder gleitende Überprüfung) ist ein Regulierungsinstrument, das die EMA nutzen kann, um ein vielversprechendes Arzneimittel während eines Notfalls im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie beispielsweise die aktuellen Pandemie, zu bewerten. Normalerweise müssen alle zulassungsrelevanten Arzneimitteldaten zu Beginn des Evaluationsverfahrens eingereicht werden. Bei einer gleitenden Überprüfung werden die CHMP-Berichterstatter ernannt, während die Entwicklung noch im Gange ist, und die Agentur überprüft die Daten, sobald sie verfügbar sind. Bei Remdesivir startete das Rolling-Review-Verfahren am 30. April 2020 und war der EMA zufolge am 15. Mai abgeschlossen.

Die EMA plant, Nutzen und Risiken von Remdesivir nun innerhalb eines verkürzten Zeitrahmens zu prüfen. Sie rechnet damit, „innerhalb weniger Wochen“ eine Stellungnahme abgeben zu können, liest man auf der Seite der obersten europäischen Arzneimittelbehörde, je nachdem, wie robust die eingereichten Daten seien und ob es weiterer Informationen für die Bewertung bedürfe. Trotz des verkürzten Prozesses betont die EMA, dass dennoch „eine solide Bewertung der verfügbaren Daten“ gewährleistet werde. Sollte nach Ansicht des CHMP der Nutzen von Remdesivir die Risiken der Behandlung überwiegen, wolle man „eng mit der Europäischen Kommission zusammenarbeiten, um den Entscheidungsprozess zu beschleunigen und die Erteilung einer in allen EU- und EWR-Mitgliedstaaten gültigen Zulassung durch die Europäische Kommission zu unterstützen“, so die EMA.

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Notfallgenehmigung für Remdesivir

Was die EMA nun als Vorteil betont – die beschleunigte Bewertung von Remdesivir – stößt nicht bei allen Heilberuflern auf Zustimmung. Erst in der vergangenen Woche äußerte sich Professor Wolf-Dieter Ludwig, Chef der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), skeptisch über das schnelle Vorgehen bei der Zulassung von Remdesivir. „Wir wissen noch viel zu wenig über die Nebenwirkungen“, sagte Ludwig gegenüber dem NDR. Seiner Ansicht nach ist es zu früh für eine Zulassung: „Das ist aus meinem Blickwinkel eine absolute Fehlentwicklung und wird nicht dazu führen, dass wir gut geprüfte, wirksame und sichere Arzneimittel gegen COVID-19 bekommen.“ Er hätte lieber die Ergebnisse größerer Studien abgewartet.

Remdesivir: Wirkt es oder nicht?

In der Tat ist die Datenlage zu Remdesivir nicht eindeutig. Basis für die EUA (Emergency Use Authorization) in den USA und das im Mai abgeschlossene Rolling-Review-Verfahren der EMA war eine Zwischenauswertung der NIAID-ACTT-Studie aus den Vereinigten Staaten. Remdesivir verkürzte dort die Krankheitsdauer und lieferte Hinweise auf eine Mortalitätssenkung. Hingegen: In einer doppelblinden, placebokontrollierten, multizentrischen Studie aus China mit 237 schwerkranken COVID-19-Patienten verbesserte intravenös verabreichtes Remdesivir im Vergleich zu Placebo weder die Zeit bis zur klinischen Besserung noch die Mortalität oder die Zeit bis zum Abklingen der Infektion signifikant.

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In die fortlaufende Überprüfung von Remdesivir flossen auch Daten des Remdesivir-Härtefallprogramms (Compassionate Use) ein. Denn auch wenn Remdesivir in Europa derzeit nicht zugelassen ist, besteht auch aktuell schon die Möglichkeit, dass COVID-19-Patienten das ursprünglich gegen Ebola entwickelte Präparat im Rahmen von Studien oder Härtefallprogrammen erhalten. Mitte Mai wurde das Compassionate-Use-Programm ausgeweitet, seitdem steht Remdesivir noch mehr Coronapatienten zur Verfügung.

Wie wirkt Remdesivir?

Remdesivir zählt zu den Virostatika. Der Arzneistoff hemmt die Vermehrung bestimmter Viren – unter anderem Ebola- und Coronaviren –, indem Remdesivir das für die Vermehrung erforderliche Enzym, die virale RNA-Polymerase, blockiert. In SARS-CoV-2 liegt die Erbinformation – anders als beim Menschen – in Form von Ribonukleinsäure (RNA) vor. Bei der RNA handelt es sich um eine lange Zucker-Phosphat-Kette, an die einzelne Nukleinbasen – nämlich Adenin, Cytosin, Guanin und Uracil – angeknüpft sind (siehe Abb.). Als Zuckerbaustein nutzt die RNA Ribose, daher auch der Name Ribonukleinsäure.

Will sich ein Virus vermehren, muss es zunächst seine Erbinformation für die Nachfolgegeneration verdoppeln, dabei hilft die viruseigene RNA-Polymerase. Sie nutzt die vorhandene RNA als Vorlage und knüpft eine neue Kette, wieder bestehend aus Zucker-Phosphat und daran angehängt Adenin, Cytosin, Guanin oder Uracil. Remdesivir ähnelt der Nukleinbase Adenin und wird so als „falscher“ Baustein in die neue RNA des „Virus-Nachkommens“ eingebaut. Die Folge: Die RNA- und folglich die Virus-Vermehrung ist gestört.

Verknüpfung der Nukleinbasen (C, G, A und U) über ein Zucker- (grau) und Phosphatrückgrat (türkis) zur RNA | Bild: Sponk 

Auch der Sicherheitsausschuss (PRAC) der EMA und der Ausschuss für Kinderarzneimittel (PDCO) beschäftigen sich mit Remdesivir. Der PRAC werde die Sicherheitsdaten für Remedesivir weiterhin zügig auswerten, um potenzielle Sicherheitsbedenken in Bezug auf das Medikament umgehend zu erkennen und zu beseitigen, heißt es seitens der EMA. Der PDCO gab bereits seine Stellungnahme zum pädiatrischen Prüfkonzept (PIP) von Gilead ab. Dort wird beschrieben, wie das Arzneimittel für die Anwendung bei Kindern entwickelt und untersucht werden sollte.



Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online (cel)
redaktion@daz.online


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