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Zwei große Gesprächsthemen gibt’s diese Woche. Thema #1: Das Honorar für die Grippeschutzimpfung in der Apotheke. Wie sieht eine faire Vergütung für uns Apothekers aus? Lieber mit knappem Honorar leben oder besser nicht mitmachen? Und überhaupt: Mitmachen oder lassen? Thema #2, der Kracher der Woche: Zur Rose kauft nicht nur Arznei-Versandhäuser, sondern jetzt auch einen Telemedizin-Anbieter. Demnächst also die Arztkonsultation, das E-Rezept und das verordnete Arzneimittelpäckchen aus einer Zur-Rose-Hand? Praktisch keine Trennung von Arzt und Apotheker mehr? Und wie steht es da ums Makelverbot? Wie unsere Meinung dazu ist, lesen Sie in meinem lieben Tagebuch.
13. Juli 2020
Gehe und Alliance Healthcare Deutschland (AHD) sollen in Zukunft zusammenarbeiten, in einem neuen Gemeinschaftsunternehmen – das haben ihre Eigentümer, die Pharmahandelskonzerne McKesson Europe und Walgreens Boots Alliance vereinbart. Mein liebes Tagebuch, das hat schon was: Zwei große Konkurrenten wollen in einem Markt gemeinsame Sache machen. Soweit sind wir also schon. Und warum haben sie sich dazu entschlossen? Na klar, es geht um mehr Ertrag, um weniger Kosten. Bevor die beiden das dürfen, muss die geplante Fusion bei der EU-Kommission angemeldet werden und von ihr akzeptiert werden – Fusionskontrolle nennt man das: Wettbewerbsverzerrungen sollen damit verhindert werden. Um dieses Vorhaben besser beurteilen zu können, will sich die EU-Kommission schlau machen. Sie hat daher einige Apotheken, die Kunden bei Gehe oder AHD sind, angeschrieben mit der Bitte, einen Online-Fragebogen auszufüllen zur Frage: Wie beurteilen Sie die geplante Fusion? Tja, gute Frage, oder? Was soll eine Apotheke davon halten – wenn man nicht weiß, was die beiden letztlich mit dieser Fusion vorhaben? Werden die Konditionen für die Apotheken besser oder schlechter? Ist man seinem Großhändler dann stärker ausgeliefert? Und wie geht die Oligopolisierung weiter? Defacto gibt’s dann nur noch die beiden genossenschaftliche Großhandlungen Sanacorp und Noweda auf dem Markt, Pharmaprivat, Phoenix und die neue Fusionshandlung Gehe-AHD. Wird langsam eng mit der Auswahl.
14. Juli 2020
12,61 Euro netto als Honorar für die Grippeschutzimpfung in Apotheken – mehr war nicht drin bei den Verhandlungen des Apothekerverbands Nordrhein mit der AOK Rheinland/Hamburg. Auch für Thomas Preis, Chef des AV Nordrhein ist dieser Betrag „in der Tat sehr, sehr knapp bemessen“, wie er im DAZ.online-Interview sagt. Ja, mein liebes Tagebuch, in der Tat, sehr, sehr knapp. Eigentlich hätten es mindestens 15 Euro sein sollen, wie es z. B. Professor Uwe May errechnet hatte. Tja, mein liebes Tagebuch, „mehr war aktuell einfach nicht möglich“, sagt Preis und schiebt nach: „Ich finde aber, wir haben uns auf einen akzeptablen Preis einigen können.“ Nun, mein liebes Tagebuch, das ist natürlich immer Ansichtssache, was akzeptabel ist oder nicht. Aber im Vergleich zum Grippeschutz-Impfen durch den Arzt, das die Kassenärztliche Vereinigung mit 7,71 Euro vergütet, mag unser Honorar noch akzeptabel sein. Doch da gibt es dann eben doch so klitzekleine Unterschiede zwischen der Impfung in der Apotheke und in der Arztpraxis: In der Apotheke impft Frau Apothekerin oder Herr Apotheker höchst persönlich, in der Arztpraxis darf die Impfung auch durch das Assistenzpersonal durchgeführt werden. Außerdem darf ein Arzt für weitere Untersuchungen zusätzliches Honorar abrechnen – da kommen dann schon mal 30 bis 40 Euro zusammen. Und dennoch, es war klar, mein liebes Tagebuch: Das apothekerliche Impfhonorar löste bei den Ärzten reflexartig die Forderung nach mehr Honorar fürs Impfen aus. Irgendwie verständlich. Immerhin, sie forderten nicht weniger Honorar für Apotheker. Aber schaut man mal genauer hin, so lässt sich das ärztliche Honorar in keiner Weise mit dem apothekerlichen Honorar vergleichen: Wir Apothekers haben höhere Kosten beim Impfen, wir haben kein Pauschalhonorar pro Patient, wir müssen mit Vollkosten und einen Gewinnzuschlag rechnen und wir brauchen einen gewissen ökonomischen Anreiz, wenn wir diese neue Aufgabe übernehmen sollen. Also, schau’n wir mal, wie wir mit dem Honorar von 12,61 Euro netto zurechtkommen. Mein liebes Tagebuch, meine Meinung: Warum nicht mal versuchen, wie sich das so anlässt. Immerhin könnte man das Impfangebot doch nutzen zur Kundenbindung und um sich als Apotheke zu beweisen, die ihren Kunden und Patienten einen Mehrwert bietet. Statt seltsamer Gimmicks und Taler-Schnickschnack ist die Grippeschutzimpfung doch ein echtes heilberufliches Angebot mit Mehrwert.
