Vor-Ort-Apotheken-Stärkungsgesetz

OTC-Preise: ABDA widerspricht IGES-Gutachten

Berlin - 11.09.2020, 13:00 Uhr

ABDA-Präsident Friedemann Schmidt glaubt nicht, dass die Preise für OTC-Arzneimittel deutlich steigen würden, wenn das Rx-Boni-Verbot kommt. (m / Foto: Schelbert) 

ABDA-Präsident Friedemann Schmidt glaubt nicht, dass die Preise für OTC-Arzneimittel deutlich steigen würden, wenn das Rx-Boni-Verbot kommt. (m / Foto: Schelbert) 


Heute steht der Entwurf des VOASG auf der Tagesordnung im Bundestag. Die ABDA wehrt sich vor diesem Hintergrund jetzt gegen die im IGES-Gutachten postulierte Annahme, ein Rx-Boni-Verbot würde zu deutlich steigenden OTC-Preisen führen. Der Bundesverband Deutscher Apothekenkooperationen fordert derweil eine deutliche Ausweitung der apothekerlichen Kompetenzen – auch mit Blick auf die Abgabe von Coronatests. Der AVWL wendet sich in einem Brandbrief an die Bundestagsabgeordneten. 

Diese Woche Mittwoch erschien das mit Spannung erwartete Gutachten des IGES-Instituts zum Apothekenmarkt in Deutschland. Darin analysieren die Autoren, wie sich eine vollständige oder partielle Aufgabe der Arzneimittelpreisbindung auf das Marktgeschehen auswirken würde. Unter anderem kommen sie zu dem Ergebnis, dass ein Verbot von Rabatten auf verschreibungspflichtige Medikamente, wie es im Entwurf für das Vor-Ort-Apothekenstärkungsgesetz vorgesehen ist, zu einer Preissteigerung im OTC-Bereich um mehr als 26 Prozent führen würde.

Dem widerspricht die ABDA nun deutlich. In einem Statement vom heutigen Freitag bemängelt ABDA-Präsident Friedemann Schmidt einen fehlenden Zusammenhang von Rx-Boni und OTC-Preisen. „Es ist schlichtweg Unsinn, dass die Preise von Schmerzmitteln und anderen rezeptfreien Medikamenten in Folge des VOASG steigen werden“, betont der ABDA-Präsident. „Das VOASG bezieht sich nur auf rezeptpflichtige Arzneimittel, deren Preise in Deutschland ohnehin reguliert sind. Auch ausländische Versandhändler sollen sich dem Gesetz zufolge künftig an deutsches Recht halten.“ Bei rezeptfreien Medikamenten herrsche dagegen seit vielen Jahren ein freier Preiswettbewerb zwischen den Vor-Ort- und Versandapotheken, den es natürlich auch weiterhin geben werde. „Das neue Gesetz soll die Apotheken vor Ort stärken, damit die Patienten auch weiterhin eine große Auswahl zwischen Apotheken haben und damit schneller und besser versorgt werden.“

BVDAK holt zum Rundumschlag aus

Derweil holt der Bundesverband Deutscher Apothekenkooperationen (BVDAK) in seiner Stellungnahme zum VOASG zum Rundumschlag aus. Zunächst drückt der Verband sein Bedauern aus, dass trotz anders lautenden Koalitionsvertrags die Bundesregierung kein Versandverbot mit verschreibungspflichtigen Arzneien anstrebt. „Insoweit wird befürchtet, dass durch die nunmehr angestrebte Lösung die ausländischen Marktteilnehmer weiter gefördert werden und sich dadurch die Situation der Vor-Ort-Apotheken weiter verschlechtert“, heißt es in der Stellungnahme.

