Reaktion auf Modellversuch der Apotheken

Ärzte fordern mehr Geld fürs Impfen

Süsel - 14.07.2020, 14:00 Uhr

Die Ärzte pochen auf eine bessere Vergütung beim Impfen. (c / Foto: RED Pixel / stock.adobe.com)

Die Ärzte pochen auf eine bessere Vergütung beim Impfen. (c / Foto: RED Pixel / stock.adobe.com)


Das vorgesehene Honorar der Apotheker für Grippeimpfungen beim Modellversuch in Nordrhein ist deutlich höher als die EBM-Abrechnungsziffer der Ärzte. Der Virchowbund Nordrhein sieht darin ein „fatales Signal der AOK an die Ärzteschaft“ und fordert mehr Geld für die Ärzte. Eine genauere ökonomische Betrachtung zeigt allerdings die deutlichen Unterschiede in den Honorierungssystemen. Daraufhin müssen Apotheken mit Vollkosten kalkulieren, während sich für Ärzte eine Teilkostenrechnung begründen lässt.

Der Apothekerverband Nordrhein hat mit der AOK Rheinland/Hamburg für das erste Modellvorhaben eine pauschale Vergütung von 12,61 Euro netto pro Impfung ausgehandelt. Hinzu kommt der Preis für den Impfstoff mit einem Zuschlag von 
1 Euro pro Dosis. Aus Apothekersicht erscheint dies knapp bemessen. In einem Gutachten für den Bundesverband Deutscher Apothekenkooperationen hatten Cosima Bauer, Anissa Schneider-Ziebe und Prof. Dr. Uwe May ein Pauschalhonorar von 15 Euro plus Mehrwertsteuer als angemessen ermittelt. Da die EBM-Ziffer der Ärzte deutlich niedriger liegt, hatten die Autoren bereits erläutert, warum diese nicht mit dem Honorar für Apotheken zu vergleichen sei. Denn Ärzte würden das Impfen an nicht-ärztliches Personal delegieren und neben der allgemeinen Versichertenpauschale abrechnen.

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Inzwischen melden sich die Ärzte zu Wort. Die Landesgruppe Nordrhein des Virchowbundes nennt die Honorarvereinbarung mit den Apothekern ein „fatales Signal der AOK an die Ärzteschaft“. Ihr Vorsitzender Dr. André Bergmann spricht von einem „Schlag ins Gesicht der niedergelassenen Ärzte“. Die Vergütung liege mit 12,61 Euro netto pro Impfung deutlich über jener für Ärzte. Bergmann erklärte dazu:


Die AOK Rheinland/Hamburg zeigt damit ganz klar, dass es mit ihrer Wertschätzung für die Hausärzte und grundversorgenden Fachärzte nicht weit her ist. Eine ärztlich durchgeführte Influenza-Impfung ist gerade einmal 7,71 Euro ‚wert‘. Das ist zu wenig, um in der Praxis kostendeckend zu arbeiten.“

Dr. André Bergmann


Ärzte fordern angemessene Bezahlung für Impfungen

Dass Ärzte im Gegensatz zu Apothekern zusätzlich noch die Versichertenpauschale abrechnen können, will Bergmann nicht als Gegenargument gelten lassen, heißt es in einer Mitteilung des Virchowbundes Nordrhein. Denn die Bezeichnung ,Pauschale‘ besage, dass darin eine ganze Bandbreite von Leistungen enthalten ist, die innerhalb eines Quartals anfallen. Bergmann folgerte: „In der Realität mache ich als Arzt eher noch ein Minusgeschäft. In Pandemie-Zeiten, wo die Grippeschutzimpfung so wichtig und sinnvoll ist wie noch nie zuvor, ist das ein Skandal.“

Zudem habe Bundesgesundheitsminister Jens Spahn die niedergelassenen Ärzte erst in der vergangenen Woche gebeten, Grippeimpfungen noch stärker auszuweiten. Eine so wichtige Leistung müsse von den Kassen dann auch angemessen bezahlt werden, folgerte Bergmann und forderte eine deutlich höhere Vergütung pro Impfung. Was für Apotheker gelte, müsse auch für Ärzte möglich sein, argumentierte Bergmann.

Keine neue Kritik an Apothekern

Nachdem verschiedene Ärztevertreter in den vorigen Monaten grundsätzliche Kritik an Impfungen durch Apotheker geäußert hatten, wendet sich Bergmann allerdings nicht gegen die Apotheker. Seine Adressaten sind Politik und Krankenkassen. Er fordert kein geringes Honorar für die Apotheker, sondern mehr Geld für die Ärzte.

Preis verweist auf Ärztehonorar für weitere Untersuchungen

Für die Apotheker erklärte Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Nordrhein, der den Vertrag mit der AOK Rheinland/Hamburg ausgehandelt hat, das Honorar von 12,61 Euro netto sei „sehr, sehr knapp bemessen“. Im DAZ.online-Interview verwies Preis dazu auch auf das Gutachten von Prof. May und Kolleginnen (siehe oben). Doch Preis erklärte: „Aber man muss sagen, dass mehr aktuell einfach nicht möglich war.“ Zum Vergleich mit dem ärztlichen Abrechnungsbetrag von 7,71 Euro bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein verwies Preis darauf, dass „in den Apotheken tatsächlich der Heilberufler impft“, während dies in den Arztpraxen durch das Assistenzpersonal durchgeführt werden könne. Außerdem könnten die Ärzte durch weitere Untersuchungen weiteres Honorar abrechnen. „Pro Patient kommen so in Summe durchschnittlich 30 bis 40 Euro zusammen“, argumentierte Preis.