15. Juli 2020
Immer mehr Kammern ändern ihre Berufsordnungen oder haben sie bereits entsprechend geändert, um Apotheken zu ermöglichen, die Grippeschutzimpfung anbieten zu können. Und sie haben sich dazu auch öffentlich dazu bekannt, an den Modellprojekten teilnehmen zu wollen. Der erste Vertrag zur Honorierung dieser Dienstleistung ist bereits mit einer Krankenkasse im Kammerbereich Nordrhein unter Dach und Fach. Aber die Apothekerorganisationen von Thüringen und Brandenburg können und wollen wohl nicht so recht in die Puschen kommen. Sie haben den Modellprojekten zur Grippeimpfung in den Apotheken eine Absage erteilt. Dabei müsste in Brandenburg noch nicht einmal die Berufsordnung geändert werden. Aber dort hat sich Ende des vergangenen Jahres die Landesapothekerkammer mit der Landesärztekammer prophylaktisch auf eine gemeinsame Resolution verständigt, dass sich Ärzte und Apotheker in ihren Aufgaben nicht ins Gehege kommen wollen. Und der Landesapothekerverband Brandenburg glaubt zu wissen, dass derzeit kein Interesse seiner Mitglieder bestehe, an Modellvorhaben zur Grippeschutzimpfung in Apotheken teilzunehmen. Woher er das so genau weiß? (Erst wenn Apotheken daran Interesse zeigten, müsste der Verband auf die Krankenkassen zugehen.) Auch in Thüringen lehnten die Kammerdelegierten das Impfen in Apotheken ab, wenn die Ärzteschaft dem nicht zustimmt. Tja, mein liebes Tagebuch, so kann man sich selbst blockieren und von der Zukunft ausschließen. Immerhin, Thüringen lässt ein Hintertürchen offen – vielleicht wollen die Delegierten ja ihre Meinung auf der nächsten Kammerversammlung im November ändern… Mein liebes Tagebuch, es sind die typischen Anfangsquerelen und Zaudereien, wenn es um neue Aufgaben und Strukturen geht. Glaub mir, mein liebes Tagebuch, schon in vier, fünf Jahren wird es letztlich doch Alltag in Deutschland sein: Apotheken werden gegen Grippe impfen. Und dann sind auch die Thüringer und die Brandenburger dabei, wenn sie gesehen haben, welche Chancen ihre Kolleginnen und Kollegen in den anderen Bundesländern schon lange haben und nutzen.
Gut gemacht vom Landesapothekerverband Baden-Württemberg: Er holte für seine Mitglieder wieder mit einem aufwändigen Prüf- und Einspruchsverfahren mehr als 1 Million Euro zurück, die die Kassen bei den Retaxationen zu Unrecht einbehalten hatten. Das waren rund zwei Drittel der Retax-Summe. Mein liebes Tagebuch, da sieht man mal, wie man den Kassen auf die Finger schauen muss. Müssten wir eigentlich nicht die Kassen retaxieren für die Fehler, die sie gemacht haben?
Die Corona-Krise hat einen regelrechten Schub für die Digitalisierung gebracht. Viele, die vor einem halben Jahr noch nie an einer Telefon- oder Videokonferenz teilgenommen hatten, gehen damit heute wie selbstverständlich um. Und auch im Pharmaziestudium hat Corona seine Spuren hinterlassen: Vorlesungen zu Hause hören, Umstellung auf Online-Unterricht gehören hier dazu. Und bei den Laborpraktika mussten sich die Studierenden an zahlreiche neue Strukturen gewöhnen wie Abstandsregeln, Mundschutz, Arbeitsplätze mit Plexiglas, Schichtbetrieb mit gestaffelten Anfangs- und Endzeiten und ein Einbahnstraßensystem. Vertreter der Deutschen Pharmazeutischen Gesellschaft (DPhG) sind sich sicher, dass die digitale Lehre auch zukünftig als Ergänzung zu den traditionellen Lehrmethoden in das Studium integriert werden kann. Mein liebes Tagebuch, da wird sich mit Sicherheit so manches verändern – und das wird nicht zum Nachteil sein.