Da das im VOASG vorgesehene Boni-Verbot lediglich im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bindend wäre, gibt die Regierung aus Sicht des BVDAK die Preisbindung für privat Versicherte und Selbstzahler auf. Das dürfte Folgen für die Präsenzapotheken in Deutschland haben, denn: „Der Anteil der PKV am Gesamtaufkommen der öffentlichen Apotheken ist signifikant.“ Zudem sende diese Aufweichung der Gleichpreisigkeit „vor allem auch ein falsches Signal, da Arzneimittel nach wie vor Produkte sind, die aufgrund ihrer besonderen Charakteristika nicht den allgemeinen Marktregelungen unterworfen werden dürfen. Diese Besonderheit gilt aber uneingeschränkt.“

BVDAK zweifelt überdies an der Gesetzestreue der EU-Versender

Der BVDAK zweifelt überdies an der Gesetzestreue der EU-Versender. „Wenn ausländische Versandapotheken, so wie ausdrücklich in der Gesetzesbegründung ausgeführt, das Recht erhalten, sie können außerhalb des Sachleistungsprinzips der GKV bei der Abgabe von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln Rabatte und Boni gewähren, so muss davon ausgegangen werden, dass vonseiten der ausländischen Versandapotheken, die sich auch in der Vergangenheit immer wieder dadurch hervorgetan haben, rechtliche Grenzen zu überschreiten, versucht wird durchzusetzen, insgesamt Rabatte und Boni zur Kundengewinnung zu gewähren.“ Es liege die Frage auf der Hand, warum „bei der Versorgung mit Arzneimitteln im Sachleistungsbereich eine Gleichpreisigkeit normiert wird, wenn dies in allen anderen Bereichen der Arzneimittelversorgung aufgegeben wird“.

Die Kooperationsapotheker machen sich dafür stark, das Leistungsspektrum der Offizinen zu erweitern. Im Entwurf des VOASG finden sich demnach einzelne Ansätze, die zumindest in eingeschränktem Maße dazu beitragen könnten, die Wettbewerbsfähigkeit der Präsenzapotheken zu stärken. „Diese, im Ansatz zu begrüßenden Entwicklungen, sind jedoch bei weitem nicht ausreichend, um die durch die Neuregelung des § 129 SGB V geschaffene Wettbewerbsverzerrung auszugleichen. Sollte der Gesetzgeber an dem von ihm eingeschlagenen Weg hinsichtlich der Gewährung von Zuwendungen bei der Einlösung von Verschreibungen über preisgebundene Arzneimittel festhalten wollen, so ist hier zu fordern, dass den niedergelassenen Vor-Ort-Apotheken weitergehende Möglichkeiten eingeräumt werden, mit denen sie über die Arzneimittelversorgung hinaus an der Gesundheitsversorgung der Bevölkerung aktiv mitwirken können.“ Nachdem die Vor-Ort-Apotheken ihre Leistungsfähigkeit und ihre Leistungsbereitschaft während der Coronakrise „eindrucksvoll unter Beweis gestellt haben“, gelte es nun, sie stärker in die Gesundheitsversorgung insgesamt einzubinden.

Corona-Erleichterungen sollen bleiben

An dieser Stelle nennt der BVDAK unter anderem die Abgabeerleichterungen bei Fertigarzneimitteln, die Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im April per Eilverordnung erlassen hatte. „Die SARS-CoV-2-Arzneimittelversorgungsverordnung hat eine Reihe von Erleichterungen für den Betrieb der Vor-Ort-Apotheke gebracht, die über die begrenzte Dauer dieser Verordnung hinaus festgeschrieben werden sollten. Hierzu gehört insbesondere die separate Vergütung des Botendienstes der Apotheke, der sich seit der beschlossenen Liberalisierung im vergangenen Jahr vollumfänglich bewährt hat.“

Darüber hinaus fordert der Verband, Modellprojekte zur Grippeschutzimpfung in den Apotheken auch auf Selbstzahlerbasis zu ermöglichen. Für entsprechende Kooperationen mit Krankenkassen hatte der Gesetzgeber bereits mit dem Masernschutzgesetz den Weg frei gemacht. „Die insoweit gefundenen Regelungen funktionieren in der Praxis allerdings nicht, da es viel zu wenige Modellprojekte gibt.“ Grund dafür seien die schwierigen Verhandlungen mit den Kassen, die aus Sicht der Kooperationsapotheker versuchten, die Vereinbarungen zu verschleppen.