Teilkostenrechnung für Ärzte

Doch bei einer weitergehenden ökonomischen Betrachtung lassen sich noch viel mehr Unterscheide finden. Denn die Honorierungssysteme der Ärzte und Apotheker unterscheiden sich grundlegend und die beiden Heilberufe stehen bei Impfungen vor ganz verschiedenen ökonomischen Auswahlsituationen. Die Ärzte erhalten eine Patientenpauschale, die sinnvollerweise die Fixkosten der Praxis decken und den Aufwand für die grundlegenden Kontakte abgelten sollte. Dann bräuchten konsequenterweise weitere Leistungen wie das Impfen nur noch mit den Teilkosten plus Gewinnzuschlag honoriert zu werden. Dabei ist auch zu bedenken, dass sich das Impfen in den normalen Arbeitsablauf der Praxen einfügt und dafür keine neuen Strukturen aufgebaut werden müssen. Möglicherweise muss die Kalkulation der Abrechnungsziffer aktualisiert werden, aber größere Fehlbeträge der Ärzte wären eher durch eine zu niedrige Patientenpauschale zu erklären. Wenn die Ärzte versuchen, dies über höhere Honorare für Einzelleistungen zu kompensieren, wäre dies eine verständliche Ausweichstrategie, die vor dem Hintergrund der Pandemie politisch klug erscheint. Doch nach der Logik des ärztlichen Vergütungssystems müsste eher die Pauschale erhöht werden.

Vollkostenrechnung für Apotheken

Die Apotheken haben beim Impfen höhere Kosten als die Ärzte, weil Apotheker selbst impfen, vorher eine Schulung nötig ist, ein spezieller Raum bereitstehen muss und eine komplett neue Organisation mit zusätzlichen Arbeitsabläufen aufgebaut werden muss. Außerdem erhalten Apotheken kein Pauschalhonorar pro Patient, sondern ihre Fixkosten, beispielsweise für Räume und Ausstattung, müssen auf jede einzelne Leistung umgelegt werden. Sie müssen daher stets Vollkosten und einen Gewinnzuschlag kalkulieren. Dies ist sowohl im Konzept als auch beim ermittelten Betrag der größte Unterschied in den Kostenrechnungen der Ärzte und Apotheken. Wenn die Apotheken nur Teilkosten kalkulieren würden, müsste die neue Leistung durch die Arzneimittelabgabe subventioniert werden. Damit würde von Anfang an jede Chance zerstört, dass neue Dienstleistungen jemals zu einer eigenständigen Säule der Apothekenhonorierung werden könnten.

Neue Aufgabe erfordert neue Anreize

Zusätzlich zu diesen Kalkulationen müssen die ökonomischen Anreize betrachtet werden. Für Ärzte gehört das Impfen seit jeher zum Alltagsgeschäft und niemand stellt dies in Frage. Apotheker müssen sich dagegen fragen, ob sie eine neue Aufgabe ohne Kontrahierungszwang überhaupt übernehmen wollen. Ohne kostendeckendes Honorar und ohne Aussicht auf einen gewissen Gewinn wäre das ökonomisch sinnlos. Eine neue Aufgabe mit einigen Hindernissen muss eine Ertragsaussicht bieten. Ob 12,61 Euro netto dafür reichen, bleibt noch zweifelhaft. Das Apothekenhonorar ist daher, wie Preis sagt „sehr, sehr knapp bemessen“. Dass die Ärzte ihrerseits Probleme mit ihrem Honorarsystem haben und die Neuigkeit bei den Apothekern politisch nutzen möchten, ist verständlich. Ökonomisch sind die Fälle aber ganz anders gelagert.



Dr. Thomas Müller-Bohn (tmb), Apotheker und Dipl.-Kaufmann
redaktion@daz.online


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1 Kommentar

Ziele fehlen

von Reinhard Rodiger am 15.07.2020 um 0:12 Uhr

Unklar ist, ob die niedrige Durchimpfungsrate auf zu geringe Honorierung der Ärzte zurückgeht oder auf fehlende Kundenakzeptanz. Unterstellt man letzteres, wäre gemeinsames Vorgehen angesagt.Das wurde durch einen Coup angesichts der Sehnsucht mancher Kreise ausgehebelt.

So bleibt statt fundierter Zielsetzung und sachgerechter Kostenanalyse nur ein Schlachtfeld und Debatte um eigentlich Irrelevantes.Das lenkt ab vom Ziel.

Das scheint die Durchsetzung des politischen Interesses zu sein, Gemeinwohlleistungen nicht oder nur minimal zu honorieren.

Es fehlt eine situationsgerechte Zielsetzung.Nur dann kann bewertetet werden, welche Welche Aktionsbreite und damit Kostenhöhe angestrebt wird.Das ist ein politisches Ziel und nicht durch Dritte ermittelbar.Das ist nicht die Aufgabe der Krankenkassen.

Die Politik bedient sich der klassischen Verdrängungsstrategie, den Kampf mit ungleichen Waffen auszustatten.Und „Wir“
Steigen voll auf der falschen Ebene ein, ohne die Bedingungen klar zu stellen.Die wichtigste ist die Zielfestsetzung.Nur dann ist gemeinsames Handeln möglich.Doch die Ziele fehlen,wahrscheinlich bewusst.



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