16. Juli 2020
Ja, Testprojekte zum E-Rezept kommen voran. Der Deutsche Apothekerverband und der Berliner Apothekerverband erproben in Berlin ihre Idee vom E-Rezept. Jetzt können sich in dieser Region interessierte Apothekerinnen und Apotheken unter www.mein-apothekenportal.de für dieses Modellprojekt registrieren. In diesem Pilotprojekt wird vor allem auch eine Lösung entwickelt und erprobt, „die perspektivisch – um zusätzliche Anwendungen, Angebote und Funktionen erweitert – allen Apotheken zur Verfügung gestellt werden kann“, sagt die ABDA dazu. Mein liebes Tagebuch, der Deutsche Apothekerverband hatte ja bekanntlich mit der Entwicklung seiner E-Rezept-App gegenüber der Gematik den Kürzeren gezogen. Daher richtet der Verband jetzt den Fokus verstärkt auf zusätzliche Service-Funktionen für Apotheken und Patienten. Gut so, da sollten jetzt mal so viele wie möglich in dieser Region mitmachen.
Auch das E-Rezept-Projekt der Techniker Krankenkasse (TK) wächst weiter. Durch Kooperationen mit zwei Ärztesoftware-Anbietern könnten nun 40.000 niedergelassene Ärzte E-Rezepte ausstellen, meldet die Kasse. Und weitere Krankenkassen machen mit bei diesem Projekt. Bundesweit wird dieses Projekt wohl zum größten in Deutschland. Die Rückmeldung von Ärzten, Apotheken und Versicherten zur elektronischen Verordnung sollen gut sein, hört man. 1000 Apotheken werden derzeit technisch eingebunden. Auch die ersten Versandapotheken sind dabei, eine davon ist DocMorris. Mein liebes Tagebuch, ich weiß, das schmerzt, aber wir werden dies wohl nicht mehr verhindern können. Den Kampf ums E-Rezept müssen wir aufnehmen – und eigentlich haben wir doch gute Karten.
17. Juli 2020
Wie sieht es denn in unserer Bundeshauptstadt mit dem Thema Grippeschutz-Impfprojekt aus? Kammerpräsidentin Kerstin Kemmritz zeigt sich zufrieden im DAZ.online-Interview: Die Hausaufgaben sind gemacht, jetzt fehlen nur die geeigneten Vertragspartner, die Krankenkassen und Zusammenschlüsse von Apotheken, die mitmachen wollen. Der Berliner Apothekerverein ist bereits am Verhandeln. Kemmritz zeigt sich überzeugt, dass es durchaus Sinn macht, die Apotheken zusätzlich mit ins Boot zu holen, um die Durchimpfungsraten zu steigern. Für Kemmritz ist allerdings eine faire Vergütung die Grundvoraussetzung, damit das Modell funktioniert. Was eine faire Vergütung ist, sagte sie allerdings nicht. Mein liebes Tagebuch, hoffen wir, dass das Impfprojekt gerade in Berlin möglichst schon in diesem Herbst an den Start gehen kann. Dass Brandenburg nicht mitmacht, kann die Berliner Kammerpräsidentin allerdings wohl nicht so recht verstehen. Sie meint, es sollte doch „jeder Apotheker die Möglichkeit haben, am Modellprojekt teilzunehmen, um die Impfquote zu steigern, wenn ein Bedarf gesehen wird“. Genau. Auch wenn die Kammer Brandenburg schon jetzt der Meinung sei, dass sich Impfen auf dem Land angeblich nicht lohne. Mein liebes Tagebuch, warum überlässt die Kammer Brandenburg diese Entscheidung nicht den Apotheken selbst?
Die Berliner Kammerpräsidentin sieht das Impfen in der Apotheker allerdings nicht als pharmazeutische Dienstleistung, sondern als allgemeine weitere Dienstleistung, womit sie richtig liegt. Und so träumt Kemmritz davon, dass das Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz endlich in Kraft tritt und wir Apothekers uns auf pharmazeutische Dienstleistungen konzentrieren und gute, wertschätzende Verträge dafür bekommen. Manchmal gehen Träume auch in Erfüllung.