Kassenkooperation will bei pharmazeutischen Dienstleistungen nachbessern

Was die Abgabe von Antikörpertests in den Apotheken betrifft, ist für den BVDAK nicht nachvollziehbar, weshalb diese nicht ermöglicht werden. „Die Vor-Ort-Apotheken gewährleisten durch ihre Verfügbarkeit und ihre Kompetenz, dass die Verbraucher schnell und umfassend versorgt werden können.“ Um den sich aus der Pandemie ergebenden Einschränkungen zu begegnen, sei eine stärkere Einbindung der Apotheker in die Versorgung der Menschen vor Ort erforderlich, auch mit Antikörpertests auf das neuartige Coronavirus. „Die sich aus § 3 Abs. 4 der Medizinprodukte-Abgabeverordnung ergebende Beschränkung hinsichtlich der Abgabe ist zu prüfen und zumindest für die COVID-19-Antikörpertests aufzuheben, damit diese auch über Apotheken abgegeben werden dürfen.“

Welche Qualifikation brauchen Apotheker für pharmazeutische Dienste?

Auch die Kooperationsgemeinschaft unternehmensnaher Krankenkassen (kuk) äußert sich mit Blick auf die heute bevorstehende erste Lesung des VOASG im Bundestag zu einer Regelung, die sie bereits seit Längerem im Auge hat: die Einführung eines Honorartopfs zur Finanzierung neuer pharmazeutischer Dienstleistungen. Hier seien die Regeln nachzuschärfen, meinen die Kassen. „Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung zu bisherigen Dienstleistungen der Apotheken und die für die Erbringung der neuen Dienstleistungen erforderlichen Qualifikationen.“ Auch die bislang vorgesehene Fondssystematik erscheint ihnen ungeeignet. „Zu bevorzugen ist eine gezielte Vergütung für nachgewiesene und quittierte Beratungsleistungen.“

Gemeinsam begrüßen die kuk-Partner BKK Dachverband, IKK, Knappschaft und die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau (SVLFG), dass die Bundesregierung das Thema zusätzlicher pharmazeutischer Dienstleistungen im Sinne einer Verbesserung der Patientenversorgung anpackt. „Für die Sicherstellung der Versorgung insbesondere in strukturschwachen Regionen bedarf es eines gemeinsamen, lösungsorientierten Agierens von Apothekerschaft und Krankenkassen“, erklärt Franz Knieps, Vorstand des BKK Dachverbands. „Insbesondere das stärkere Einbringen pharmazeutischer Kernkompetenzen durch eine persönliche Beratung und Betreuung der Patienten in Abstimmung mit dem verordnenden Arzt kann hier der entscheidende Schritt sein.“

Doch langfristig sei eine Umgestaltung der Apothekenvergütung dringend notwendig. „Die Finanzierung der vorgesehenen pharmazeutischen Dienstleistungen in Höhe von rund 150 Millionen Euro ist auch im Gesetzesentwurf nicht hinreichend ausgestaltet“, mahnt IKK-Geschäftsführer Jürgen Hohnl an. Die Bundesregierung müsse hier dringend noch konkreter werden und dies im VOASG nachbessern, so die Partner der Kooperationsgemeinschaft.