Das ist der Knaller der Woche: Die Schweizerische Zur Rose AG, zu der u. a. auch DocMorris gehört, kauft den deutschen Telemedizin-Pionier Teleclinic, eine Fernbehandlungsplattform, die auch elektronische Verschreibungen anbietet. Mein liebes Tagebuch, na, wenn jetzt nicht die Alarmsirenen im Spahnschen Büro angehen! Denn dadurch gibt es wohl alles aus einer Zur-Rose-Hand: Mehrere Versandapotheken, die E-Rezepte einlösen wollen, und ein telemedizinisches Portal, auf dem Ärzte online konsultiert werden – und dann E-Rezepte ausstellen. Nun raten wir mal, mein liebes Tagebuch, in welchen Online-Apotheken diese E-Rezepte landen werden! So wird die seit Jahrhunderten bewährte Trennung von Arzt und Apotheker einfach mal eben so über den Haufen geworfen. Soll das die Richtung sein, in die unser zukünftiges Gesundheitssystem marschiert? Alles aus einer Zur-Rose-Hand – Arztkonsultationen, E-Rezepte und die verordneten Arzneimittel? Mein liebes Tagebuch, ich bin wirklich gespannt, wie das unser Herr Bundesgesundheitsminister sieht und ob er sich dazu äußern wird. Bei aller Sympathie für digitale Innovationen im deutschen Gesundheitswesen – das ist der Dammbruch, wenn in einem Hause Zur Rose eine Plattform für Teleärzte sitzt, die E-Rezepte verordnen für Arzneimittel, die in dem dazugehörigen Arznei-Versandhaus verschickt werden. Aus Zur Rose-Sicht ist das natürlich ein strategischer Schachzug sondersgleichen. Im Zur-Rose-Sprech hört sich das recht niedlich so an: Ziel sei es, „die Konsumenten (…) zu begleiten und zu befähigen, die eigene Gesundheit ‚mit nur einem Klick‘ zu managen“ so die Pressemitteilung. Und Zur-Rose-Chef Walter Oberhänsli wird mit den Worten zitiert: „Mit TeleClinic als integriertem Akteur in der Zur-Rose-Gesundheitsplattform werden wir, zusätzlich zum Medikations- und Apotheken-Produktportfolio, digitale Lösungen anbieten können, die den Patientinnen und Patienten ein besseres Leben ermöglichen.“ Mein liebes Tagebuch, wie putzig ist das denn? Ein besseres Leben? Ja, vielleicht für DocMorris und Co, weil zur Rose seinen so digital ausgelieferten Patienten das Geld noch leichter aus der Tasche ziehen kann. Oder seine Patienten beeinflussen kann, das E-Rezept doch bitteschön im gleichen Haus einzulösen, weil’s so einfach ist. Mein liebes Tagebuch, so wird die Trennung der Heilberufe – bisher für die Patienten die Garantie für eine sachgerechte und unbeeinflusste Therapie – auf dem Digitalisierungs-Altar geopfert. Für die Teleclinic-Gründerin und Chefin Katharina Jünger war nach eigenen Angaben ausschlaggebend, dass Zur Rose einen Wandel hin zu einem Plattform-Anbieter für alle Apotheken vollzogen habe. Mein liebes Tagebuch, ist auch eine recht niedliche Ansicht, dies als Grund zunehmen, sein Unternehmen in die Hände von Zur Rose zu geben, oder? Plattform-Anbieter! Wie viele Apotheken werden sich denn dieser Plattform anschließen? Wie dem auch sei, wie wird nun Jens Spahn reagieren? Kann sein kommendes Makelverbot diesem Dammbruch wirksam entgegenwirken? Reicht der Arm unseres Makelverbots auch in die Schweiz, in die Niederlande?
8 Kommentare
Spahn
von Gilbert Ernst am 20.07.2020 um 7:00 Uhr
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Impfen
von Conny am 19.07.2020 um 18:27 Uhr
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Die LAK Brandenburg…?
von Gunnar Müller, Detmold am 19.07.2020 um 17:34 Uhr
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Apothekenstaatsvertrag oder wie wir unsere Daseinsberechtigung zementieren
von Bernd Jas am 19.07.2020 um 14:59 Uhr
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Zukunftsfähigkeit
von Reinhard Rodiger am 19.07.2020 um 13:29 Uhr
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Äpfel und Birnen
von Karl Friedrich Müller am 19.07.2020 um 11:16 Uhr
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Zur Rose und die Apothekerorganisationen
von Ulrich Ströh am 19.07.2020 um 9:13 Uhr
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Corona verschiebt virtuelle Grenzen ... in Buxtehude ... und die Welt geht unter ...
von Christian Timme am 19.07.2020 um 8:38 Uhr
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