AVWL schreibt an Abgeordnete

Der Apothekerverband Westfalen-Lippe (AVWL) geht einen anderen Weg: Er wendet sich in einem Brief an die westfälischen Bundestagsabgeordneten sowie die Mitglieder im Gesundheitsausschuss und stellt noch einmal klar, was es aus Sicht des Verbands wirklich braucht, um die Präsenzapotheken zu stärken. Dabei hat der AVWL nicht nur das VOASG, sondern auch das Patientendaten-Schutzgesetz (PDSG) auf dem Schirm. „Die Situation der Patienten wird sich, sollten VOASG und PDSG unverändert umgesetzt werden, verschlechtern statt verbessern“, heißt es in dem Brief. „Die Vor-Ort-Apotheken werden nicht gestärkt, sondern massiv geschwächt. Darüber hinaus sind sogar Gefahren für unser Gesundheitssystem als solches zu befürchten.“

Boni-Verbot im Sozialrecht wird Kommission nicht beeindrucken

Von dem Vorhaben Spahns, das Rx-Boni-Verbot ins Sozialrecht zu überführen, halten die Apotheker nichts. „Dieser Plan wird nach Auffassung des Apothekerverbands Westfalen-Lippe bzw. der von ihm befragten Rechtsexperten nicht aufgehen“, schreiben sie. „Es hilft nämlich nichts, die Gleichpreisigkeit einfach an anderer Stelle zu regeln; das ist nicht mehr als eine juristische Finte. Davon werden sich weder EU-Kommission noch EuGH beeindrucken lassen.“

Zielführend kann es demnach nur sein, die Preisbindung in § 78 Abs. 1 S. 4 AMG zu verteidigen – und hierzu die Frage der Preisbindung dem EuGH erneut durch ein deutsches Gericht vorzulegen. „Der EuGH hat in seiner Entscheidung 2016 mehrfach die Lückenhaftigkeit des Tatsachenvortrages bemängelt. Dies kann die Bundesregierung in einem erneuten Verfahren besser machen.“ Der EuGH habe sich in der Vergangenheit durchaus schon selbst korrigiert. „Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht gehen zudem bei der Preisbindung von einer nationalstaatlichen Gesetzgebungskompetenz aus und halten die Preisbindung keineswegs für europarechtswidrig. Warum auch sollte eine Preisbindung für das Kulturgut Buch zulässig sein – nicht aber für lebenswichtige Arzneimittel?“

Beim PDSG, das am 18. September auf der Tagesordnung des Bundestagsplenums steht, sieht der AVWL ebenfalls dringenden Verbesserungsbedarf – insbesondere beim Makelverbot mit E-Rezepten. „Zwar sieht das PDSG ein Makelverbot und Zuweisungsverbot der E-Rezepte an eine bestimmte (Versandhandels-)Apotheke vor, um die freie Apothekenwahl des Patienten zu garantieren. In der Praxis können diese Verbote jedoch künftig ganz einfach unterlaufen werden: durch einen Token, mit dem der Versicherte über Smartphone-Apps, E-Mail, Messenger-Dienste und andere Internet-Kanäle sein Rezept bzw. den Zugriff auf dieses außerhalb der geschützten Telematikinfrastruktur weiterleiten kann.“ Durch diese Lücke erhielten ausländische Versandhändler „durch intensive Marketing-Maßnahmen, auf die weder die einzelne inhabergeführte Apotheke noch Apothekerverbände adäquat erwidern können, die Möglichkeit, eine mobile Anwendung marktbeherrschend zu etablieren.“

Dringender Appell

Der Verband schließt mit einem Appell an die Politiker: „Daher möchten wir Sie dringend bitten, sich dafür einzusetzen, dass erstens das VOASG in dieser Form nicht verabschiedet und zweitens auch das PDSG zwingend nachgebessert wird. Die Preisbindung muss auch für Privatversicherte und Selbstzahler gelten“, heißt es. „Das Fundament der Arzneimittelversorgung unserer Patienten, der Vor-Ort-Apotheken sowie des deutschen Gesundheitssystems darf nicht zerstört werden. Die Folgen wären irreversibel.“



Christina Müller, Apothekerin und Redakteurin, Deutsche Apotheker Zeitung (cm)
redaktion@daz.online


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